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Mittelschulen nachhaltig aufwerten statt ständig Löcher stopfen

Dass an Mittelschulen seit diesem Schuljahr ohne Lehramtsstudium unterrichtet werden kann, zeigt vor allem, was die Politik verschlafen hat, stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann klar und warnt vor Folgen für die Bildung von Kindern und Jugendlichen.

„Eigentlich können wir jeden brauchen – und genau das ist das Problem“, sagt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Interview mit dem Radiosender Bayern 1, der über die Situation an den bayerischen Mittelschulen berichtet und die Sondermaßnahme der Quereinsteiger untersucht. Dass seit diesem Schuljahr Menschen ohne Lehramtsstudium vor Schülerinnen und Schülern an Mittelschulen stehen können, zeige vor allem, wie groß die Personalnot ist, so Fleischmann gegenüber BR24:

„Wir haben Lehrermangel im Grund-, Mittel- und Förderschulbereich, das leugnet niemand mehr, auch nicht der Kultusminister. Alle Maßnahmen, die man jetzt schon seit Jahren und nun vermehrt anwendet, zeigen genau, dass wir mit den Lehrerinnen und Lehrern, die dezidiert für die Grundschulen, für die Mittelschulen und für die Förderschulen studiert haben, nicht mehr auskommen.“

Wer unterrichtet hier warum?

Natürlich müsse man daher auch Notmaßnahmen ergreifen: „Ein Mensch vor der Klasse ist besser als keiner“, räumt Fleischmann ein. Doch im Sinne der Kinder und Jugendlichen sollte man genauer hinschauen, wer mit welcher Qualifikation und Motivation vor diesen stehe.

„Es gibt ja mehrere Maßnahmen“, erläutert die BLLV-Präsidentin. „Darunter sind echte Quereinsteiger-Maßnahmen, bei denen Menschen mit Master- oder Diplomabschluss in Sommerseminaren auf den Einsatz in Mittelschulen in Bayern vorbereitet werden. Das führt durchaus zu qualifizierten Kolleginnen und Kollegen und auch zu einer Bildungsqualität, die wir befürworten können. Dagegen ist es bei der Zweitqualifikation zum Beispiel ein Gymnasiallehrer, der vielleicht kein passendes oder gar kein Angebot im Gymnasium bekommen hat, und dann eben an die Mittelschule gegangen ist, um dort zu unterrichten.“

Woher die Leute nehmen?

Letzteres ist oft auch keine nachhaltige Lösung, und zwar aus Gründen der fehlenden finanziellen Gleichstellung: „Davon gehen sehr viele – in Oberbayern fast alle – nach einer gewissen Zeit wieder zurück ans Gymnasium“, berichtet Simone Fleischmann. „Dabei spielt natürlich die Bezahlung eine Rolle, weil sie dort höher besoldet sind. Das ist das große Problem, dass die Kolleginnen und Kollegen an den Grund- und Mittelschulen deutlich weniger verdienen, nämlich Besoldungsgruppe A12, und die Realschule und Gymnasium A13.“

Die Situation verschärfe sich außerdem durch die aktuellen Herausforderungen an den Schulen zusätzlich, gibt die BLLV-Präsidentin zu bedenken: „Wir suchen an Mittelschulen jetzt auch noch Menschen, um den Folgen von Corona entgegenzuwirken im Rahmen des Programms ‘Brücken bauen‘, und zugleich Drittkräfte für die Willkommensgruppen. An manchen Mittelschulen ist das sehr schwierig. Das sind alles Baustellen, weil in Bayern Lehrermangel herrscht.“

Alle Lehrer sind Lehrer

Hier hat die Politik „jahrzehntelang geschlafen“, stellt Simone Fleischmann klar. Ein Grund für die Schieflage zwischen den Schularten ist ganz klar die ungerechtfertigte unterschiedliche Bezahlung: „Es geht um die Gleichwertigkeit der Lehrämter, die sich aus der Gleichwertigkeit des Studiums ergibt“, argumentiert die BLLV-Präsidentin. „Es gibt, was das Studium angeht, überhaupt keinen Unterschied zwischen einem Realschullehrer und einem Mittelschullehrer. Warum dann in der Besoldung? Wir brauchen für alle die gleiche Besoldung, also alle A13 für alle Kolleginnen und Kollegen, die starten, egal ob in Grundschule, Mittelschule, Realschule oder Gymnasium.“

Zudem müssten die Lehrämter durchlässiger werden, daher müsse auch das Studium reformiert werden: „Wir brauchen eine Lehrerbildung, die sich quantitativ und qualitativ verändert“, sagt Fleischmann. „Der BLLV fordert ein flexibles Lehrerbildungsmodell. Dabei geht es auch um eine Flexibilisierung hinsichtlich der späteren Einsatzschulart und eine hochwertige Qualität in der Lehrerbildung.“

Professionelle, zeitgemäße Pädagogik ermöglichen

Um Lehrkräfte an Mittelschulen zu halten braucht es aus Sicht des  BLLV außerdem deutlich bessere Arbeitsbedingungen, damit sie die Chance haben, dem pädagogischen Anspruch dort auch gerecht zu werden: „Ein Lehrer an einer Mittelschule fährt dann zufrieden nach Hause, wenn er die Kinder mitnehmen kann, wenn es multiprofessionelle Teams gibt, wenn es Kleingruppen gibt, wenn er sich mit Ärzten, Psychologen und Therapeuten austauschen kann, die mit diesen Kindern arbeiten“, berichtet Simone Fleischmann. „Denn Schülerinnen und Schüler mit hohem Bedarf brauchen auch mal zwei Lehrer pro Klasse, zum Beispiel mit einem Förderlehrer, der dann aber nicht woanders zum Löcher stopfen als Klassenlehrer eingesetzt sein darf! Sie brauchen Kleingruppen für eine leistungsgemäße Differenzierung, sie brauchen exzellenten Fachunterricht. Die Mittelschule muss doppelt so gut ausgestattet sein, damit die Arbeitsbedingungen attraktiv sind und damit junge Leute sagen: ‘Das ist das, was ich in meinem Leben gerne als Berufung und Beruf machen möchte.‘“

Die Folgen der politischen Versäumnisse tragen dabei Kinder und Jugendliche: „Der Lehrermangel ist eklatant und es wird sich an der Bildungsqualität nachhaltig zeigen, das hier in den letzten Jahrzehnten in den Staatsregierungen Fehler gemacht wurden“, warnt Simone Fleischmann und fragt: „Welche Defizite entwickeln die Schülerinnen und Schüler auf lange Strecke, wenn wir zu wenige oder nur bedingt qualifizierte Menschen vor der Klasse stehen haben?“

Besser als nichts ist nicht gut

Die Hilfe durch Personen, die über Programme wie Quereinstieg und Zweitqualifikation an Schulen kommen, ist dabei in der aktuellen Notlage natürlich erstmal willkommen, sagt die BLLV-Präsidentin: „Wir sind jetzt froh, wenn wir Quereinsteiger, Zweit-Qualifikanten, und weitere Sondermaßnahmen haben – denn alleine schaffen wir es aktuell gar nicht!“

Zugleich stellt sie klar: „Das sind Notmaßnahmen, das hat nichts mit professionellem Bildungsmanagement zu tun.“