
Was ist dran an der Ü-Klasse?
Einfach so mitlaufen lassen geht nicht. Da kämen Schüler/innen mit akutem Fluchthintergrund nie auf ein brauchbares Sprachniveau. Das Sprachbad in der Regelklasse kann nur Erfolge zeigen, wenn es von systematischem Einzelunterricht begleitet ist. Dominik Bauer, Flüchtlingsexperten im BLLV, gibt Einblick in den Alltag von Schulen und Tipps, wie es gehen kann.
Flüchtlingskinder einfach in eine Regelklasse zu stecken und darauf zu setzen, dass sie die Sprache schon lernen werden, das funktioniert nicht, da ist sich Dominik Bauer sicher. Der Mittelschullehrer und Fachberater Migration, DaZ und interkulturelles Lernen im Staatlichen Schulamt der Stadt München, findet es falsch, "die so mitlaufen zulassen". Es fehle ja an der Grammatik - und auch in allen Fächern braucht es die Sprache." Und ein Verständnis für die hiesigen Normen und Werte müsse auch Ziel des Unterrichts sein.
Auch wenn es erst mal nach Separieren aussieht: Er ist strikt für die sogenannten Ü-Klassen. 600 sind es derzeit, nach Schätzung des BLLV müssten es sehr bald doppelt so viele sein. Ob diese Separation auf Segregation hinausläuft, hängt vor allem davon ab, wie sich die gesamte Schulfamilie sonst verhält. Ob sie alles tut, um die Kinder zu integrieren: Paten etwa aus der der M-Klasse, gemeinsame Schullandheimaufenthalte, gemeinsamer Unterricht etwa in Sport, und in "Maßnahmen der Integrationskultur bei den Lehrern die Sinne schärfen", wie Bauer es nennt, das sind Möglichkeiten. In der Regelklasse seien die afrikanischen, arabischen oder asiatischen Ankömmlinge meist die Leistungsschwachen, und das blieben sie dort in der Regel auch.
In seinen Fortbildungen in ganz Bayern beantwortet Bauer stets dieselben Fragen seiner Kolleginnen und Kollegen, egal ob sie in einer Ü-Klasse tätig sind, oder ob sie einfach einem Kollegium angehören, das neben der Inklusion nun auch die Integration betreiben soll: Wie gehe ich mit traumatisierten Kindern um, wenn ich nie mit welchen zu tun hatte? Wie organisiere ich die Ü-Klasse und meine Unterrichtsplanung angesichts der großen Heterogenität? Welche Materialien gibt es zur Förderung und Differenzierung? Gibt es Selbstlernmaterialien, Handlungsorientiertes Sprachlernen, grammatikalische Spiele?
Am leichtesten kann er die Gruppe der letzten Fragen beantworten. Laut Mittelschulordnung etwa kann man ja etwa in Deutsch für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren Noten aussetzen. Materialien wie sie der BLLV mit dem Integrationssonderheft „floh!“ herausgegeben hat, sind ebenfalls leicht zu beziehen. Und unter dem Oberpunkt „Flüchtlinge“ hat Bauer mit weiteren Vertretern des BLLV ein „Erste-Hilfe-Paket“ mit vielfältigen Angeboten, Adressen, Links, Materialien und prototypische Geschichten von geflüchteten Kindern zusammengestellt.
Viel schwieriger ist der Umgang mit den vielen Kindern, die auf der Flucht schlimmste Erfahrungen machen mussten und körperlich und seelisch leiden. Es bräuchte ein Screening bevor die Kinder in die Klassen kommen, so dass Lehrkräfte mit den betroffenen Schülern und den Situationen, die sich ergeben, besser umgehen können.
Ein bitteres Fazit aus vielen Fortbildungsveranstaltungen landauf, landab: Es werde einem Lehrer, der keine Vorerfahrung hat, nicht gelingen „von Null auf 100 zu kommen“. Bauer sagt: „Ich sehe viele ausbrennen.“ Und kann nur empfehlen, gnädig mit sich selbst zu sein, sich nicht Dinge abzuverlangen, die man eben nicht leisten könne.
Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Text "An den Grenzen guten Gewissens" von Chris Bleher
in Ausgabe 3/2016 der bayerischen schule