Gesunde Lehrer – gesunde Schule!

Memorandum des BLLV zur Arbeitsbelastung der Lehrerinnen und Lehrer an bayerischen Schulen.

Bereits im Juni 2001 verabschiedet der BLLV-Landesvorstand unter dem Motto „Gesunde Lehrer – gesunde Schule!“ einstimmig ein Memorandum. Die hier gesetzten Schwerpunkte sind bis heute maßgeblich für die Arbeit des Verbandes im Bereich der Lehrergesundheit.

Problem

Die Arbeitsbelastung in der Schule hat in den letzten Jahren in einem Ausmaß zugenommen, dass die physische und psychische Gesundheit zahlreicher Lehrerinnen und Lehrer nachhaltig gefährdet ist. Nicht nur die persönliche Tragik, die hinter der hohen Zahl an betroffenen Lehrerinnen und Lehrern steht, muss die politisch Verantwortlichen alarmieren, sondern auch die latente Bedrohung der Effektivität und Qualität der Schule sowie die enormen Kosten, die aus der permanenten Überlastung von Lehrerinnen und Lehrer entstehen und die bezifferbar sind.

Die Arbeitsbelastung in der Schule wird insbesondere dokumentiert durch die hohe Rate der Dienstunfähigkeit von Lehrkräften und durch die enorme Zunahme des sog. Burn-Out Syndroms.

Unabhängige Untersuchungsergebnisse von Arbeitsmedizinern und Psychologen zeigen:

  • 63 % aller Fälle von Dienstunfähigkeit von Beamten/innen in Bayern fallen auf Lehrkräfte. (Weber-Studie)
    Studie im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung: Andreas Weber (Universität Erlangen) und Lederer (Gesundheitsamt Erlangen-Höchstadt): Sozialmedizinische Evaluation der Begutachtungen zur vorzeitigen Dienstunfähigkeit von Beamtinnen /Beamten im Freistaat Bayern
  • Von 7.103 Lehrkräften in Bayern, die in den Jahren 1996 bis 1999 auf Dienstunfähigkeit untersucht wurden, wurden von den medizinischen Untersuchungsstellen 78 % tatsächlich als dienstunfähig begutachtet. (Weber-Studie)
  • Die Dienstunfähigkeit wurde in 46 % aller Fälle wegen psychischer und/oder psychosomatischer Erkrankungen festgestellt. (Weber-Studie)
  • Der Zeitpunkt der Untersuchung auf Dienstunfähigkeit hat sich im Vergleich mit den Jahren von 1985 bis 1995 um zwei Jahre nach vorne verschoben, und zwar vom 55. auf das 53. Lebensjahr. Das heißt, die Erkrankungen treten deutlich früher auf. (Weber-Studie)
  • Mehr als 50 % der Lehrkräfte wird elf Jahre vor dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt. (Weber-Studie)
  • Fast jeder dritte Lehrer in Deutschland fühlt sich "ausgebrannt"; ein weiteres Drittel hält sich für "überfordert". (Schaarschmidt Studie)
    Uwe Schaarschmidt (Universität Potsdam): Untersuchung der psychischen Gesundheit in Berufen mit erhöhter psychosozialer Beanspruchung.
  • Bei den Lehrern schieden 62 % wegen Dienstunfähigkeit aus, im Vollzugsdienst waren es 27 %, in den übrigen Bereichen des öffentlichen Dienstes 39 %. Bei den Lehrern an Gymnasien liegt der Anteil mit 47 % deutlich niedriger als bei Lehrern an Grund-, Haupt- und Sonderschulen mit 69 %. (Statistisches Bundesamt)
    Statistisches Bundesamt am 09. November 2000

 

Ursachen

Als Ursache für diese kritische Entwicklung wird von den Wissenschaftlern übereinstimmend vor allem die immer höhere Arbeitsbelastung im Lehrerberuf genannt. Konkrete Belastungsfaktoren sind vor allem:

  • Hohe Klassenstärken
  • Wachsender Anteil verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler
  • Hohe Unterrichtsverpflichtung, insbesondere an den Pflichtschulen
  • Ungünstige Altersstruktur der Lehrerschaft
  • Allgemeine Erziehungsdefizite in den Familien und übersteigerte Erwartungshaltung an die Lehrer/innen
  • Mangel an Instrumenten frühzeitiger Diagnostik und Prävention
  • Abnehmendes Sozialprestige des Lehrerberufes

 

Bewertung

Die enorme Arbeitsbelastung der Lehrerinnen und Lehrer wird von den Wissenschaftlern und Statistikern wie folgt bewertet:

Dr. Andreas Weber (Sozial- und Arbeitsmediziner)

Weber bezeichnet die Entwicklung als "äußerst bedenklich" und kommt zu folgendem Resümee: "Der wachsende Anteil der vorgenannten Erkrankungen lässt eine weitergehende differenzierte sozialmedizinische Untersuchung auch im Hinblick auf die Objektivierung / Quantifizierung berufsbedingter ätiologischer Faktoren unumgänglich werden. Darüber hinaus müssen die vorgenannten Zahlen alarmieren und sind weder für Staat und Gesellschaft noch für den einzelnen Beamten akzeptabel".

Prof. Dr. Uwe Schaarschmidt (Psychologe):

"Regionenübergreifend fühlt sich ca. ein Drittel der Lehrer stark überfordert und neigt zur Resignation - ein höherer Anteil als in anderen Berufen. Hierfür gibt es berufsspezifische Belastungsbedingungen, unter denen problematisches Schülerverhalten und zu große Klassen als größte Stressfaktoren gelten müssen."

Statistisches Bundesamt:

"Der überproportionale Anteil von Lehrkräften an der Zahl der Frühpensionierungen aufgrund von Dienstunfähigkeit ... dürfte auf die hohe berufliche Belastung der Lehrer sowie auf die niedrigere Regelaltersgrenze im Vollzugsdienst zurückzuführen sein."

 

Forderungen des BLLV

Angesichts der Ergebnisse und Erkenntnisse aus den Untersuchungen zur Arbeitsbelastung in der Schule fordert der BLLV die zuständigen Politiker auf, umgehend konkrete Maßnahmen zu ergreifen:

Dienstrechtliche Maßnahmen

  • Rücknahme des Arbeitszeitkontos
  • Angleichung der Altersgrenze für Lehrerinnen und Lehrer auf das 60. Lebensjahr analog der Regelung bei der Polizei, der Feuerwehr, dem Wehrdienst und dem Vollzugsdienst.
  • Flexible Möglichkeiten des Antragsruhestands mit Abschlägen auf das Ruhegehalt bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze.
  • Gewährung einer Altersermäßigung für Lehrkräfte von zwei Unterrichtsstunden ab dem 50. Lebensjahr und drei Unterrichtsstunden ab dem 55. Lebensjahr
  • Schaffung bzw. Ausbau eines Entlastungskontingents (Stundenpool) zum Ausgleich von besonderen Belastungen
  • Neubewertung der Arbeitszeit der Schulleitungen (geringere Unterrichtspflichtzeit und Ausweitung der Zeit für Führungsaufgaben)
  • Senkung des Unterrichtsdeputats
  • Entwicklung kreativer Arbeitszeitmodelle.
  • Einstellung junger Lehrerinnen und Lehrer im erforderlichen Umfang.

Schulpolitische Maßnahmen

  • Senkung der Klassenhöchststärke: Sofortmaßnahme: Absenkung auf 30 Schüler (Förderschule: Reduzierung um 10%). Stufenplan für eine Absenkung der Klassenhöchstgrenze auf 25 Schüler (Förderschule: 75% des heutigen Stands)
  • Ausbau der Schulsozialarbeit zur besonderen Betreuung erziehungsschwieriger Kinder.
  • Ausbau der mobilen sozialpädagogischen Dienste
  • Ausbau des Angebots berufsbegleitender präventiver Maßnahmen in der Lehrerfortbildung (z.B. Supervision, Balintarbeit, Beratungen...).
  • Schaffung qualifizierter Stütz- und Beratungseinrichtungen (z.B. Supervision), die von den Beschäftigten kostenlos in Anspruch genommen werden können

Arbeitsmedizinische Maßnahmen

  • Durchführung einer differenzierten sozialmedizinischen Untersuchung auch im Hinblick auf die Objektivierung / Quantifizierung berufsbedingter krankheitsverursachender Faktoren (vgl. hierzu die Ausführungen in der Untersuchung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung)
  • Entwicklung eines Interventions- und Präventionsprogrammes für Lehrkräfte mit gesundheitlichen Problemen im Bereich der Überlastung.

Weitergehende Maßnahmen

Neben den bereits genannten Stressfaktoren gibt es weitere wesentliche Ursachen, die in ihrer Konsequenz zu permanenter Belastung und u. U. zu Resignation führen. Dazu gehören zum Beispiel die steigenden Anforderungen an die Schule, die Reizüberflutung und der Freizeitstress bei Kindern und Jugendlichen, fehlende Zielvereinbarungen (welches sind die wesentlichen Ziele der Schule?), fehlender Werte- und Normenkonsens in der Gesellschaft und deren Institutionen, geringe öffentliche Unterstützung der Lehrkräfte, hierarchische Führungs- und Verantwortungsstrukturen, wachsende Kritik an den staatlichen Bildungseinrichtungen.

Diese Phänomene reduzieren bei vielen Lehrerinnen und Lehrer die Berufszufriedenheit erheblich. Die Folge sind bedrohliche Deformationen, die nicht selten zu psychischen und psychosomatischen Störungen führen.

Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich zentrale langfristig Maßnahmen

  • Öffentliche Klärung des schulischen Auftrags (was muss und was kann die Schule leisten?) und Gestaltung der Schule entsprechend des im Konsens definierten Auftrags
  • Konsequente Ausrichtung der Lehrerbildung (alle Phasen) am Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule und an der Unterrichtspraxis.
  • Öffentliche Anerkennung und Unterstützung der Bildungsarbeit.
     

Verabschiedet vom BLLV-Landesvorstand am 20. Juni 2001