Lieber den Mund halten: Viele Lehrkräfte fürchten Disziplinarstrafen, wenn sie sich öffentlich politisch äußern.
Lieber den Mund halten: Viele Lehrkräfte fürchten Disziplinarstrafen, wenn sie sich öffentlich politisch äußern.
Courage zeigen Startseite

Dürfen Lehrkräfte öffentlich Schule kritisieren?

Viele Lehrkräfte wären gerne mutig. Zu kritisieren hätten sie genug. Aber wer weiß, was man sich da einhandelt? Hat man nicht schon oft gehört von Disziplinarverfahren wegen öffentlicher Meinungsäußerung? Vier Konfliktfälle zeigen exemplarisch, was geht, was nicht geht – und unter welchen Voraussetzungen der Dienstherr nichts zu melden hat.

Die Streitfälle

Fall 1: Verordnungen ignoriert
In einer Rede formuliert ein BLLV-Bezirksvorsitzender kritisch und pointiert: „Wer heute pädagogisch handelt, muss zwangsläufig gegen Verordnungen verstoßen.“ Der Bezirksvorsitzende und Rektor einer Schule wird in einer überregionalen Zeitung zitiert. Zu lesen ist auch die Forderung, Lehrerinnen und Lehrer sollten „nur das tun, was dem Schüler nutzt“, statt sich als „Erfüllungsgehilfen anonymer Bestimmungen oder als blind gehorsamer Diener der Schulverwaltung“ zu betrachten. „Oberster Dienstherr“ sei der Schüler, der Lehrer sei „der Anwalt des Kindes“. Prompt leitet die zuständige Bezirksregierung ein Vorermittlungsverfahren wegen Verletzung der beamtenrechtlichen Pflichten ein und fordert eine Stellungnahme.

Fall 2: Dienstweg umgangen
In einer Schulleiterrunde kommt man überein, sich direkt an den Kultusminister zu wenden, um die Belastung sowie weitere massive schulische Probleme darzustellen. Die Folge: jeder einzelne Schulleiter wird in die Regierung einbestellt und auf seine beamtenrechtlichen Pflichten hingewiesen. Vor allem die Nichteinhaltung des Dienstwegs wird als grobe Dienstpflichtverletzung gewertet.

Fall 3: Leserbrief geschrieben
Ein Lehrer nennt in einem kritischen Leserbrief über die aktuelle Schulsituation Fakten seiner Schule. Der Leserbrief ist nur mit seinem Namen, nicht mit seiner Amtsbezeichnung unterschrieben. Nach der Veröffentlichung wird er von seinen Vorgesetzten zu einer Stellungnahme aufgefordert, er habe gegen seine Loyalitätspflicht verstoßen.

Fall 4: Streitschrift verfasst
Eine Grundschullehrerin schreibt ein Buch über die Schulsituation in Bayern und geht darin unter anderem mit Übertrittsverfahren und Leistungsmessung hart ins Gericht. Sie zeigt, woran es im bayerischen Schulsystem krankt und wie man das ändern könnte. Das Buch wird viel beachtet, die Kollegin wird in bundesweit ausgestrahlte Talkshows eingeladen und berichtet dort offen über ihre Erfahrungen und Ansichten. Zu denen gehört auch eine Strafversetzung wegen ihrer öffentlichen Kritik und Ablehnung bei Vorgesetzten und zum Teil auch im Kollegenkreis.

Und so gingen die Fälle aus

Häufig halten Vorgesetzte den Schulleitern oder den Lehrkräften vor, sie hätten gegen ihre Gehorsamspflicht, gegen die Loyalitätspflicht, gegen das Mäßigungsgebot bei politischer Betätigung, gegen die Amtsverschwiegenheit und vieles mehr verstoßen. Ihr Verhalten wird dienstrechtlich „gewürdigt“, in manchen Fällen heißt das schlicht: Disziplinarstrafe.

Die BLLV-Rechtsabteilung ist schon mit einer Reihe solcher Fälle betraut worden, stets wurde die Disziplinarmaßnahme verhindert, wenn die Betroffenen als Mandatsträger des BLLV handelten. Wer Kreisvorsitzender ist, Schulleitersprecher oder Bezirksvorsitzender, kann sich pointiert und kritisch äußern. Mandatsträger sind geschützt durch § 52 des Beamtenstatusgesetzes. Darin heißt es: „Beamtinnen und Beamte haben das Recht, sich in Gewerkschaften oder Berufsverbänden zusammenzuschließen. Sie dürfen wegen Betätigung für ihre Gewerkschaft oder ihren Berufsverband nicht dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden.“ Mit Hinweis auf diesen Paragraphen hatte die BLLV-Rechtsabteilung Erfolg im ersten Fall.

Auftreten als „Reichsbürger“ verboten
Der zweite Fall hätte ebenso folgenlos geendet, wären die Kollegen als BLLV-Schulleiter in Erscheinung getreten und hätten sich direkt an den Minister gewandt. Dann wäre auch der Vorwurf obsolet gewesen, man hätte den Dienstweg einhalten müssen.

Im dritten Fall kann sich der Beamte als Bürger im Rahmen der freien Meinungsäußerung selbstverständlich auch in einem Leserbrief kritisch mit dem Schulsystem auseinandersetzen, solange er dabei nicht seine berufliche Situation kritisiert und nicht den Eindruck erweckt, als Beamter beziehungsweise als Lehrer zu kritisieren (etwa durch Verwendung seiner Amtsbezeichnung). Inwieweit gegen die Amtsverschwiegenheit tatsächlich verstoßen wurde, muss im konkreten Einzelfall durchleuchtet werden. Sind benannte Fakten wahr, offenkundig oder erwirken wegen ihrer mangelnden Bedeutung keine Verschwiegenheitspflicht, kann der Leserbriefschreiber ebenfalls nicht belangt werden.

Im vierten Fallbeispiel hat die enorme öffentliche Resonanz in den Medien sicher dazu beigetragen, dass die Kollegin nach wie vor auch mit Anfeindungen durch Vorgesetzte und durch manche Kolleginnen und Kollegen zu kämpfen hat, dass sie aber von offiziellen disziplinarrechtlichen Konsequenzen verschont blieb. Auch politische Betätigung – außerhalb von Schule und Unterricht – ist jeder Lehrkraft als Bürgerin oder Bürger selbstverständlich möglich, also auch aktive oder passive Mitgliedschaft in einer Partei.

Jedoch muss die Beamtin oder der Beamte innerhalb und außerhalb des Dienstes ihr beziehungsweise sein gesamtes Verhalten der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung unterordnen und für deren Erhaltung eintreten. So ist es beispielsweise nicht gestattet, außerhalb des Dienstes als „Reichsbürger“ aufzutreten und sich als solcher zu verhalten. Da sagt der Dienstherr zu Recht, dass die staatsfeindliche Einstellung nicht vereinbar ist mit den beamtenrechtlichen Pflichten und dem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Wo Zurückhaltung geboten ist
Soweit die Grundordnung geachtet wird, ist dem Lehrer als Bürger aber selbstverständlich politische Betätigung erlaubt. Dabei hat ein Beamter jedoch in der Öffentlichkeit ein Mindestmaß an Besonnenheit und Sachlichkeit zu wahren. Krasse Entgleisungen oder böswillige Diffamierungen und Beleidigungen würden die Grenzen zulässiger Kritik überschreiten. Je näher die Aussagen dem dienstlichen Bereich zuzuordnen sind und je höher der Beamte in der Hierarchie steht, umso zurückhaltender muss sich der Beamte äußern.

Hans-Peter Etter ist verbandspolitischer Leiter der BLLV-Rechtsabteilung.

 

Der Text entstammt dem Verbandsmagazin Bayerische Schule, Ausgabe 6/2017.