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Mittelschule Bildungsgerechtigkeit Übertritt

Privatschulwerbung auf Kosten von Mittelschülern

Das Werbeplakat einer privaten Nürnberger Wirtschaftsschule diskreditiert pauschal alle Mittelschulen. BLLV-Präsidentin Fleischmann findet das „dreist und unverschämt“. Der BLLV hat dafür plädiert, Wirtschaftsschulen nicht schon ab der 5. Klasse freizugeben.

Ein deprimiert dreinschauender Junge fragt sich: „Hey, gibt’s nicht noch was anderes als ‘ne Mittelschule?“ Dieses Motiv hat die Sabel-Schule, eine private Wirtschaftsschule, in Nürnberg vielerorts plakatiert. Auf ihrer Website wirbt die Einrichtung mit dem Slogan „Unsere 5. Klasse – Die Alternative zur Mittelschule“.

Eigenwerbung, indem das Ansehen aller Mittelschülerinnen und Mittelschüler öffentlich herabgewürdigt und eine ganze Schulart pauschal diskreditiert wird? Für BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann ist das „dreist und unverschämt“, wie sie im Gespräch mit den Nürnberger Nachrichten klargestellt hat. „Niveaulos und arrogant“, findet die Aktion auch Schulamtsdirektor Thomas Reichert.

Zynisch, destruktiv und respektlos

Die Sabel-Schule setzt dabei auf einer Praxis auf, die aus Sicht des BLLV ohnehin pädagogisch zweifelhaft ist: Auf welche weiterführende Schule Kinder in Bayern gehen dürfen, hängt von der Durchschnittsnote in den Fächern Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachkunde ab. Schülerinnen und Schülern, die dabei nicht den Notenschnitt 2,66 verzeichnen, steht dann ausschließlich die Mittelschule offen. In diesem jungen Alter auf einer inhaltlich engen Grundlage und ausschließlich der Basis von Ziffernnoten über weitere Bildungswege zu entscheiden, wird dem modernen Verständnis konstruktiver Lernprozesse mit entsprechend individueller Entwicklungsrückmeldung in keiner Weise gerecht.

Dazu wird der Gang auf die Mittelschule öffentlich auch noch allzu oft stigmatisiert, was für die Schülerinnen und Schüler eine zusätzliche Hypothek auf ihrem Bildungsweg bedeutet. Genau dieses verheerende öffentliche Stigma für eine vergleichende, abwertende Eigenwerbung zu nutzen, ist an Zynismus kaum zu überbieten. „Hier wird das gesellschaftliche Standing der Schüler ausgenutzt“, urteilt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann dementsprechend.

Abwerbeversuche vorhersehbar

Jeglicher Einsatz für Bildungschancen von Mittelschülerinnen und Mittelschülern wird durch solche Aktionen konterkariert. "Wir kämpfen seit Jahren dafür, dass diese Schüler die gleiche Wertschätzung in der Gesellschaft erfahren wie Gymnasiasten", berichtet Fleischmann den Nürnberger Nachrichten. Dabei geht es zuvorderst darum, die Rahmenbedingungen für Bildungserfolge an dieser Schulart zu verbessern. Denn die Politik übt sich aus Sicht des BLLV zwar gerne in Sonntagsreden im Lob der besonderen Qualifikationen, die die Mittelschule vermittle, unternimmt aber wenig Konkretes, um die Möglichkeiten dazu im praktischen Schulbetrieb zu verbessern.

Dazu gehört aus Sicht des BLLV auch, die Konkurrenz unter verschiedenen Schularten nicht künstlich anzuheizen. Aus diesem Grund hatte sich der BLLV immer wieder vehement gegen Bestrebungen gewehrt, die Wirtschaftsschule schon aber der 5. Jahrgangsstufe beginnen zu lassen. Denn Konkurrenzverhalten war in der Konsequenz schlicht absehbar – auch wenn die Sabel-Schule dabei nun noch weiter gegangen ist, als Experten das befürchtet hatten.

BLLV argumentierte gegen früheren Beginn der Wirtschaftsschule

Mit den Stimmen der Staatsregierung inklusive der FDP-Fraktion wurde im Landtag am 24. Juli 2020 die Einführung der Wirtschaftsschule ab der 6. Klasse beschlossen. Im Dezember 2021 wurde durch ein Urteil des Beyerischen Verwaltungsgerichtshofes einer Klägerin die Genehmigung zum Betrieb einer sechsstufigen Wirtschaftsschule als Ersatzschule erteilt, die dementsprechend ab der 5. Jahrgangsstufe besucht werden konnte. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann stellte dazu klar: „Jede Ausweitung der Wirtschaftsschule schadet der Mittelschule und ist eine öffentliche Herabsetzung dieser angeblich so geschätzten Schulart.“ Diese Analyse hat sich nun auf traurige Weise bewahrheitet.

Fleischmann richtete ihre Kritik darüber hinaus auch direkt an Kultusminister Piazolo: “Wer als zuständiger Minister die Konkurrenz zwischen den Schularten anheizt, trägt nicht zur Stabilisierung des differenzierten Schulsystems bei, er gefährdet vielmehr dessen Zukunft. Aus BLLV-Sicht stellt sich die Frage: Was will man eigentlich? Das staatliche Schulsystem mit seiner Durchlässigkeit stärken oder einer bestimmten Schulart das Wasser abgraben?“

Werbe-Aktion schädigt alle an den Mittelschulen

Daher ist es nun an Kultusminister Piazolo, die Praxis der Sabel-Schule zu unterbinden. „Diese Art der Werbung ist für unsere Schulen in Bayern nicht angemessen“, stellt Simone Fleischmann klar.

Doch aus dem Kultusministerium heißt es bislang nur, man habe keine Handhabe gegen Werbemaßnahmen privater Schulen. Das dürfte allerdings ein bisschen wenig sein, um dem Eindruck entgegenzuwirken, den das besagte Plakat über Nürnberg hinaus auf Mittelschülerinnen und Mittelschüler macht – und auf alle, die sich an Mittelschulen tagtäglich für bestmögliche Bildung engagieren und dafür eigentlich besondere Wertschätzung verdient hätten. „Das trifft uns alle in Mark und Bein“, resümiert Simone Fleischmann.

» zum Artikel der Nürnberger Nachrichten (kostenpflichtig)


PRÄZISIERUNG 8.7.22: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels war die Darstellung, wie es dazu kam, dass Wirtschaftsschulen ein Angebot ab der 5. Jahrganggstufe anbieten konnten, ungenau. Wir haben die Stelle präzisiert mit dem Hinweis auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes. 
 



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