Presse

Gut gemeint - aber nur schwer umzusetzen

Der neue Grundschullehrplan wirft viele Fragen auf und lässt Lehrerinnen und Lehrer damit allein / BLLV-Präsident Wenzel fordert eine neue Art der Leistungserhebung

München - Er birgt eine Menge guter Ideen in sich, aber er lässt sich angesichts der bestehenden Lern- und Arbeitsvoraussetzungen wohl nur schwer umsetzen: Der neue Grundschullehrplan „LehrplanPlus“. Besonders kritisch ist aus Sicht des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) die Art der Leistungsmessung. Sie bleibt unverändert, obwohl der neue Lehrplan „kompetenzorientiertes Lernen“ in den Vordergrund stellt. „Das passt nicht zusammen“, erklärte BLLV-Präsident Klaus Wenzel heute in München. Neue Lernmethoden erforderten eine neue Form der Leistungsmessung. „Solange der Lern- und Leistungsbegriff verkürzt wird und damit anspruchslos bleibt, solange die Schülerinnen und Schüler lediglich belegen müssen, dass ihr Kurzzeitgedächtnis funktioniert, kann der neue Grundschullehrplan nicht erfolgreich umgesetzt werden“, erklärte er bei einer Pressekonferenz anlässlich der bevorstehenden Verbandsanhörung im Bayerischen Landtag. Hinzu komme, dass für eine erfolgreiche Umsetzung mehr Personal, bessere Fortbildungen und mehr Zeit nötig wären. „Leider ist bislang auch unberücksichtigt geblieben, was Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen brauchen, um die ambitionierten Ziele des neuen Lehrplans erfolgreich umsetzen zu können.“ Die Gefahr sei groß, dass sie nicht erreicht werden könnten, weil sie mit den vorherrschenden Gegebenheiten nur schwer zu vereinen seien.

 

Die Arbeit am neuen Grundschullehrplan ist seit Monaten im Gange. Die Fächerkommissionen entwickelten über viele Monate hinweg Bildungs- und Lerninhalte. „Leider orientierten sie sich dabei zu wenig an den tatsächlichen Gegebenheiten an den Schulen“, bemängelte Wenzel. So klaffe - ähnlich wie beim Bildungs- und Erziehungsplan für Kindergärten - eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Auch sei die Entwicklung des neuen Lehrplans „unglücklich“ gelaufen. „Die Lehrerinnen und Lehrer wurden wenig einbezogen. Viele wissen bis heute nicht, was sie konkret erwartet. Die Skepsis ist groß.“

Das hatte auch eine Studie des BLLV vom April diesen Jahres bestätigt: Während gut die Hälfte (52%) der 2500 befragten Grundschullehrkräfte lieber mit dem bisherigen Lehrplan weiterarbeiten würde, gaben 55% an, sich ‚mehr oder weniger’ auf den neuen Lehrplan zu freuen. Zehn Prozent standen ihm ablehnend gegenüber. „Viele hätten sich deutlich mehr Transparenz gewünscht“, sagte Wenzel. Er sieht darin auch eine Erklärung für die bislang eher schlecht laufenden Fortbildungen. „Der Unmut und die Unsicherheiten sind groß.“ Hinzu kämen die sehr eingeschränkten Möglichkeiten zur individuellen Förderung und Probleme, die mit der traditionellen Notenvergabe verbunden seien. Auch spiele der  Ausbau rhythmisierter Ganztagschulen eine nur untergeordnete Rolle - „ein weiterer Anlass zur Kritik“, so Wenzel. Er sehe die Gefahr, dass Lehrerinnen und Lehrer, die wegen andauerndem Personalmangel bei steigenden Anforderungen ohnehin stark belastet seien, den neuen Lehrplan mehr abwickeln als beherzt umsetzen. Viele befürchteten, dass die Umsetzung des an sich guten Werkes sie erneut an ihre persönliche Belastungsgrenze führe. 

„Umfassend befriedigende Ergebnisse sind so nicht zu erreichen“, kommentierte  die Leiterin der Abteilung Berufswissenschaften im BLLV, Simone Fleischmann. Sie ist Mitglied im Fachbeirat und hat den Prozess der Neugestaltung des Grundschullehrplans von Anfang an kritisch begleitet. Fleischmann gibt zu bedenken, dass der LehrplanPlus keine durchgreifenden Verbesserungen im schulischen Alltag herbeiführen werde. Zwar sei etwa das Ziel des kompetenzorientierten Unterrichts an sich begrüßenswert - „so ein Unterricht kann aber unter dem Diktat der straffen Benotung, die den Kindern zugemutet wird, nicht wirklich funktionieren.“ Die Gefahr sei groß, dass die früheren „Lernziele“ in „Kompetenzen“ umetikettiert würden. Tatsächlicher kompetenzorientierter Unterricht, ein Unterricht also, der auf die Vermittlung von totem Faktenwissen verzichte,  brauche ein Umfeld, das den Schülern Zeit und Raum gebe. „Lernen wird hier zum fächerübergreifenden Prozess.“ Sie betonte aber, dass der BLLV durchaus eine leistungsorientierte Grundschule wolle. „Allerdings müssen Leistungen anders als bisher erbracht und erhoben werden können.“

Die BLLV-Expertin und Wenzel halten den vorgesehenen Zeitplan - der neue Grundschullehrplan soll bereits zum Schuljahr 2014/15 in Jahrgangsstufe eins und zwei an den Schulen verbindlich eingeführt werden - für „sehr ehrgeizig“. Die Vorgehensweise erinnere an die überstürzte Einführung des achtjährigen Gymnasiums. Beide schlugen daher vor, den neuen Grundschullehrplan Schritt für Schritt einzuführen und zu evaluieren.

Das übergeordnete Ziel müsse sein, Schülerinnen und Schülern an allen Schulen mit einem ganzheitlichen Bildungsverständnis vertraut zu machen, betonte Wenzel. „Es definiert sich nicht ausschließlich über Faktenwissen. Es umfasst vielmehr alle Bereiche des Lebens, es integriert und stabilisiert. Es befähigt zur Orientierung in einer komplexer werdenden Realität und es erfordert lebenslanges Bemühen.“ Diese Überlegungen müssten der Ausgangspunkt für alle weiteren Schritte zur Neugestaltung einer innovativen Grundschule sein.