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Märchen von der Unterrichtsbefreiung Startseite
Hygieneregeln

„Ein Politiker darf sich nicht so respektlos gegenüber Lehrern äußern!“

Erst Fakten prüfen, dann reden: Friedrich Merz fabuliert von „zu vielen“ Lehrkräften, die vom Unterricht befreit seien. Die Süddeutsche Zeitung liefert Zahlen, für BLLV-Präsidentin Fleischmann ist die Aussage respektlos, gemein und kontraproduktiv.

Man kann nur spekulieren, warum ein Politiker, der gerne CDU-Vorsitzender und vielleicht Kanzler werden möchte, sich genötigt sieht, derart in die unterste Schublade der Populismus-Kiste zu greifen und das Klischee vom faulen Lehrer hervorzukramen: „Es bleiben einfach zu viele zu Hause“, sagt Friedrich Merz der BILD-Zeitung zum Thema Lehrkräfte in der Pandemie-Situation.

Egal, ob aus taktischen Gründen auf der Suche nach medialer Präsenz (schlimm) oder inhaltlich ernst gemeint (schlimmer), die Folgen sind fatal: Gerade hat eine forsa-Umfrage im Auftrag des BLLV-Dachverbands VBE belegt, dass Gewalt gegen Lehrkräfte weiter zunimmt, da beschädigt ein Politiker, der sich des medialen Echos seiner Aussagen wohl bewusst sein muss, das Image der Kolleginnen und Kollegen aufs Schwerste, wie BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann klarstellt:

Wo die Sprache verroht, verroht auch der Umgang miteinander

„Es geht bei dieser Diskussion nicht nur darum, dass Lehrer mal von einem Schüler ans Bein gekickt oder beim Elternabend von Eltern angebrüllt werden“, sagt Fleischmann dem Münchner Merkur in einem Gespräch über die Gewalt-Studie. „Sondern es hat auch damit zu tun, wie die Gesellschaft in Gänze mit Lehrerinnen und Lehrern umgeht. Wenn ein Herr Merz, der sich anschickt, Kanzlerkandidat zu werden, öffentlich sagt, das sich viele Lehrer ohne triftigen Grund einfach krankschreiben lassen und wegen der vagen Angst vor Corona nicht mehr zum Schulunterricht erscheinen, dann ist das eine Frechheit. Das ist geradezu eine Einladung, der Lehrerin der 3c zu sagen, wo der Bartl den Most holt!“

Denn auch hinsichtlich Gewalt ist Schule ein Spiegel der Gesellschaft: Studien belegen, dass die Verrohung von Sprache einen großen Anteil daran hat, dass sich diese Spirale immer weiter dreht. Gerade Personen des öffentlichen Lebens, und noch mehr die, die in politischer Verantwortung das Zusammenwirken von Gesellschaft und ihren Bildungsinstitutionen konstruktiv zu gestalten in der Pflicht sind, haben hier eine Vorbildfunktion.

Die Zahlen sagen etwas anderes

„Ein hochrangiger Politiker darf sich nicht so respektlos gegenüber Lehrern äußern“, kritisiert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann daher. „Zumal gar nicht stimmt, was Merz sagt. In Bayern sind aktuell gerade mal 0,9 Prozent der Lehrer mit Attest freigestellt.“

Diese Zahl bestätigt auch die Süddeutsche Zeitung, die für alle Bundesländer die absoluten und prozentualen Daten befreiter Lehrkräfte und abgelehnter Anträge listet, und von Gegenbeispielen berichtet, in denen Lehrkräfte aus Risikogruppen sich ganz bewusst trotzdem im Präsenzunterricht vor ihre Klassen stellen. Im Schnitt der 16 Länder sind lediglich 1,7 Prozent der Lehrkräfte freigestellt. Um hier die Vokabel „viele“ als unzutreffend zu erkennen, muss man noch nicht einmal Wirtschafts- oder Finanzexperte wie Merz sein.

Dem Mangel das Wort geredet

Besonders ärgerlich ist dessen Fehldarstellung aber vor allem mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen, die derzeit in den Klassenzimmern mit höchstem Einsatz versuchen, Schulbildung unter massiv erschwerten Bedingungen zu gewährleisten: Denn schon vor den Corona-Maßnahmen, die jetzt an Schulen enorme Mehraufwände bedeuten, herrschte deutschlandweit Lehrermangel. Einer der Hauptgründe, neben bildungspolitischen Fehlern in der Vergangenheit, ist der Mangel an Nachwuchs. Der Lehrberuf ist in Deutschland für junge Menschen schlicht nicht attraktiv genug.

Hier lohnt ein Blick zu europäischen Nachbarn. Wenn wie in Skandinavien Lehrkräfte als „Kerzen der Gesellschaft“ gefeiert werden und der Berufsstand zu den angesehensten des Landes gehört, dann sind die Unis voller Lehramtsstudenten. Verbale Angriffe auf Lehrkräfte bleiben dort selten unwidersprochen, weil sie als gesamtgesellschaftlich kontraproduktiv erachtet werden – politische Karrieren lassen sich darauf keinesfalls gründen.

Nur Verlierer

„Das ist eine Geringschätzung von Lehrern“, ärgert sich Simone Fleischmann daher über die Aussagen von Friedrich Merz. „Es ist gemein, ihnen so etwas zu unterstellten.“

Die Äußerungen des Politikers gehen letztlich zu Lasten aller: der Lehrerinnen und Lehrer, die sich an den Schulen abmühen; der Kolleginnen und Kollegen mit hohem Gesundheitsrisiko, die pauschal abgeurteilt werden; der Schulkultur, die davon lebt, dass gegenseitiger Respekt und Achtung vor der Würde des einzelnen vorgelebt werden; und nicht zuletzt der Kinder und Jugendlichen jetzt und in Zukunft, deren Bildungswege von möglichst vielen begeisterten Pädagoginnen und Pädagogen begleitet werden sollen.

» Süddeutsche Zeitung: „Risiko Unterricht“
» Münchner Merkur: „Wenn Schüler und Eltern ausrasten" (kostenpflichtig)

 

Weitere Informationen

Gewalt an Schulen: „Wir dürfen nicht schweigen“

BLLV-Themenseite: Gewalt gegen Lehrkräfte

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