Demokratiepädagogik

Beschluss der 54. Landesdelegiertenversammlung des BLLV 2019

Die Angriffe auf die Demokratie häufen sich und sie werden massiver. Es besteht die Gefahr, dass die Feinde von Freiheit und Selbstbestimmung immer weiter Raum greifen. Der BLLV hat in seinem Manifest: HALTUNG ZÄHLT auf die Gefahren einer Verrohung der Sprache und der politischen Kultur hingewiesen. In einer solchen Stimmung heißt es, Haltung zu zeigen. Doch Haltung zeigen kann nur, wer eine Haltung hat. Und die Aufgabe von Schule und Bildung ist, dafür zu sorgen, dass die uns anvertrauten Schülerinnen und Schüler, und damit die nachfolgenden Generationen eine demokratische Haltung entwickeln.

Die Institution Schule hat die Aufgabe, demokratische und mündige Staatsbürger zu erziehen. Mündige Staatsbürger verteidigen die Demokratie, weil sie sich mit ihr als Lebensform identifizieren. Dazu darf Demokratie in den Schulen nicht nur Lerngegenstand sein, dessen Funktionsweise und Institutionen im Lehrplan stehen, sondern darüber hinaus zu einer Lebensform werden, die im Unterricht und in der Schule gelebt wird.

Bereits heute gibt es sehr viele beeindruckende Projekte und Initiativen, in denen genau dies erreicht wird. Sei es bei „Schule ohne Rassismus“, sei es bei Aktionen gegen Rechtsradikalismus, sei es bei Projekten des sozialen Lernens: In vielen Schulen zeigen Lehrerinnen und Lehrer mit ihren Schülerinnen und Schülern eindrucksvoll, was an gelebter Demokratie, an sozialem Engagement und aktiver Beteiligung an der Bürgergesellschaft mit Kindern und Jugendlichen möglich ist. Zahlreiche Wettbewerbe, wie etwa Demokratisch Handeln, stellen dies Jahr für Jahr unter Beweis.

Allerdings gehen diese vorbildlichen Leuchtturm-Projekte zu sehr auf die Initiative Einzelner zurück. Es fehlt – vor allem, aber nicht nur in Bayern – an systematischer Unterstützung durch Bildungspolitik und Schulverwaltung. Dieser Mangel beginnt bei dem geringen Gewicht politischer Bildung in den Stundentafeln: Ein Gymnasiast hat beispielsweise bis zum Eintritt in die Oberstufe nur eine Stunde Sozialkunde in der 10. Jahrgangsstufe. Er setzt sich fort beim Angebot in der Lehrerfortbildung.

Immerhin gibt es seit dem Schuljahr 2009/2010 in jedem Regierungsbezirk Regionalbeauftragte für Demokratie und Toleranz. Dies kann jedoch nur ein erster kleiner Baustein sein für die Implementierung demokratiepädagogischer Standards an bayerischen Schulen.

Aus Sicht des BLLV müssen deshalb folgende Handlungsfelder und konkrete Forderungen beachtet werden:

I. Aufwertung der Bedeutung des Bildungsziels Demokratie

In einer stark auf das Erlernen und die Reproduktion von Fachinhalten sowie auf die Benotung und Bewertung der Schülerinnen und Schüler ausgerichteten Schule drohen die überfachlichen Lern- und Bildungsziele in den Hintergrund zu geraten. Deshalb müssen diese übergeordneten Verfassungsziele erheblich mehr Gewicht im Schulalltag bekommen. Dies gilt in besonderem Maße für die Demokratiepädagogik.

  • Zeit für die Umsetzung demokratiepädagogischer Prozesse 
  • Verankerung von Projektunterricht in den Lehrplänen und Stundentafeln, der mit bürgerschaftlichen, sozial-karitativen oder demokratiepädagogischen Inhalten gestaltet werden kann
  • Freiraum für die Behandlung aktueller politischer Ereignisse im Unterricht
  • Unterstützung des Freistaats für den Wettbewerb „Demokratisch Handeln“
  • Etablierung eines Koordinatoren bzw. einer Koordinatorinnen für Demokratiepädagogik an allen Schulen. Zu ihren Aufgaben gehören beispielsweise die Einrichtung von Arbeitskreisen an den einzelnen Schulen, die Initiierung von Projekten vor Ort, das Sammeln und Weitergeben von Kontakten zu Ansprechpartnern und entsprechenden Informationen z.B. bei Fällen von demokratiefeindlichen Tendenzen an der Schule
  • Förderung von Arbeitskreisen an Schulen zur Demokratiepädagogik unter Einbezug von Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern und Eltern
  • Demokratiepädagogik als Qualitätskriterium guter Schulen im Schulentwicklungsprozess zum Beispiel als Kriterium der externen Evaluation sowie für schulische Wettbewerbe
II. Stärkung der politischen Bildung

Wissen um politische Entscheidungsprozesse ist die Voraussetzung für Vertrauen in Demokratie, Wissen um die Komplexität gesellschaftlicher Zusammenhänge und die Folgen politischer Entscheidungen Grundlage für das Verstehen komplexer Meinungsbildungsprozesse und deren Umsetzung.

  • Ausweitung des Stundenumfangs der Fächer politischer Bildung in allen Schularten
  • Beginn des Faches Sozialkunde in Realschulen und Gymnasium spätestens in der 8. Jahrgangsstufe
  • Förderung von Projekttagen der politischen Bildung in allen Schularten und Jahrgangsstufen
  • Stärkere und systematischere Unterstützung von Formaten wie „Jugend debattiert“, „Zeitung in der Schule“ usw. mit dem Ziel von deren weiteren Verbreitung
  • Einbindung demokratiepädagogischer Elemente wie Lernen durch Engagement, Philosophieren mit Kindern, Jugend debattiert usw. in das Angebot von Ganztagesschulen
  • Förderung von niederschwelligen aufsuchenden Angeboten für Schulen, z.B. Demokratiemobil
  • Angebote der Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit auch in Leichter Sprache
  • Reduktion fachfremden Unterrichts in den Leitfächern der politischen Bildung
III. Stärkung der politischen Medienkompetenz

Die neuen Medien sind heute zentraler Teil der demokratischen Meinungsbildung. Sie können genutzt werden zur Entwicklung demokratischen Bewusstseins und gesellschaftlicher Partizipation.

Andererseits werden durch sie extremistisches und rassistisches Gedankengut und falsche Tatsachenbehauptungen verbreitet. Deshalb gewinnt die Fähigkeit zur kritischen Bewertung von Inhalten im Netz eine enorme Bedeutung für politische Bildung.

  • Stärkung der Medienpädagogik
  • Thematisierung von partizipativen Formen und Möglichkeiten der neuen Medien
  • Thematisierung von Phänomenen wie Filterblase, Echokammereffekt oder Schweigespirale
  • Stärkung der Kritikfähigkeit bezüglich der Inhalte auf Websites, in Foren und in sozialen Netzwerken
  • Erwerb eines Medienführerscheins für jeden Schüler in seiner Schulzeit: Im Zuge des Erwerbs dieses „Führerscheins“ soll nicht nur Wert auf die handwerklichen Fähigkeiten im Umgang mit Programmen gelegt werden, sondern auch der kritische Umgang mit allen Formen der sozialen Medien erlernt und trainiert werden. Hierzu gehören Grundkenntnisse über die Funktionsweise der Social-Media-Welt (Social Bots etc.), Bewusstwerdung über dessen Reichweite, Schutz der Privatsphäre und Rechtsgrundlagen des Internets. Schülerinnen und Schüler sollen in der Lage sein, sich selbstbewusst und sicher in den Sozialen Medien bewegen zu können.
  • Erstellen einer Handreichung sowie Fortbildungen zu den zahlreichen bestehenden Angeboten zur Förderung der Medienkompetenz
IV. Mehr Partizipation in einer demokratischen Schule

Gute Schulen sind demokratische Schulen. Dies bezieht auch die aktive Mitgestaltung und Mitwirkung von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften ein. Damit wird Demokratie zum prägenden Prinzip schulischen Miteinanders und täglich gelebte Realität. Dies setzt eine funktionierende Vertrauenskultur zwischen allen Beteiligten und Ebenen voraus.

  • Stärkung der Eigenverantwortung der einzelnen Schule
  • Mehr Partizipationsrechte für Lehrkräfte, Eltern und Schülerinnen und Schüler bei schulischen Entscheidungen
  • Förderung neuer partizipativer Modelle, wie Klassenrat und Schülerparlament
  • Ausweitung der Kompetenzen des Schulforums
  • Bereitstellung von Zeitressourcen (Stundenpool, Anrechnungsstunden) für demokratische Schulentwicklung und Umsetzung partizipativer Elemente
  • Stärkere Mitsprache der organisierten Schülerschaft
  • Mehr Rechte für den Landesschülerrat
  • Einführung eines Landeselternrates
  • Standards für die Umsetzung von Klassensprecher- und Schülersprecherwahl
  • Möglichkeiten der basisdemokratischen Absicherung der Positionen der Schülerinnen und Schüler im Schulforum, zum Beispiel durch Etablierung von aula
  • Deutliche Erhöhung des Budgets für SMV-Gremien mit eigener Finanzhoheit
  • Entwicklung und Bereitstellung angemessener Materialien für die SMV-Arbeit, Beispiel Peer-to-peer-Schulungen für die SMV-Arbeit
  • Institutionalisierung der Elterninteressen – Mitsprachrechte auf Landesebene mit entsprechenden finanziellen Mitteln zur finanziellen Autonomie
  • Schulungen von Elternbeiräten zu Mitwirkungsrechten
  • Entwicklung, wissenschaftliche Evaluation und Implementierung eines Unterrichtsmoduls “Mitbestimmung an der Schule”
V. Demokratischer Unterricht

Demokratie ist mehr als ein Organisationsprinzip staatlicher Institutionen. Sie ist eine Lebensform, die den Umgang miteinander trägt. Deshalb muss in einer demokratischen Schule auch der Unterricht geprägt sein durch die Prinzipien der Demokratie und von gegenseitigem Respekt getragen.

  • Etablierung einer wechselseitigen Feedbackkultur im Unterricht
  • Alternative Formen der Leistungsmessung und –rückmeldung (z.B. Portfolioarbeit)
  • Stärkung der Eigenverantwortung von Schülerinnen und Schülern für ihren Lernprozess durch Lernformen, die auch mit- und selbstbestimmte Entscheidungen der Schüler gewähren (z.B. Mitbestimmung bei der Wahl von Unterrichtsinhalten, eigenständige Informationsrecherche, Lernen in Kleingruppen, handlungsorientierter Unterricht)
  • Bereitstellung geeigneter Räume, Einrichtungen, Materialausstattungen und Informationstechnologien hierfür
  • Transparenz der Notengebung durch Einbeziehung der Selbsteinschätzung von Schülerinnen und Schülern
  • Etablierung von Lernentwicklungsgesprächen auch in der Sekundarstufe zur stärkeren Motivierung und gezieltere Planung weiteren Lernens
  • Etablierung einer wechselseitigen Feedbackkultur im Unterricht zur Verbesserung des sozialen Klimas und Steigerung der Effektivität des Unterrichts
VI. Demokratiepädagogik in der Lehrerbildung

Eine demokratische Schule bedingt einen demokratischen Unterrichtsstil und ein politisches Bewusstsein der unterrichtenden Lehrkräfte. Dies erfordert ein verändertes Lehrerbild.

  • Stärkung demokratiepädagogischer Inhalte in allen drei Phasen der Lehrerbildung unabhängig von studiertem Lehramt und Fach
  • Aufnahme einer verpflichtenden Veranstaltung zur Demokratieerziehung in das für alle Lehrämter verpflichtende „Erziehungswissenschaftliche Studium“ (gemäß § 32 LPO I)
  • Orientierung am Leitbild demokratischer Unterricht in allen drei Phasen der Lehrerbildung
  • Neukonzeption des Bereichs „Grundfragen der staatsbürgerlichen Bildung“ während des Referendariats
  • Ausweitung demokratiepädagogischer Angebote in der Lehrerfortbildung
  • Ausrichtung der Fortbildungen für neue Schulleiter und Seminarlehrkräfte auf das Leitbild einer demokratischen Führungskultur und Aufnahme von Modulen mit demokratiepädagogischen Inhalten
  • Angebote in allen drei Phasen der Lehrerbildung zur politischen Bildung und Demokratiepädagogik sowohl im Inhalt als auch in der Form