Mia Gerhardt setzt sich für die Leseförderung in Casadeni ein
Kinderhaus Casadeni in Ayacucho / Peru Startseite klein

Letztendlich Lesefreude

Frühe Leseerfahrungen teilen: Mia Gerhardt ist seit November Praktikantin im Kinderhaus Casadeni. Dort engagiert sie sich vor allem in der Leseförderung. Als Tochter einer Grundschullehrerin weiß sie, wie prägend Leseeindrücke aus der Kindheit sind. Ein Praktikumsbericht

In Peru ist es nicht üblich, Bücher zu lesen. In Ayacucho, immerhin eine Stadt mit 151.000 Einwohnern, gibt es keine Bücherläden. So reiste Mia Gerhardt mit 16 Kinderbüchern in spanischer Sprache und einem Atlas aus Deutschland an. Finanziert wurden die Bücher aus dem Erlös einer Bastelaktion. Mia Gerhardt erzählt.

Die Organisation meiner Büchermission war schnell erledigt: Im Rahmen des Ferienprogramms der Casadeni habe ich eine "Hora de lectura", zu deutsch: Lesestunde, angeboten. Anfänglich war ich sehr skeptisch: Wie bekomme ich Kinder zum Lesen, die noch nie in ihrer Freizeit gelesen haben? Interessiert sie das überhaupt? Und haben wir die richtigen Bücher in Deutschland ausgewählt?

Meine Befürchtung, dass niemand teilnehmen würde, war unbegründet. Kurz vor Beginn des Programms war die höchstmögliche Teilnehmerzahl voh 12 Kindern erreicht. Die erste Lesestunde fiel mit den Vorbereitungen zum hiesigen Karneval zusammen. Kurzfristig hatte man die Lesestunde von Mittwoch auf Freitag verlegt, weshalb nur sechs Kinder kamen. Das war aber halb so schlimm, denn so konnte ich mein Konzept zunächst in einer kleineren Gruppe ausprobieren.

Zunächst gab ich den Kindern Zeit, sich die Bücher anzuschauen. Schnell merkte ich, dass sie anscheinend keine Ahnung hatten, was man eigentlich mit Büchern macht. Sie kannten nur ihre Schulbücherr - und war ja mit Arbeit und Lernen verbunden. So blätterten den Kinder fast hektisch durch die Bücher, schauten sich die Bilder an und legten sie wieder weg.

Ich erklärte ihnen, dass Bücher für mich etwas Schönes und Kostbares seien. Mit ihren Geschichten zum Nachdenken und Spaß haben, zum Entdecken oder Trösten, seien sie für mich fast wie ein guter Freund. Die Kinder schauten mich mit großen Augen an. Ein Mädchen fragte schüchtern, ob ich denn in meiner Freizeit lesen würde? Ich erzählte, dass ich von klein auf lese. Viel lese!

Auch Bücher wie "Der Regenbogenfisch", der da vor ihnen auf dem Tisch liege, gehöre zu meiner Kindheit. Was "Miss Mia" mal gemacht hatte, musste nun natürlich ausprobiert werden. Die Größeren fingen sogleich an, die Texte in den Büchern zu betrachten und sich gegenseitig vorzulesen. Die Kleineren schauten nicht nur die Bilder an, sondern begannen, die kurzen Bildunterschriften zu lesen - zunächst stockend, dann zunehmend begeisterter./sha

Doch die etwa siebenjährige Thalia zog nicht so richtig mit. Sie sah nicht aus, als ob sie wirklich Lust hätte. Also setzte ich mich zu ihr und fragte, ob wir zusammen ‚¿Puedo mirar tu pañal?‘ - Kann ich deine Windel sehen?- lesen wollten. Sie setzte sich auf meinen Schoß und bestimmte, dass ich ihr vorlesen sollte. Das war schon einmal ein Anfang!

Ich begann zu lesen - und mit jedem Satz merkte ich, wie sie immer mehr von der Geschichte gefesselt wurde. Ab der Mitte des Buches las sie einzelne Wörter mit und letztendlich begann Thalia selbst zu lesen: langsam, bei vielen Worten hadernd. Doch am Ende des Buches konnte sie jede Frage beantworten, die ich ihr stellte.

Besonders glücklich machte mich, dass sie das Buch behutsam zur Seite legte und gleich das nächste holte und fragte, ob wir das auch noch lesen könnten. Natürlich konnten wir. Es war ein Buch mit Aufklappbildern zum Thema Kontraste. Thalia las es vollkommen selbstständig. Ich durfte höchstens raten, was hinter den Klappen stand, wobei ich meistens falsch lag. Sehr zu ihrer Belustigung.

 

Als die Lesestunde fast vorbei war und ich ankündigte, dass wir nun die Bücher wieder wegpacken müssten, kam einstimmiger Protest. ‚Miss, solo este libro, por favor‘ - Miss, nur noch dieses Buch, bitte. Natürlich durften die Kinder ihre Bücher zu Ende lesen und dann beim Aufräumen helfen. Beim Abschied fragte mich ein Mädchen, ob in die nächste Lesestunde eine ihrer Freundinnen mitkommen dürfe. Sie wolle ihr unbedingt das Buch zeigen, dass sie gelesen hatte.

Letztendlich war die Lesestunde ein Erfolg. Das war eindeutig an den leuchtenden Augen der Kinder zu sehen, als sie die Bibliothek verließen. Vielleicht weckte die Bücherspende aus Deutschland ja die ein oder andere Leseratte? Allen Spendern und Unterstützern gilt jedenfalls mein großes Dankeschön. Felsenfest steht, dass wir alle uns auf die nächsten Stunden in der Bibliothek freuen.