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Demokratie zum Kern des Schulgeschehens machen

Beim Lernforum „Schule für die Demokratie“ zeigten Experten und besondere Gäste wie das Ehepaar Uthoff um Initiator Fritz Schäffer, Leiter der BLLV-Abteilung Schul- und Bildungspolitik, wie Demokratie vom Einzelprojekt zum gelebten Schulalltag wird.

Für eine werteorientierte Gesellschaft von Morgen braucht es angesichts derzeitiger populistischer und extremistischer Strömungen einen höheren Stellenwert für demokratische Bildung an Schulen – das ist zwischen Pädagogik, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft weitgehend Konsens.

Um zu zeigen, wie genau demokratische Grundsätze als Lern- und Reflexionsinhalte, als Unterrichtsprinzip und vor allem als Leitgedanke schulischen Lebens etabliert werden können, hatte Fritz Schäffer, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik, gemeinsam mit der Deutschen Schulakademie und dem Deutschen Schulpreis das Lernforum „Schule für die Demokratie“ initiiert: Am 11. April 2019 trafen sich rund 200 Lehrkräfte, Politiker, Wissenschaftler und leidenschaftliche Demokraten im Anton-Fingerle-Bildungszentrum in München, um sich in Vorträgen und Workshops in Sachen Demokratiepädagogik weiterzubilden.

Herz und Charakter bilden

Nach der Begrüßung durch Klaus Wild, Leiter des Regionalbüros der Deutschen Schulakademie, und Wolfgang Beutel, Geschäftsführer des Wettbewerbs „Förderprogramm Demokratisch Handeln“, betonte Ministerialdirektor Herbert Püls für das Kultusministerium in seinem Grußwort, dass Demokratie und Schule untrennbar zusammengehörten. Zum einen müsse Schule junge Menschen zu verantwortungsbewussten, mündigen Bürgern erziehen, zum anderen Menschen im Engagement für den demokratischen Rechtsstaat unterstützen.

Er verwies dazu auch auf Artikel 131 der Bayerischen Verfassung, nach dem Schulen „auch Herz und Charakter bilden“ sollen. Hier komme es aber auf die praktische Umsetzung an. Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus unterstütze diese durch Material für den LehrplanPLUS, Schülerwettbewerbe sowie neue Online-Angebote wie politischebildung.schulen.bayern.de unter dem Motto „Mitdenken! Mitreden! Mitgestalten!“. Püls unterstrich, wie wichtig heute „aufgeklärte, selbstbewusste, junge Demokraten“ seien und dankte dem BLLV, dass er sich dafür einsetzt.

Demokratie zum Kern des Schullebens machen

Wie nötig dieser Einsatz ist, erläuterte Lernforums-Initiator Fritz Schäffer in seiner Eröffnungsrede. Er rekurrierte auf eine Aussage von Kultusminister Michael Piazolo, der Demokratiepädagogik als „Kernaufgabe“ an Schulen bezeichnet hatte. „Da haben wir aber noch ein gutes Stück weg vor uns“, konstatierte Schäffer. „Wir müssen mehr tun, um mit Demokratie wirklich zum Kern im Alltag schulischen Handelns vorzudringen“. Er berichtete, dass Demokratiepädagogik in der Praxis häufig in Form von Projekten und Wettbewerben stattfinde, die zeitlich und in der Zahl der damit erreichten Schülerinnen und Schüler, begrenzt seien. Im Fall gesellschaftlicher Anliegen würden generell oft limitierte Projekte initiiert, in der irrigen Annahme, dass der Fall damit erledigt sei. Dass Lehrerinnen und Lehrer angesichts der hohen Zahl solcher Zusatzaufgaben beklagten, sie kämen nicht zum „Kerngeschäft“, zeige, dass das Kerngeschäft offensichtlich etwas anderes sei:

„Wir müssen wegkommen vom Lernen, Abprüfen, Zertifizieren“, forderte Schäffer. Statt der Konzentration auf Fachinhalte müssten überfachliche Kompetenzen ins Zentrum von Schule rücken. Bei einer zentralen Forderung des BLLV zur Demokratiepädagogik, die Bedeutung des Bildungsziels Demokratie aufzuwerten, konstatierte Schäffer bei allen Beteiligten „zu viel Rhetorik und zu wenig reales Handeln.“

 


Mehr Partizipation & demokratische Lehrerbildung

Zur Forderung, das Fachwissen über demokratische Prozesse bei Schülerinnen und Schülern zu stärken, kritisierte Schäffer, dass Politische Bildung in Bayern deutschlandweit die wenigsten Stunden zugewiesen bekommt. In Sachen Partizipation bemängelte Schäffer, dass dem Landesschülerrat Kompetenzen, Ressourcen und Zuständigkeiten fehlen. Zudem brauche es dringend einen Landeselternrat. Gerade mit Blick auf das demokratische Prinzip der Partizipation gelte: „Wir müssen mehr Demokratie wagen an den Schulen!“

Außerdem brauche es auch ein verändertes Lehrerbild und entsprechend eine andere Lehrerbildung. Diese gehorche selbst momentan nicht demokratischen Prinzipien, bemängelte Fritz Schäffer. Demokratie müsse an Schulen zur täglichen Lebensform werden und ins Zentrum des schulischen Alltags rücken. Schäffers Fazit und Auftrag für die anschließenden Workshops lautete daher: „Eine demokratische Gesellschaft braucht eine Schule der Demokratie!“

Gleichberechtigung und Mitbestimmung als innere Haltung

Für den Hauptvortrag konnte der BLLV den Kabarettisten Max Uthoff und seine Frau Tina Uthoff gewinnen, die als Grundschullehrerin in Elternzeit dem Verein „Demokratische Schule München“ beigetreten ist, ihn als Vorstandsvorsitzende repräsentiert und sich für selbstbestimmtes Lernen engagiert. Als zentralen Grundsatz dazu formulierte sie: „Jeder Mensch ist von Anfang an Subjekt seines Lebens und soll demzufolge in allen Bereichen mitsprechen und mitbestimmen. So lernt er, sich in gleichwürdigen Beziehungen wirksam zu fühlen und Verantwortung für sich und die Gemeinschaft zu übernehmen.“

Damit dies an Schulen umgesetzt werden könne müssten die Grundwerte der Demokratie wie Gleichberechtigung und Mitbestimmung zu einer eigenen inneren Haltung werden, forderten Max und Tina Uthoff.  Wenn die Schule als Institution, der Lehrplan und Lehrer den Schülern alles vorgäben, dann könne man nicht davon ausgehen, dass Schüler plötzlich mündige Bürger seien, nur weil sie 18 Jahre alt geworden sind, stellte Tina Uthoff klar.

Eine Wahl zu haben, verändert alles

Max Uthoff zeigte sich kritisch, was derzeitige gesellschaftliche Entwicklungen angeht: „Vertrauen in Kinder ist der Weg, diese Zersetzung umzukehren, damit sie Menschen mit Vertrauen begegnen und nicht mit Kontrollmechanismen“, sagte er. Eine tragfähige Demokratie sei kein Selbstläufer, daher seien beispielsweise die Aktivitäten von Jugendlichen bei den „Fridays for future“-Demonstrationen unbedingt unterstützenswert. „Eine progressive Gesellschaft bekommen wir nur, wenn wir jetzt bei den ganz Kleinen anfangen.“

Als Vorbild für die Umsetzung an Schulen verwies Tina Uthoff auf die griechische Polis: „Alles, was uns angeht, besprechen und bestimmen wir gemeinsam.“ Daher sei ihr Ideal einer demokratischen Schule die „totale Gleichberechtigung“. Das sei allerdings nichts, was man unterrichten könne. Stattdessen müssten Schüler entscheiden, was, wann, wo, wie und sogar ob gelernt wird. Zu dem im Auditorium kontrovers aufgenommenen letzten Punkt schilderte Tina Uthoff ein Experiment aus ihrer Zeit als Grundschullehrerin. In Absprache mit den Eltern hatte sie jedem Kind pro Schuljahr fünf „Jokertage“ zugestanden, an dem sie nicht zur Schule kommen mussten. Nur zwei Schüler hätten am Ende alle Joker gezogen, einige keinen einzigen und niemand alle in der ersten Woche, wie Kritiker befürchtet hatten. Die positiven Folgen für den Unterricht waren für Tina Uthoff enorm, denn: „Die Schüler waren jeden Tag da, weil sie es wollten. Sie hatten eine Wahl – und das hat alles verändert!“

Max Uthoff stützte den Ansatz in Erinnerung an seine eigene Schulzeit: „Gute Lehrer waren für mich die, die mich ernst genommen haben. Es gab zwei oder drei Lehrer, die mich als gleichwertig behandelt haben."


Eigener Weg im eigenen Tempo


Den Weg zu einer grundsätzlich demokratischen Schule müsse letztlich jeder Lehrer für sich selbst finden, stellte Tina Uthoff klar. Hier gebe es keine einfachen Rezepte. Wichtig sei vor allem die demokratische Grundhaltung des Lehrenden und die Bereitschaft, sich auch im Sinne des oft kritisierten „Schwellenunterrichts“, der erst in der Tür zum Klassenzimmer entwickelt werde, spontan auf Situationen einzulassen und einzustellen. Die Teilnehmer des Lernforums ermutigte sie zu einem „ersten Minischritt“: „Sehen sie ein Kind in ihrer Klasse an und denken sie dabei ‚Ich sehe dich, ich nehme dich wahr, ich interessiere mich für dich, ich nehme dich ernst‘ – und spüren sie hin, was das mit ihnen und dem Kind macht.“

Die teilweise provokanten bis radikalen Thesen von Max und Tina Uthoff beschäftigten viele Teilnehmer des Lernforums spürbar. Sie gaben für die anschließenden Workshops wertvolle Reflexionsanstöße und machten den Diskurs um das Lernforum-Thema „Schule für die Demokratie“ weit auf.

Workshops


Partizipation und demokratische Kultur an der Mittelschule mithilfe von Theaterpädagogik

Referenten: Pedram Aghdassi, Geschäftsführer Creative Change e.V.; Philip Blom, Künstlerische Leitung Creative Change e.V., Sabine Mühlich, Religionspädagogin Mittelschule Karlsfeld

Ein für jede Schülerin und jeden Schüler einer Klasse deutlich spürbares Gemeinschafts- und Glücksgefühl, ein Problem gemeinsam gelöst zu haben, wird zur Basis für eine langfristige demokratische Entwicklung einer ganzen Schule. Wie sie dieses hohe und scheinbar sehr komplexe Ziel mit einer grundlegenden theaterpädagogischen Methode in jährlich 80 Projektwochen an deutschen Schulen erreichen helfen, darüber berichteten Geschäftsführer Pedram Aghdassi und der künstlerische Leiter Philip Blom von Creative Change e.V.

Der Ansatz für die vier Doppelstunden pro Projektwoche: Jede Schule bestimmt vier für sie relevante Themen, eines davon die Schüler selbst. Häufig gewählt werden beispielsweise Cybermobbing, Rassismus, Fake News oder Diskriminierung, berichtet Pedram Aghdassi. Zu Beginn jeder der vier Doppelstunden spielen die Theaterpädagogen eine etwa fünf Minuten lange Szene zum gewählten Thema, die auf dem Höhepunkt des Konflikts gestoppt wird.

Schüler spielen ihre eigenen Ideen

Mit der Frage „Was war da gerade los?“ startet die angeleitete Analyse durch die Klasse in fünf Schritten: Zunächst Fakten sammeln, dann eine differenzierte Beschreibung von Wünschen, Ängsten und Motivationen aller beteiligten Personen, in der auch positive Eigenschaften von „Tätern“ erarbeitet werden sollen. Im dritten Schritt wird das Problem möglichst genau benannt.

Der Lösungsprozess folgt laut Aghdassi und Blom dem Muster „consultation – action – reflection“ (Beratung – Handlung – Reflexion): In Kleingruppen werden Vorschläge erarbeitet, wie sich eine bestimmte Person in der Szene anders verhalten könnte, um den Konflikt zu deeskalieren. Diese Ideen werden dann in einer neuen Version der Szene ausprobiert, wobei die Schülerinnen und Schüler die Rolle der Person, für die sie die Idee einer Verhaltensänderung ausgearbeitet haben, übernehmen und an die Stelle des Creative Change-Mitarbeiters treten.


Probleme gemeinsam lösen macht glücklich


Über die Handlungsalternativen berät die Klasse anschließend gemeinsam und entscheidet nach mehreren Varianten der Szene schließlich, welche Strategien sinnvoll sind und wie man daher mit dem geschilderten Konflikt insgesamt umgehen will. Pedram Aghdassi beschreibt den Effekt dieses Gruppenerfolges so: „Es entsteht ein regelrechtes Glücksgefühl: ‚Wir haben das zusammen gelöst!‘“

Auf dem Weg dahin kommt es laut Blom vor allem auf Feingefühl an, wenn Schüler ihre Handlungsalternativen selbst darstellen sollen. Denn oft könnten Ideen nicht sofort umgesetzt werden, sondern müssten erst eingeübt werden. Dafür sei der geschützte Raum, den die Methode im Gegensatz zu echten Konflikten schaffe, sehr wichtig. Denn die Themen würden von Klassen oft gewählt, weil es dazu konkrete Anlässe gebe. Die gespielte Szene sollte daher unbedingt von allen als eigenständiges Geschehen begriffen werden, in dem dezidiert keine konkreten Schülerinnen und Schüler gemeint sind. Nur so bleibe der Schutzraum erhalten. Dieses Verständnis sei auch für die beteiligten Lehrkräfte, die die tatsächlichen Probleme einer Klasse ebenfalls kennen, enorm wichtig.

„Man kann im Lauf der Doppelstunde dabei zusehen, wie die gesamte soziale Intelligenz der Gruppe wächst und wie sich ihre sozialen Strategien verfeinern“, beschreibt Pedram Aghdassi die Motivation der Mitarbeiter von Creative Change. Die Referenten betonten allerdings, dass eine Projektwoche nur als Impuls für einen längeren Prozess dienen könne, der von Lehrerinnen und Lehrern weiter begleitet werden müsse. Denn ein längerfristiges Engagement von Creative Change an Schulen scheitere meist an der Finanzierung, die von den Kultusministerien meist nur punktuell freigegeben werde.

Kompetente Klassensprecher machen Schulen demokratischer

In Hessen sei es allerdings gelungen, 15 Schulen dauerhaft zu betreuen und jede Woche 15-20 Schülern die Methodik der lösungsorientierten Gesprächsführung zu vermitteln und diese dann selbst in Projekte mit jüngeren Klassen an der jeweiligen Schule zu schicken. Hier sei der Vorteil, dass Schüler über „Insiderwissen“ über die Probleme an ihrer Schule verfügten. „Das Konzept ‚Peer Education‘ funktioniert hier perfekt“, resümiert Aghdassi.

Für einen langfristigen Prozess eines demokratischen Wandels arbeitet Creative Change mit der Mittelschule Karlsfeld zusammen, an der die erfahrene Religionspädagogin Sabine Mühlich das Projekt betreut, die dieses als höchst erfolgreich empfindet. An der Karlsfelder Schule wurde die theaterpädagogische Methode an zwei Projekttagen zum Auftakt auf die Schülermitverwaltung angewendet, die einen Schülersprecher bestimmen sollte. Die Theaterpädagogen boten in ihrer Szene klassische Schülertypen an, arbeiteten dann an Situationen, in denen Schülersprecher nicht weiterkommen, heraus, dass es für das Amt auf Fähigkeiten und Kompetenzen ankommt und nicht auf Verhalten oder Image.

Aus der dabei gewonnenen Erfahrung hat Creative Change Material erarbeitet, dass Schulen vor der Wahl von Klassensprechern nutzen können. Die Frage, worum es für einen Klassensprecher geht, was seine Aufgabe ist, hatten die Referenten eingangs des Workshops auch als Impulsfrage gestellt. Sie berichteten, dass nach dem Durcharbeiten des Materials häufig andere Schülerinnen und Schüler ins Amt gewählt würden als davor. „Klassensprecher sind die Basis der gesamten Schuldemokratie, weil sie die Qualität der gesamten Schülermitverwaltung bedingen und damit die Zusammenarbeit zwischen Kollegium und Schülern“, betont Pedram Aghdassi.

Schulleiter freut sich über weniger Streitfälle

Die langfristige Zusammenarbeit mit Schulen sei aber die Ausnahme, weil sie von Schulen hohen Einsatz verlange. Zudem herrsche die Angst, dass das Projekt Unruhe schaffen könne. Die Referenten betonten, dass ihr Ziel genau das Gegenteil sei und dies auch das Feedback der Schulleitung in Karlsfeld gewesen sei: „Ich habe jetzt weniger Schüler bei mir im Büro stehen als vorher“, so der dortige Schulleiter.

Insgesamt bemängelten Aghdassi und Blom die Schere zwischen den hoch gesteckten Zielen der Kultusministerien in den Bundesländern und den bereit gestellten Mitteln – wie etwa für Workshops mit Creative Change. „Wir fordern das Geld, damit die Ziele, die sich die Ministerien selbst setzen, auch erreicht werden können“, mahnt Pedram Aghdassi.

Anmerkung für Interessierte Schulen: Creative Change berät Schulen auf Anfrage auch hinsichtlich der Finanzierung durch die zuständigen Kultusministerien und reicht dort ggf. entsprechende Anträge ein.




Partizipation und demokratische Kultur am Gymnasium
Referenten: Christoph Bauer und weitere Schülerinnen und Schüler mit Sozialkundelehrer Tobias Pohl, Frankenwald-Gymnasium Kronach

Nutzung von Handys und Medien an Schulen ist ein umstrittenes Thema von Kollegien über Eltern und Gesellschaft bis in die Politik, die die Richtlinien dazu setzt. Aber was, wenn Schülerinnen und Schüler einfach selbst entscheiden dürfen, was erlaubt ist und was nicht?

Genau dieser Frage gingen Schülerinnen und Schüler der 12. Jahrgangsstufe des Gymnasiums Kronach in ihrem Projekt nach. Sie haben einen vollständigen demokratischen Prozess bis hin zu einem Gesetzesentwurf durchlebt.

Parteien, Wahlkampfbudget, Wahlscheine

Zunächst wurden Schülerinnen und Schüler der Schule in Workshops über das Thema und das Vorhaben informiert und erste Interessensgruppen gebildet. Dann wurden fünf Parteien gegründet, die die verschiedenen Positionen zum Thema abbildeten: von konservativer Ablehnung des Handys bis zur absoluten Freiheit der Handynutzung. Für den Wahlkampf erhielt jede Partei ein Budget von 200€ für z.B. Plakate, Becher, Süßigkeiten etc.

Dann wurde die Wahl selbst ausgerichtet: Wahlberechtigt waren alle Schülerinnen und Schüler, die Wahlbeteiligung war hoch. Zuvor mussten die Schüler auch einen Wahlschein entwerfen und am Wahltag wurden Ausweiskontrollen durchgeführt, um „echtes Wahl-Feeling“ zu erzeugen.

Debatten und Ausschüsse

Nach der Wahl wurde ein dem Wahlergebnis entsprechendes Schüler-Parlament zusammengesetzt, das debattierte und ein Gesetz verabschiedete. Dabei mussten sich die Abgeordneten an ähnliche Regeln wie in Bundestag oder Landtag halten.

Sieger wurde eine eher liberale Partei, die jedoch auch klare Regeln für die Handynutzung wollte – also eine Balance zwischen Kontrolle und Eigenverantwortung. Anschließend wurden unterschiedliche Ausschüsse gebildet, z.B. ein Ausschuss „Bildung“ zum Thema Medieneinsatz im Unterricht und ein Ausschuss „Recht“, der sich z.B. mit der Datenschutzgrundverordnung auseinandersetzte. Im Schüler-Parlament wurden Reden gehalten und am Ende ein Gesetz ausformuliert, das u.a. beinhaltete, dass Handys und andere Medien vermehrt in den Unterricht Eingang finden, aber dabei nicht sinnlos genutzt sondern ganz gezielt eingesetzt werden.


Auf Transparenz kommt es an


Den Schülerinnen und Schülern war dabei vor allem die Transparenz der Handyregeln in der Schule wichtig. Außerdem sollte die Handynutzung nach Jahrgangsstufe angepasst werden: Während in der Unterstufe das Handy lediglich in der Mittagspause genutzt werden darf, dürfen Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe das Handy auch in den Pausen verwenden und der Oberstufe wird eine komplett selbstverantwortliche Handynutzung zugetraut.

Dieses Gesetz wird nun aktuell im Schulforum, bestehend aus Schulleitung, Eltern der Schule und Schülern, diskutiert.

Interessant am Prozess war, dass alle Schülerinnen und Schüler von Anfang an auch Beschränkungen und einheitliche Regelungen für die Handynutzung wünschten, und nicht nur ungezügelten Handykonsum, wie manche im Vorfeld des Projekts befürchtet hatten.

Hochmotiviert

Die Schülerinnen und Schüler schilderten das Projekt als sehr bereichernd: Es sei spannend gewesen, anhand eines Themas mit konkretem Bezug zu ihrer Lebensrealität den demokratischen Prozess kennenzulernen. Schulregeln seien durch den demokratischen Prozess transparenter und würden besser verstanden. Während des Projekts sei vor allem die große intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler aufgefallen, die mit Eigenständigkeit und Kompetenzorientierung gekoppelt war. Die meiste Zeit für das Projekt wendeten Schülerinnen und Schüller außerhalb des Unterrichts an Nachmittagen auf. Lehrer hätten nur den Anstoß gegeben, anschließend hätten die Schüler alles selbst organisiert.

Das Projekt vermittelte Schülerinnen und Schülern wichtige Kompetenzen im Bereich Kommunikation, Debattenkultur und Argumentation. Sozialkundelehrer Tobias Pohl berichtete, dass seit dem Projekt ein „positiver Wind von politischen Debatten“ an der Schule herrsche.



„Demokratie als Unterrichtsprinzip“
Referentin: Tina Uthoff, Demokratische Schule München e.V.

Welche Arten von selbstbestimmtem Lernen sind schon jetzt in Regelschulen möglich? Diese Frage stellte Tina Uthoff in den Mittelpunkt ihres Workshops. Aufgeteilt in die Bereiche „Wie“, „Von wem“, „Wo“, „Ob“, „Wann und Was“, „Leistung“ und „Soziales Lernen“ ließ sie die Teilnehmer per farbiger Punkte auf Pinnwänden die Machbarkeit aus ihrer Sicht bestimmen für Konzepte wie individuelles Lerntempo, Unterricht durch Mitschüler, Eltern, externe Experten oder allein, Lernen im Pausenhof oder an externen Lernorten, Lernauszeiten oder Fehltagsjoker, lehrplanfremde oder selbstgewählte Unterrichtsinhalte, selbst festgelegte Prüfungstermine, Kompetenzraster statt Noten, alternative Leistungsmessungen sowie Klassenrat oder Schulkonferenzen.

Eine teilnehmende Mittelschullehrerin resümierte: „Ich kann eigentlich alle Formen von selbstbestimmtem Lernen umsetzen - solange die Klassenzimmertür zubleibt und nichts davon nach oben dringt.“ Auf die Nachfrage von Tina Uthoff, was es brauche, um das zu ändern, sagte die Lehrerin: „Vertrauen statt Kontrolle“. Genau das sah Tina Uthoff als das zentrale Problem: „Wir sind eben alle in einem Kontrollsystem aufgewachsen“, konstatierte sie im Rückbezug auf den Hauptvortrag mit ihrem Ehemann Max Uthoff.



„Die Qualitätsbereiche des Deutschen Schulpreises für eine partizipative und demokratische Schulentwicklung nutzen“
Referent: Klaus Wenzel, Ehrenpräsident des BLLV

Die sechs Qualitätsbereiche des Deutschen Schulpreises sind noch nicht allen Lehrerinnen und Lehrern bekannt. Daher wurden die Teilnehmer in diesem Workshop zunächst mit diesen Qualitätsbereichen konfrontiert: Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner sowie Schule als lernende Institution.

Anschließend sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer je ein konkretes Beispiel aus dem  Schulalltag benennen und erläutern, bei dem zwei oder gar drei der Qualitätsbereiche eine wichtige Rolle spielten. Vorgestellt wurden vielfältige Beispiele, angefangen vom einfachen Klassenprojekt bis hin zu aufwändigen und anspruchsvollen Schulentwicklungsprozessen.

Interessant, dass bei fast allen Beispielen die Qualitätsbereiche Verantwortung und Schulklima einen hohe Bedeutung hatten. Ein erneuter Beleg dafür, dass demokratiepädagogische Prozesse Schulalltag und Schulleben positiv verändern können.



„Digitale Mitbestimmung an der Schule – Projekt ‚aula – Schule gemeinsam gestalten‘“
Referenten: Ralph Schmitt, Konrektor SFZ Amberg, Alexa Schaegner, politik-digital e.V.

In dem Workshop berichteten der stellvertretende Schulleiter des Sonderpädagogischen Förderzentrums Amberg und die Projektleiterin von „aula – Schule gemeinsam gestalten“ davon, wie demokratische Schulentwicklung mit (und ohne) digitalen Mitteln aussehen kann.



„Partizipation und demokratische Kultur an der Grundschule. Klassenrat, Klassensprecherkonferenz und Schulversammlung - wie spielt das im Alltag zusammen?“
Astrid Arauner, Rektorin Fritz-Lutz-Grundschule München

Im Workshop „Partizipation und demokratische Kultur an der Grundschule“ wurden Maßnahmen aus der täglichen Schulpraxis erörtert. Astrid Arauner, die den Workshop leitete und an der Fritz-Lutz-Grundschule in München als Rektorin bereits viele Demokratisierungs-Maßnahmen umgesetzt hat, berichtete von ihren Erfahrungen. Ausganspunkt für ihren Workshop war der LehrplanPLUS, in welchem den Schülern bereits ab der ersten Klasse in der Theorie viel zugetraut wird, so Arauner. In der Praxis an den Grundschulen sehe dies meist jedoch anders aus, stellte sie klar.

Angeregt wurde in der Runde über den Klassenrat diskutiert. Viele Workshop-Teilnehmer berichteten von ihren Erfahrungen – und von konkreten Problemen. Etwa: geringe Beteiligung der Schüler am Klassenrat oder mangelnder Respekt gegenüber einzelnen Schülern vom Rest der Klasse. Frau Arauner riet dazu, dass man in einem Klassenrat anfangs auch intervenieren und auf gegenseitigen Respekt bestehen müsse. Auch benötige man viel Geduld, bis ein Klassenrat selbständig funktioniert. Dies könne auch länger als ein dreiviertel Schuljahr dauern.

Ein weiteres Problem von teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer war die geringe Unterstützung, die sie von Seiten ihrer Schulleitungen oder auch von Kollegen erhielten. Während man den Klassenrat noch einrichten könne, sei es auf Ebene der Schulversammlung oder einer Klassensprecherkonferenz alleine nicht möglich, weitergehende demokratische Prinzipien zu etablieren. Auch hier sei Geduld und Überzeugungsarbeit gefragt, so die Workshop-Leiterin.

Abgerundet wurde der Workshop mit beeindruckenden Impressionen aus der Fritz-Lutz-Grundschule, die im Rahmen eines Filmes, den der BLLV produziert hat, entstanden sind.



„Lernen durch Engagement - Demokratiekompetenz durch Service Learning“
Referentin: Regine Leonhard, Stiftung Gute-Tat

Zum Auftakt erläuterte Referentin Regine Leonhard den Teilnehmerinnen kurz, um was es sich bei Lernen durch Engagement überhaupt handelt: ein außerschulisches Projekt, das jedoch an Lehrplaninhalte anknüpft und auch während der Unterrichtszeit durchgeführt werden kann. Schülerinnen und Schüler suchen sich eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, die sie vor Ort erfüllen können. Dies kann sich auf den Umweltschutz, auf das soziale Miteinander der Generationen, Integration oder Inklusion beziehen. Letztlich sei hier keine Grenze gesetzt.

Anschließend stellte die Referentin Qualitätskriterien vor, die erfüllt sein müssen, damit Lernen durch Engagement die erwünschte Nachhaltigkeit erzielt. Schließlich gab sie eine Vielzahl sehr konkreter und motivierender Beispiele aus verschiedenen Schularten, die bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern große Lust auf Lernen durch Engagement weckten.



„Medienpädagogik am Beispiel von Hate Speech“
Referentinnen: Masoumeh Bayat, Projektleiterin, und Julia Bergmeister, Projektmanagerin: PLAMEDI - Plattform für Medien und Diversität

Wie geht Counter Speech im Netz? Diese Frage stellten Masoumeh Bayat und Julia Bergmeister, Projektmanagerin von der Plattform für Medien und Diversität (PLAMEDI) in den Mittelpunkt ihres Workshops. Grundlage für ihre Ausführungen war ein niederschwelliges Online-Fortbildungsmodul, das PLAMEDI frei zugänglich gemacht hat (>> zum E-Learning Modul „Hate Speech“). Die Referentinnen kündigten zudem auch dezidierte Unterrichtsmodule zu medienpädagogischen Themen an.

Bei der Frage, wie Counter Speech effektiv eingesetzt werden könne, müsse zunächst die Motivation der Hassredner geklärt werden, erklärte Masoumeh Bayat. Dazu zeigte sie ein Video aus dem PLAMEDI E-Learning-Modul, das den Unterschied zwischen sogenannten „Trollen“ und „Glaubenskriegern“ erklärte, auf deren Motive unterschiedlich reagiert werden müsse.

In Gruppenarbeit erörterten Teilnehmerinnen und Teilnehmer mögliche Strategien zur Gegenrede und berichteten anschließend auch von konkreten Erfahrungen an ihren Schulen. Hier zeige sich oft eine Parallelität von Hassrede in der Realität, auf die mit den regulativen Maßnahmen an Schulen reagiert werden könne, und jener im Netz, die oft lange unentdeckt bliebe.

Als zentrale Strategien wurde das Hinterfragen der Kernaussagen von Hassrede erarbeitet, das Verschieben der Beweislast zum Hassredner und generell, Fakten und Belege zu fordern. Gerade bei Trollen sei aber auch das Ignorieren eine effektive Methode, die allerdings nur bei virtueller Hassrede eine Option sei, während im Schulalltag nach Meinung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer schneller eine klare Reaktion gefordert sei



Planspiel „Der Landtag sind wir!“
Referenten: Anja Sieber, Studiendirektorin Landtagsamt München, Eva Feldmann-Wojtachnia, Leiterin der Forschungsgruppe Jugend und Europa und der Planspielreihe "Der Landtag sind wir!", C.A.P. München

Den Gesetzgebungsprozess verstehbar machen und den Meinungsbildungsprozess, der damit verbunden ist, erlebbar machen: Mit dem Ziel, Verständnis für politische Akteure zu entwickeln, führt das Centrum für Angewandte Politikforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München in Kooperation mit dem Bayerischen Landtag schon seit 10 Jahren an Schulen ein politisches Rollenspiel durch – mit großen Erfolg, wie die durchweg sehr positiven Evaluationsbögen und das anhaltend große Interesse zeigten, so die Referentinnen.

In einem Powerpoint-Vortrag berichteten sie, wie das Planspiel funktioniert: 40 bis 65 Schüler simulieren den Gesetzgebungsprozess. Entweder in der Schule oder sogar am Originalschauplatz im Bayerischen Landtag. Wenn das Spiel in der Schule stattfindet, wird möglichst auch je ein Politiker aus allen Fraktionen des Bayerischen Landtags eingeladen. Zum methodisch-didaktischen Ansatz gehört, dass die Zugehörigkeit der Schüler zu je einer der vier fiktiven Fraktionen (Die Ökologen, die Sozialen, die Konservativen, die Freien) gelost wird. Manche sagten dann, sie wollten nicht in eine bestimmte Fraktion, weil die nicht ihrer tatsächlichen Meinung entspricht – aber genau das ist Teil des Lernprozesses.

Jeder Schüler bekommt eine Mappe, in der sein Rollenspielname steht sowie das Alter und der Beruf. Darin enthalten ist auch der Gesetzentwurf zu Themen wie Jugendkriminalität, Wahlrecht ab 16, Alkoholprävention oder gesunde Ernährung. Dazu finden die Schüler Hintergrundmaterial, wie es auch Abgeordnete zur Verfügung gestellt bekommen. Vom Fraktionszwang halten Schüler dabei oft wenig: Es kommt sogar zu einstimmigen Zustimmungen bei Gesetzentwürfen, was geladene Parlamentarier beeindruckt, die dann aber ggf. die tatsächlichen Gepflogenheiten im Parlament erklären.

Die Referentinnen zitierten abschließend drei Teilnehmer: „Man merkt beim Rollenspiel gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht“, „Ich habe festgestellt, dass Politik nicht langweilig ist, sondern sogar Spaß macht“ und „So sollte Schule immer sein“.

Ab Juli können sich Schulen für ein Rollenspiel im Schuljahr 2019/20 bewerben.



Demokratische Haltung zählt

Im Anschluss an die Workshops bedankte sich Initiator Fritz Schäffer bei allen Rednern und Referenten für Ihre Beiträge, die sie allesamt honorarfrei beisteuerten, und bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die engagierte und im besten Sinne demokratisch-partizipatorische Mitarbeit an den Workshops.

Das Lernforum „Schule für die Demokratie“ erwies sich dank sachkompetenter, erfahrener und leidenschaftlicher Referenten und der engagierten Mitarbeit der Teilnehmer als sehr gelungene Veranstaltung, die deutlich machte, welch weites Themenfeld Demokratiepädagogik ist, aus welch unterschiedlichen Blickwinkeln sich Demokratie an Schulen betrachten lässt und daraus abgeleitet, wie viele konkrete Möglichkeiten für die Verankerung in Unterricht, aber vor allem auch im täglichen Schulleben sich daraus bieten. Die Diversität der Experten und damit auch der erlebbar gemachten Zugänge zum Thema waren dabei im besten Sinne demokratisch, wie auch viele Workshops selbst Partizipation vorlebten und damit auch direkt unmittelbare Anschauung vorlebten, wie Lehren und Lernen nach demokratischen Prinzipien gelingen kann.

Angeführt von Fritz Schäffer, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik, setzt sich der BLLV seit Jahren aktiv für das Thema Demokratiepädagogik an Schulen ein. Das diesjährige „Lernforum Schule für die Demokratie“ war bereits die dritte sehr erfolgreiche Fortbildungsveranstaltung im Rahmen der BLLV-Initiative HALTUNG ZÄHLT. Außerdem fanden runde Tische und ein Pressegespräch statt. Der BLLV hat zudem ein Dossier zur Demokratiepädagogik erstellt. In der BLLV-AG Demokratiepädagogik werden in Zukunft weitere Projekte folgen.

Medienecho: Lernforum Demokratie bei Sat1 Bayern

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