November 2023

Bericht aus dem Kinderhaus

Sieg der Menschlichkeit

Vor genau einem Jahr kam es in Peru zu einer Staatskrise mit gewalttätigen Demonstrationen. Auch in Ayacucho verloren Demonstranten bei Auseinandersetzungen mit Polizei und Militär ihr Leben. In dieser Phase wurde in den sozialen Netzwerken verbreitet, das Kinderhaus betreibe marxistische Indoktrination. In transparenter Zusammenarbeit mit den Behörden und im engem Austausch mit der BLLV-Kinderhilfe wurde man mit diesem Rufmordangriff fertig.

Danke für Eure Treue!

Liebe Freunde in Bayern,


die Ereignisse zu Beginn dieses Jahres haben uns alle tief betroffen gemacht. Die Verleumdung unserer Arbeit im Kinderhaus durch bösartige, frei erfundene Unterstellungen im Zusammenhang mit den Unruhen in Peru im vergangenen Dezember hat unsere Mitarbeiter tief verunsichert. Alle hatten wir Angst und Sorge, was dies für das Kinderhaus bedeuten würde. Dank der hohen Anerkennung unserer Arbeit bei den örtlichen Behörden und in der Bevölkerung hat sich im Lauf des Jahres gezeigt, dass diese in die Welt gesetzten Angriffe auf das Kinderhaus komplett erlogen waren und nur das Ziel hatten, unsere Arbeit für die Kinder in Ayacucho zu zerstören.
Liebe Freunde, wir sind Euch unendlich dankbar, dass Ihr in diesen schweren Monaten zu uns gestanden seid. Das hat uns Kraft und Sicherheit gegeben, diese Monate durchzustehen. Es war so wichtig zu wissen, dass wir bei diesem schlimmen Angriff auf unsere Arbeit nicht allein stehen.

Wir danken Euch aus ganzem Herzen.

Mariela Molinari und das Team des Kinderhauses

 

Im Herbst 2022 konnten wir mit Dankbarkeit und großem Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen im Kinderhaus über die beeindruckende humanitäre Hilfe berichten, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ayacucho und Lima während der in Peru besonders katastrophalen Corona-Epidemie geleistet haben. Hunderte Familien wurden mit Lebensmittelpaketen versorgt. In den Armenvierteln von Ayacucho und Lima wurden 45 Suppenküchen eingerichtet. Mit dem Programm „Cuéntame tú história“ („Erzähl mir Deine Geschichte“) konnte vielen Kindern und Jugendlichen dabei geholfen werden, traumatisierende Erlebnisse während der Pandemie zu bearbeiten und zu überwinden. Ein Teil der Berufsbildungskurse wurde über Facebook weiter betrieben.

Die erfolgreiche Arbeit der Radiostation des Kinderhauses wurde zum Ziel einer Verleumdungskampagne

Die in Zeiten des monatelangen Lockdowns initiierte wöchentliche Radiosendung „Wawas a la primera linea“ („Kinder ganz nach vorne“) eröffnete die Möglichkeit, den Kindern und Jugendlichen im ganzen Stadtgebiet Informationen über Corona und Hygienemaßnahmen zu geben. Darüber hinaus wurde das Programm zu einer Plattform, um über Kinderrechte zu informieren und Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben, um sich über ihre Situation auszutauschen. Im Dezember 2022 wurde es aus Kostengründen eingestellt.

Die Kurse in der Bäckerei sind seit dem Ende der Pandemie wieder stark nachgefragt

Im Herbst 2022 schienen endlich wieder alle Zeichen auf Normalisierung zu stehen. Die sozialpädagogischen Programme waren wieder angelaufen, die Berufsbildungskurse erfreuten sich regen Zuspruchs, das Kinderhaus war wieder erfüllt vom Lachen und Spielen der Kinder; die älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen besuchten wieder die Ausbildungskurse der Bäckerei, der Schneiderei und die Kurse in PC-Anwendung. Der Kindergarten sollte zu Ende gebaut werden. Doch während der Staatskrise kam es dann zu einer bösartigen Attacke auf die erfolgreiche Projektarbeit. In sozialen Netzwerken und auf zwei Internetplattformen wurde behauptet, die Kinder im Kinderhaus würden mit linksradikalen Ideen indoktriniert.

Junge Menschen mit Kenntnissen in der Anwendung unterschiedlicher PC-Programme sind auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt. Deshalb besuchen viele die in der Berufsschule angebotenen PC-Kurse.

Unruhen mit Toten in Ayacucho

Ab Juli 2021 hieß der peruanische Präsident Pedro Castillo. In der Stichwahl mit Keiko Fujimori, der rechtspopulistischen Tochter des ehemaligen peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori, siegte der Gewerkschaftsfunktionär und Lehrer mit der geringstmöglichen Mehrheit von 50,1 Prozent. Der 54Jährige war der erste indigene Präsident Perus und entsprechend populär beim indigenen Teil der Bevölkerung. Allerdings verfügte er bei seinem Amtsantritt über keinerlei politische Erfahrung auf Landesebene. Seine 16-monatige Amtszeit war geprägt von Unsicherheit und Chaos. Mehr als 60 Ministerinnen und Minister holte Castillo in sein Kabinett und berief sie wieder ab. Im Dezember 2022 beschloss der Kongress deswegen ein Amtsenthebungsverfahren wegen Korruption und Unfähigkeit auf den Weg zu bringen.

Castillo wollte dieser Entscheidung zuvorkommen, indem er wenige Tage vor der relevanten Sitzung der Abgeordneten kurzerhand den Kongress auflöste, den Notstand ausrief und sich und seine Vertrauten als Notstandsregierung einsetzte. Justiz und Militär erkannten die Auflösung des Kongresses nicht an. Castillo wurde des Staatsstreichs bezichtigt und festgenommen. Dies führte zu schweren Unruhen im gesamten Land, bei denen mehr als 60 Demonstranten zu Tode kamen. Auch in Ayacucho kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Dort gab es zwölf Tote und Dutzende Verletzte.

Nach der langen Coronapause steht auch die Ausbildung als Schneiderin wieder hoch im Kurs. Viele der Absolventinnen eröffnen eine eigene kleine Nähstube.

Rechtspopulisten: „Marxistische Ideologie“ 

Unser Kinderhaus geriet in den Fokus, weil eine ehemalige Mitarbeiterin des Kinderhauses, die während der Pandemie das Radioprogramm moderierte, ohne Wissen der Leitung des Hauses im Rahmen einer illegalen Organiation die Demonstrationen mitorganisierte. Wir können nicht beurteilen, ob diese ehemalige Mitarbeiterin außerhalb ihrer Arbeit im Kinderhaus straffällig geworden ist. Das ist Aufgabe der Ermittlungsbehörden. In der Zeit, in der die junge Psychologin das Radioprogramm des Kinderhauses moderierte, leistete sie jedenfalls engagierte Arbeit fern jeglicher Ideologie. Das wöchentliche Radioprogramm wurde inhaltlich vorbereitet und begleitet von einer erfahrenen älteren Kollegin, einer früheren jahrzehntelangen Mitarbeiterin von Terre des Hommes. Alle Sendungen wurden im Team besprochen und erst dann offiziell von der Teamleitung freigegeben. So war zu jedem Zeitpunkt die Seriosität des Programms sichergestellt.

Damit könnte man die Akte schließen und zum Tagesgeschäft übergehen, in der Hoffnung, dass Polizeibehörden und Staatsanwaltschaft die Wahrheit herausfinden werden. Doch in den Tagen der Unruhen, des Chaos und der Krise schlug die Stunde von Verleumdern. Auf einer rechtspopulistischen Internetplattform („Beto y saber“) tauchte plötzlich ein Video mit der Behauptung auf, diese Mitarbeiterin habe im Rahmen des Radioprogramms Kinder und Jugendliche indoktriniert. Es wurde weiterhin behauptet, im Kinderhaus würde „zwischen den Zeilen“ marxistische Ideologie verbreitet.

In dem kleinen Garten im Hof des Kinderhauses werden von den Kindern Gemüsepflanzen angebaut und sorgsam gepflegt.

In diesem Zusammenhang wurden auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit dem Radioprogramm zu tun hatten, verhört. Es mussten Dokumente beigebracht werden, die Radiosendungen wurden überprüft. In diesen Monaten herrschte große Verunsicherung im Kinderhaus. Doch mit großer Professionalität und Disziplin beruhigten die beiden Direktorinnen, Mariela Molinari und Nancy Gálvez, die Kolleginnen und Kollegen und schafften es, sie immer wieder neu zu motivieren. In vielen Telefongesgesprächen mit der BLLV-Kinderhilfe wurden alle Aspekte dieser Situation besprochen und abgestimmt. Mit großer Umsicht beantworteten die Leiterinnen des Kinderhauses die Fragen der Ermittlungsbehörden, stellten die geforderten Dokumente bereit und klärten offene Fragen. Die jahrzehntelange enge Zusammenarbeit des Kinderhauses mit den örtlichen Behörden, mit der Stadtverwaltung und der Polizei hat sich in dieser schwierigen Situation besonders bewährt. Die Arbeit des Kinderhauses konnte ohne Einschränkungen fortgeführt werden.

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kinderhaus und auch uns in Deutschland wurde durch diese Ereignisse deutlich vor Augen geführt, welche hohe Verantwortung wir tragen und welche bedeutende Rolle als Vorbilder wir für die Kinder und Jugendlichen spielen. Werte wie Wahrhaftigkeit, Solidarität und Respekt voreinander sind im Kinderhaus keine Worthülsen, sie werden gelebt. Sie sind die Orientierung in der täglichen Arbeit. Dafür stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kinderhauses. In den vergangenen Monaten ist darüber hinaus deutlich geworden, dass die Arbeit auf der Grundlage dieser humanistischen Werte Mut und Überzeugung verlangt. Das haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Leitung des Hauses eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Besonderer Wert wird in den Workshops auf die Stärkung des Selbstwertgefühls und die Bedeutung von Werten gelegt.

Die Arbeit im Kinderhaus läuft nach diesen einschüchternden Erfahrungen erfolgreich weiter. Die Eltern und Kinder haben Vertrauen in die Arbeit der Sozialpädagogen und Lehrer. Täglich kommen zwischen 60 und 80 Kinder ins Haus. Die Ausbildungskurse sind gut besetzt. Im September fand eine Kampagne zu den Kinderrechten statt. Mehr denn je ist das BLLV-Kinderhaus über die Bildungsangebote hinaus als Ort der Wahrhaftigkeit und der Geborgenheit in Ayacucho wichtig. „Es erfüllt uns mit Dankbarkeit und Stolz, mit welchem Mut und Entschlossenheit sich Mariela, Nancy und ihre Kolleginnen und Kollegen dieser enorm belastenden Situation gestellt haben und die Kontinuität der Arbeit sicherten“, kommentierte die Vorsitzende der BLLV-Kinderhilfe, Ursula Schroll, „und es ermahnt uns als Pädagogen und Demokraten, Haltung zu zeigen und selbstbewusst und mutig unsere pädagogischen und demokratischen Werte zu leben und zu verteidigen“.

Die Arbeit mit den Kindern in den weiter entlegenen Armutsvirteln hat in der Pandemie besondere Bedeutung bekommen. Auch jetzt wird sie von den Sozialpädagogen fortgeführt.

 

 


Oktober 2022

Bericht aus dem Kinderhaus

Das Lachen der Kinder ist zurück

Zwei Jahre Corona haben das BLLV-Kinderhaus verändert. Nach zwei Jahren Pandemie sind die Kinder und Jugendlichen wieder zurück. Nach großer Not und Verzweiflung ist Zuversicht zurückgekehrt. Zwei Jahre lang war es das Logistikzentrum für die Hilfe für die Ärmsten der Armen. Nun beginnt ein neuer Abschnitt in der 27jährigen Geschichte des Kinderhauses hat begonnen.

 

Ein Reise- und Erfahrungsbericht von Dieter Reithmeier, Geschäftsführer der BLLV-Kinderhilfe:

„Bienvenido, bienvenido“ – „Willkommen, willkommen!“ mit diesem Ruf kommen mir die Kinder entgegen, als ich von der hektischen Straße kommend ins Kinderhaus eintrete. Buben und Mädchen umarmen mich – große Freude schlägt mir, dem Gast aus dem fernen Deutschland, entgegen.  Viele können sich kaum vorstellen, wo Deutschland überhaupt liegt, aber sie wissen, dass dort Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler an sie denken und ihnen dieses Haus geschenkt haben. 

Das Kinderhaus ist wieder so, wie ich es aus der Zeit vor der Pandemie kannte: Im Hof lachen, spielen, tanzen die Kinder und in den Klassenräumen lernen und üben sie. Nach zwei Jahren Ausnahmezustand herrscht hier wieder Zuversicht, Freude und Ausgelassenheit. Die Kinder aus den Armenhütten haben hier endlich wieder ihr Zuhause gefunden.

 

Welch ein Unterschied zu meinem Besuch im vergangenen Jahr! Während der Pandemie wurde das Kinderhaus zu einem Logistikzentrum umfunktioniert Von hier aus wurde die Hilfe für die Ärmsten der Armen organisiert.  Die pädagogische Arbeit wurde ins Freie in die Armenviertel der Stadt verlagert. Verunsicherung und Verzweiflung zeichnete die Erwachsenen und die Kinder. Unvergessen bleiben mir die Tränen, die in einer Besprechung mit allen unseren Mitarbeitern flossen, als jeder über die Erfahrungen und Erlebnisse während der Pandemie berichtete. Viele hatten liebe Verwandte und Freunde verloren.

Der Albtraum ist nun – hoffentlich – vorbei, auch wenn die Folgen immer noch zu spüren sind. Zwei Jahre Ausnahmezustand, zwei Jahre geschlossene Schulen und ein monatelanger Lockdown haben die Menschen verändert. So unbekümmert und fröhlich sie auf den ersten Blick wirken – die meisten Kinder haben zu kämpfen: Mit riesigen Lernrückstände und erheblichen Konzentrationsproblemen. Die Lernmotivation hat stark gelitten. Darüber hinaus hat die Pandemie auch die sozial-emotionale Entwicklung nachhaltig gestört. Die Verhaltensauffälligkeiten vor allem bei den Jungs hat stark zugenommen. Unsere Pädagogen beobachten deutlich mehr Gewaltbereitschaft und Aggression.

 

Neuer Aufbruch

Und doch herrscht unter allen eine Stimmung des Aufbruchs. Aus der Verzweiflung und Unsicherheit ist ein neuer Geist des Miteinanders entstanden. „Wir haben in der Pandemie viel gelernt“, sagt Mariela Molinari, die Vorsitzende der peruanischen Trägerorganisation Wawa Kuna Mantaq („Für unsere Kinder“ auf Quechua). „Da unser Haus für die Kinder geschlossen war, sind unsere Pädagogen, Psychologen und Lehrer, sobald es irgendwie möglich war, raus in die Armenviertel. Die Unterstützung der Bevölkerung mit Lebensmittelpaketen zu Beginn der Pandemie und die Ausstattung vieler Suppenküchen haben uns sehr geholfen, die Türen zu den Herzen vieler Familien zu öffnen.“

Auch das Berufsbildungszentrum hat seinen Betrieb wieder voll aufgenommen. Täglich finden die Kurse in der Bäckerei und Konditorei, im Computerraum und in der Schneiderei statt. Im ersten Halbjahr 2022 nahmen 124 Jugendliche an den Ausbildungskursen teil. 73 davon waren junge Frauen. Fast 60 der der eingeschriebenen Auszubildenden hatte vorher das Kinderhaus besucht.

Eine interne Studie der Auszubildenden hat ergeben, das über 40 % der Jugendlichen waren in unterschiedlicher Form Opfer von Gewalt, vor allem junge Mädchen. In Workshops und in Einzelgesprächen mit unseren Psychologen können wir gezielt Hilfe anbieten. Auch das macht die besondere Qualität der Arbeit des Berufsbildungszentrums aus: Es werden nicht nur Berufskompetenzen vermittelt, die Mitarbeiter kümmern sich auch um die Lebenssituation der jungen Menschen.  

 

Tränen fließen

Was passiert eigentlich mit den jungen Menschen, die das Kinderhaus hinter sich lassen? Diese Frage bewegt uns seit Jahren. Sie ist ja auch ein Gradmesser für den Erfolg unserer jahrelangen Arbeit.  Nancy Galvez, die Leiterin des Kinderhauses, lud deshalb während meines Besuchs Ehemalige zu einem Treffen ein. Es kamen fünfzehn junge Männer und Frauen zwischen 20 und 38 Jahren. Einige von ihnen sind schon Jahre nicht mehr im Kinderhaus gewesen, andere waren noch sehr vertraut mit allem.

Da sitzt Claudia (32), die im Alter von acht bis zehn Jahren an den Programmen des Kinderhauses teilnahm. Die arbeitet heute als Krankenschwester. Neben ihr Juan Carlos (31), besuchte das Kinderhaus im Alter von sieben bis vierzehn Jahren im Kinderhaus, er hat heute einen eigenen Schlosserbetrieb. Allan (35) verkaufte als Kind zusammen mit seinem Vater täglich in öffentlichen Bussen die Tickets. Er ist heute erfolgreicher Anwalt und Journalist. Seine Mission: Den Armen zu ihrem Recht zu helfen. Und da ist der 38jährige Edgar, Kunsthandwerker, einer der ganz frühen Teilnehmer am Programm, der sich der Volkskunst widmet und wunderbare Retablos schafft, aus Tonfiguren gestaltete Alltagssituationen.  Das Spektrum der Berufs ist groß: Aus den Jungen und Mädchen von damals  wurden Krankenschwestern, Anwälte, Psychologen, Sozialarbeiter, Buchhalter, Betriebswirtschaftler.
 

In bewegenden Worten berichten sie über ihren Weg aus der Armut und Aussichtslosigkeit. Das Kinderhaus war ihre Familie, ihr Zuhause. Sie sprechen von der Liebe, der Zuneigung und dem Respekt, die sie hier erlebt haben. Und plötzlich fließen die Tränen und es wird ganz still. Man ahnt, welche Erinnerungen wach werden an die Not der Kindheit, aber auch an die Hilfe und Unterstützung im Kinderhaus, an den steinigen Lebensweg hin zu einem besseren Leben.

Da nimmt der eine die Hand des anderen, um ihm in seinen Gefühlen beizustehen. Das sind die Momente großen Glücks, die Momente, in denen man weiß, dass die Arbeit, die wir im Kinderhaus leisten, nicht die Welt retten wird, aber junge Menschen prägt und ihnen Lebensperspektiven eröffnet. Und was mehr können wir erreichen? Das Treffen löst bei allen ein tiefes Gemeinschaftsgefühl aus. Am Ende heißt es: „Wir wollen uns wieder treffen, wir wollen dem Kinderhaus etwas zurückgeben für das Großartige, was wir erhalten haben.“

 

 

Tausende vor dem Hunger bewahrt

Dank der Spenden aus Bayern konnten wir während der Pandemie die Lebensmittelverteilung für hungernde Familien in den Armenvierteln durchgehend sicherstellen und die Ausstattung vieler Suppenküchen mit Herden, Töpfen und Lebensmitteln ermöglichen. Allein in Ayacucho richtete die BLLV-Kinderhilfe 13 Suppenküchen ein, die heute in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung fortgeführt werden.

Aber wir konnten nicht nur in Ayacucho, sondern auch in Lima nachhaltig helfen. Für 32 Suppenküchen beschafften wir Herde, Gas, Kochtöpfe und Lebensmittel. Wir fahren hinaus in den Stadtbezirk mit dem Namen „Villa Maria del Triunfo“. Er liegt am Rande der 13 Millionen-Metropole nordöstlich des Zentrums an den Hängen der Anden. Was uns erwartet sind Staub und Stein. Kaum vorstellbar hier zu leben – oft ohne Wasser und Kanalisation. Unbefestigte Straßen mit großen Schlaglöchern versehen machen die Anfahrt zum Abenteuer. Als wir mit dem Auto nicht mehr weiterkommen, machen wir unseren Weg zu Fuß, bis wir irgendwann das Viertel El Paradiso erreichen. Was für ein Name angesichts der unfassbaren Armut dort.

 

An einer Wegkreuzung betreten wir den Innenhof eine Suppenküche. Dort erwarten uns zwölf Frauen mit Schildern, auf denen die Namen der Suppenküchen stehen, die wir heute besuchen. Worte des Dankes, aber auch der Sorge um die Zukunft tragen die selbstbewussten Frauen vor. Sie wissen, dass wir die Ausstattung der Suppenküchen ermöglicht haben, aber sie sind sich auch bewusst, dass auch sie selbst in gemeinsamer Anstrengung Großartiges geleistet haben, und dass sie nun selbst in Eigenverantwortung die Küchen organisieren müssen.

Nach der Vorstellung essen wir einen Teller mit Reis, Bohnen und Hühnchen. Dann geht es den Berg hinauf. Eine Suppenküche nach der anderen besuchen wir, lassen uns die Ausstattung zeigen und die Organisation erklären. Inzwischen sind die Suppenküchen von unseren Zuschüssen unabhängig. Sie finanzieren sich aus einem kleinen Solidarbeitrag der Nachbarn, aus Spenden und teilweise erhalten sie auch einen Zuschuss aus der Gemeindekasse. Mit den 32 Suppenküchen in Lima und 13 in Ayacucho konnten wir über 2 000 Familien, also zwischen 8 000 und 10 000 Menschen helfen, satt zu werden.
 

 

Wie geht es weiter?

Am Ende dieser zehn Tage bin ich müde, aber erfüllt mit all den intensiven Eindrücken und Erlebnissen. Wie schön ist es, dass wir dank der Unterstützung unserer Freunde und Förderer in Bayern so  vielen Menschen helfen konnten. Und wie schön ist es zu erleben, dass unser Kinderhaus seine wertvolle Arbeit wieder voll aufgenommen hat mit dem Engagement und dem vollen Einsatz der Lehrer, Sozialpädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter vor Ort.

In die Freude mischen sich aber auch Sorgen beschäftigen mich: Wie wird es weitergehen? Werden wir angesichts der dramatischen Veränderungen auf der ganzen Welt noch Unterstützung für die Menschen in Lateinamerika finden? Werden unsere Spenden in Folge der wirtschaftlichen Probleme in Deutschland einbrechen? Unsere Freunde in Ayacucho beruhigen mich. Noch immer hallen Sätze in mir nach, die ich zu hören bekam: „Wir haben schon manche Hochs und Tiefs gemeinsam durchgestanden. Und so wird es auch jetzt sein. Wir haben ein solides Fundament gelegt. Und auf dem können wir auch in Zeiten der Not aufbauen.“ „Resignieren ist keine Lösung, ganz im Gegenteil. Wir wissen uns doch von viel Solidarität und Unterstützung getragen.“ Dass das so bleibt, ist meine Hoffnung.

Das BLLV-Kinderhaus in der Pandemie

Ein filmischer Bericht über das Kinderhaus und seine Aufgaben

Bericht aus dem Kinderhaus Februar 2022

Lateinamerika hat sich weltweit zu einem Hotspot der Coronainfektionen entwickelt. In Peru ist die Situation dramatisch. Peru mit 32,5 Millionen Einwohnern wird mit einer der weltweit höchsten Sterberaten geführt.

Das Kinderhaus ist zu einem Zentrum der humanitären Hilfe in Ayacucho geworden. Die Mitarbeiterinnen des Kinderhauses kämpfen gegen Hunger und Verzweiflung.

Die Freude und Ausgelassenheit von Kindern hat das Kinderhaus seit langem nicht mehr erlebt. Nichts sehnen sich alle mehr herbei, als dass die Kinder endlich wieder kommen dürfen. Aber das ist noch lange nicht Sicht. Jetzt gilt es, die Not draußen in den Hütten und Häusern Ayacuchos zu lindern.

Die ärztliche Versorgung in Peru ist schon lange zusammengebrochen. Es gibt praktisch keine Ärzte mehr, an die sich Menschen ohne Geld wenden können. In den Krankenhäusern herrscht Chaos. Die Menschen sterben ohne ärztliche Hilfe in ihren Hütten und werden notdürftig begraben. Kaum eine Familie, die nicht mehrere Covid-19-Tote zu beklagen hat. Große Teile der Wirtschaft sind lahmgelegt. Hinzu kommt eine Staatskrise: Im November musste Präsident Martin Vizcarra zurücktreten, sein Nachfolger war gerade mal fünf Tage im Amt. Jetzt regiert ein Übergangspräsident mit einer Art Notkabinett.

 

Eine Mischung aus Verzweiflung und Resignation hat sich unter den Menschen breit gemacht. Die Schulen sind nun ein komplettes Jahr geschlossen, Ersatzunterricht gibt es kaum. Wie soll das auch gehen, wenn das erste Problem der Hunger ist? Die Gewalt in den Familien nimmt zu, vor allem in den Zeiten der Quarantäne. Immer wieder wird regional Quarantäne angeordnet, wenn die Inzidenzzahlen zu hoch sind. Im Januar und Februar standen in Ayacucho wieder einmal fast alle Räder still. In dieser nun schon über einem Jahr andauernden Notsituation verwahrlosen immer mehr Kinder und Jugendliche.

„Die Situation in Peru ist eine große Katastrophe“, schreibt uns Mariela Molinari, die Direktorin des Kinderhauses. „In vielen Familien herrscht Hunger. Die Menschen sind auch mental mit der Bedrohung durch Covid-19 überfordert. Sie wissen nicht damit umzugehen. Ohnmacht, Verzweiflung, Resignation haben sich breit gemacht.“ 

BLLV-Kinderhaus: Hort der Hoffnung

In dieser verheerenden Situation ist das BLLV-Kinderhaus für viele buchstäblich ein letzter Rettungsanker geworden und ein Hort der Hoffnung. Unermüdlich arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mehrmals in der Woche treffen sie sich im Kinderhaus und besprechen die Einsatzpläne. Einige von ihnen sind für die Verteilung der Lebensmittelpakete für die Familien eingeteilt. Sie stellen die Taschen zusammen, die unter Bewachung von Sicherheitskräften in die Armenviertel gebracht werden. Andere gehen in die Viertel und nehmen Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen auf. Sie treffen sich mit ihnen in kleinen Gruppen im Freien, lernen, musizieren, basteln. Vor allem aber sind sie Ansprechpartner der Kinder, mit denen sie über ihre Erlebnisse, ihre Nöte, Probleme und oft auch ihre Traumata sprechen können. Bei ihnen finden sie Gehör und Zuspruch.

Die Suppenküchen bewahren vor dem Schlimmsten

Wieder andere Mitarbeiterinnen gehen in die Suppenküchen und helfen bei der Verteilung des Essens mit. Die mit den Spenden aus Bayern eingerichteten fünf Suppenküchen sind Überlebensgarant und Hoffnung für die Menschen in den Armenvierteln. Bis zu zehn Frauen kochen hier. Ein genauer Wochenplan ist ausgearbeitet, die Lebensmittel werden mit den Spenden aus Bayern bezahlt. Inzwischen beteiligt sich auch die Stadtverwaltung. Für 200 und mehr Menschen zu kochen, will geübt sein. Aber die Frauen sind geschickt und wissen, dass sie eine große Verantwortung tragen.

Viele Hände helfen zusammen beim Gemüseschneiden und zubereiten. Auch wenn die Sorgen aller groß sind, so sind auch Stolz und Glück zu sehen, wenn die Frauen in den großen Töpfen das Mittagessen zubereiten. Das alles macht die BLLV-Kinderhilfe möglich.

Die Suppenküchen auszustatten ist eine besondere Herausforderung: Es bedarf eines überdachten Raumes, fließend Wasser, Elektrizität, eines Herdes, einer Spüle mit Anschluss an die Kanalisation und auch eines Raumes zur Essensausgabe. Und das ist in den Armenvierteln Ayacuchos keineswegs so einfach. So war es die schwierigste Aufgabe in den ersten Monaten der Pandemie, geeignete Räumlichkeiten für die Gemeinschaftsküchen zu finden und sie so auszubauen und zu renovieren, dass sie funktionstüchtig sind und auch den Hygieneerfordernissen entsprechen.

 

Ab 12 Uhr kommen Frauen und Kinder mit ihren Masken und ihren Plastikbehältnissen und Töpfen. Geduldig stellen sie sich hintereinander in gebührlichem Abstand auf und warten, bis sie an der Reihe sind und ihre Essensration erhalten. Nachdem sie ihr Essen erhalten haben, trotten sie still zurück in ihre Hütten, wo schon viele hungrige Mäuler auf sie warten.

Die Dankbarkeit und Anerkennung der Menschen für diese humanitäre Hilfe ist riesig. Auch die Stadtverwaltung hat erkannt, dass die zupackenden, unbürokratischen Initiativen des BLLV-Kinderhauses in der Pandemie ein großer unverzichtbarer Beitrag der Zivilgesellschaft in der Pandemie sind. Es sind weitere Suppenküchen in Planung. Aber nicht nur in Ayacucho, sondern auch in Lima konnten in verschiedenen Armenvierteln mit den Spenden aus Bayern Suppenküchen eingerichtet werden, elf an der Zahl.
 

Berufsbildungskurse digital

Die Berufsbildungskurse haben wieder begonnen, wenn auch nur digital. Der Computerunterricht ist sehr gefragt, aber auch die Bäckermeisterin wartet mit digitalen Backkursen auf. Im Livestream erklären die Lehrer die Inhalte der Kurse. Im Internet werden sie über Facebook aktiv beworben.

Erzähle mir Deine Geschichte!

Eine besonders bewegende Erfahrung war die Aktion „Cuentame tu historia“ (Erzähle mir Deine Geschichte). Kinder sollten über ihre Erfahrungen in der Pandemie berichten. Über örtliche Radiostationen, über Flugblätter, über Mund-zu-Mund-Propaganda wurde auf diese Aktion hingewiesen. Alle Teilnehmer bekamen kleine Pakete mit Stiften, Papier und Lernheften als Motivation zum selbständigen Lernen. Die Resonanz war überwältigend. Über 2 000 Kinder nahmen an der Aktion teil und schickten selbstgemalte Bilder, Texte und Ähnliches ein. Ein Blick in die Seelen der Kinder, ihre Ängste und Trauer, über ihre Hoffnungen und Freuden.

Die Einsendungen zeigten den Mitarbeiterinnen in teilweise beklemmender Form die Gefühle der Kinder. Es wurde überdeutlich, welche Wunden die Pandemie auch in den Seelen der Kinder verursacht. Die Narben werden lange sichtbar sein.

Die Radiostation "Wawas en primera linea"

In einem Klassenzimmer des Kinderhauses wurde eine Radio- und TV-Station eingerichtet. Wöchentlich geht der Sender Wawas en primera linea (Kinder ganz vorne) mehrmals auf Sender: Hygienetipps stehen ebenso auf dem Programm wie Lernprogramme, auch der Austausch mit Kindern über ihre Lebenssituation. Die drei Moderatorinnen gestalten die Sendungen mit viel Freude und sehr professionell. Ein wichtiges Ziel der Sendungen ist es, den Kindern Zuversicht zu vermitteln, denn eines ist allen klar: Kinder brauchen Hoffnung und Lebensfreude gerade in dieser so deprimierenden Zeit ihrer Kindheit und Jugend.

Mariela Molinari: „Ihr gebt uns Kraft in dieser schwierigen Zeit“

Mariela Molinari ist in regelmäßigen telefonischem und schriftlichem Kontakt mit der BLLV-Kinderhilfe. Sie berichtet von den Aktivitäten und bespricht wichtige logistische Entscheidungen mit dem BLLV. Auf diese Weise ist ein enger Kontakt möglich und der BLLV erfährt stets aktuell über die Situation in Peru und über die Aktivitäten des Kinderhauses.

In einem der letzten Mails schrieb Mariela: „Liebe Freunde in Deutschland. Wir sind oft der Verzweiflung nahe. Die Not ist sehr, sehr groß. Wir helfen, wo wir können. Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich zwar soweit es geht, immer schützen, ist die Arbeit unter diesen Bedingungen eine enorme Belastung. Aber sie sind auch nach einem Jahr noch voller Engagement. Was uns immer wieder motiviert, ist die große Dankbarkeit der Menschen, denen wir helfen. Das gibt uns immer wieder neue Kraft. Und auch Eure Treue zu uns. Ihr haltet so fest zu uns. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Pandemie auch bei Euch in Deutschland verheerende Folgen hat und dass ihr in den Schulen unendlich viel leisten müsst. Umso mehr danken wir Euch, dass Ihr uns nicht im Stich lasst. Was täten wir ohne Euch?“

 

 

Bericht aus dem Kinderhaus Oktober 2020

Gespenstisch mutet es an, wenn die Lieferwagen die Einfahrt des Kinderhauses verlassen: vollbepackt mit festen Einkaufstüten, begleitet von zwei in weißen Schutzanzügen vermummten Mitarbeiterinnen, gefolgt von örtlichen Sicherheitskräften. Mehrmals am Tag machen sie sich auf den Weg zu den verzweifelten Familien in den Randgebieten Ayacuchos. Die Not ist groß, die Ohnmacht raubt jegliche Zuversicht. Oft sieht man weiße Tücher vor den Hütten, Zeichen dafür, dass die Familie nichts mehr zu essen hat.

"Seid Ihr gesund?“

Wenn die Sozialpädagogen von CASADENI an die Türen der Familien, deren Kinder das Kinderhaus besuchen, klopfen oder läuten, dauert es oft lange bis die verschüchterten Menschen zur Tür kommen und zaghaft öffnen. Erst wenn sie die Stimmen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von CASADENI wiedererkennen, schöpfen sie Vertrauen zu den weißen Gestalten, deren Gesichter nicht zu erkennen sind. Dem Erschrecken weicht Freude und Dankbarkeit. „Wie geht es? Seid ihr gesund? Was machen die Kinder?“

Viele der Familien haben außer Bohnen nichts mehr zu essen. Sie fristen ihr Leben, verzweifelt, eingeschüchtert, ohnmächtig, in der Hoffnung, dass irgendwann wieder Normalität einkehrt und sie wieder losziehen können, um ein paar wenige Soles zu verdienen, um wenigstens überleben zu können.

 

Große Dankbarkeit schlägt den Helfern aus dem BLLV-Kinderhaus entgegen. Voller Glück nehmen die Familien die Essenspakte. Wenigstens für einige Tage ist das Überleben gesichert und der quälende Hunger vorbei. Immer wieder erzählen die Mitarbeiter des Kinderhauses den Familien von den bayerischen Lehrern, die Geld für sie spenden. Ungläubig hören sie zu und können es kaum glauben, dass Menschen in einem ganz anderen Teil der Welt ihnen, in ihren ärmlichen Hütten an den Berghängen weit entfernt in den Anden, helfen. Die Vorstellung, dass Menschen in einem ganz anderen Teil der Welt für sie Geld spenden, können die wenigsten wirklich fassen. In einer Welt, in der die Menschen ums blanke Überleben kämpfen, ist so etwas wie Solidarität ein Fremdwort.

Kinderhaus ist Zentrum der Notversorgung

Unterdessen ist das BLLV-Kinderhaus zu einem Zentrum der Notversorgung geworden. Da wo jahrelang Kinder lernten und spielten, sind jetzt die Lager für Lebensmittel. In großen Säcken lagern Zucker, Reis, Bohnen, Linsen, Quinoa, Mehl, Erbsen, Öl, Salz und Thunfisch, die im Großhandel gekauft werden. Die Mitarbeiter packen sie ab in Essenspakete, die für eine vierköpfige Familie zwei Wochen reichen. Dann werden sie auf die offenen Lieferwägen verladen. Sicherheitskräfte in martialischem Outfit begleiten die Auslieferung, damit nichts gestohlen und die Wägen nicht überfallen werden.

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Flucht ins Landesinnere

Die Zeichen in Peru stehen nicht auf Entspannung. Die Pandemie hat dramatische Folgen für Millionen von Menschen ohne Einkommen. Die Migrationsbewegungen von den Städten in die ländlichen Regionen halten an. Im März und April machten sich Zehntausende aus Lima auf den Weg in ihre Heimatdörfer. Es wurde  von verzweifelten Menschen berichtet, die nachts am Straßenrand campieren und tagsüber stundenlang in der glühenden Hitze zu ihren Familien in den Bergen oder im Regenwald laufen. An ihren Händen und auf ihren Rücken weinende und verschüchterte Kinder. Nicht alle erreichten lebend ihr Ziel. Immer wieder starben Kinder auf dem mühsamen Weg in den kalten Nächten hoch in den unwirtlichen Bergen. Manche der Migranten waren an Covid-19 erkrankt ohne es zu wissen und trugen das Virus ins ganze Land.

Der Schulunterricht in Peru ist seit März 2020 ausgesetzt. Nur sehr wenige Kinder und Jugendliche aus wohlsituierten Familien erhalten digitalen Unterricht. Alle anderen verlieren ein ganzes Schuljahr. Die Gewalt in den Familien nimmt zu. Und die Verzweiflung wächst.

Suppenküchen in Ayacucho und Lima

Mit Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kinderhauses wurden in sechs Stadtvierteln von Ayacucho Suppenküchen eingerichtet. Die Lehrer und Sozialpädagogen gingen in die Armenviertel zu den Eltern der Kinder des Kinderhauses und suchten nach Frauen, die bereit sind, sich zu organisieren und für die Nachbarschaft zu kochen. Es galt, Räumlichkeiten zu finden, in denen man kochen und das Essen sicher ausgeben kann. Aber wo gibt es im Armenviertel leer stehende Räume? Oft sind es dann nur Wellblechhütten auf öffentlichem Grund.  Mit den Spenden aus Bayern werden große Töpfe und Herde gekauft. Manche kochen aber noch auf offenem Feuer. Dann gilt es, mit den Frauen und Männern, die helfen, Einsatzpläne zu entwickeln, die Lebensmittel einzukaufen, sicher zu lagern und die Zeiten für die Essensausgabe festzulegen. Täglich bilden sich lange Schlangen mit Frauen, Männern und Kindern, die geduldig mit ihren Behältern anstehen, um das Essen für ihre Familien abzuholen.

Auch in Lima werden 12 Suppenküchen in den Armenvierteln der 13-Millionen-Einwohner-Stadt mit Spendengeldern aus der BLLV-Kinderhilfe betrieben. Unsere Partnerorganisation in Peru organisierte diese Hilfe für die Ärmsten der Armen schnell und unbürokratisch. Ganz offensichtlich ist der Staat, der neben Korruption und einem defizitären Sozialsystem auch mit einer dramatischen Wirtschaftskrise kämpft,  dazu nicht in der Lage. Ihm fehlen Infrastruktur und Ressourcen.

"Erzähle Deine Geschichte" - Traumatisierte Kinder erzählen

Seit die Kinder und Jugendlichen keine Schule mehr besuchen, haben sie nur wenige soziale Kontakte außerhalb der Familie. Heimunterricht ist in Peru das Privileg weniger wohlsituierter Familien. Ohne regelmäßigen Tagesablauf und der Langeweile ausgesetzt, werden viele lethargisch, verlieren ihren Antrieb und ihre Freude am Miteinander. Die meisten Familien sind in dieser Situation hilflos. In ihren Hütten können sie im Kampf ums Überleben  kaum etwas machen - zur Untätigkeit verdammt, dem Hunger ausgesetzt. In vielen Familien herrscht inzwischen ein Klima der Überforderung und oft sogar der Gewalt. Mariela Molinari schreibt: „Uns treibt die große Sorge um, dass die Kinder und Jugendlichen verwahrlosen, dass sie in dieser Situation den jugendlichen Lebensmut verlieren, das Nach-Vorne-Schauen und auch den Ehrgeiz, ihre Lebenssituation zu verbessern.“

Das Kinderhaus hat deshalb eine Kampagne gestartet mit dem Slogan „Cuéntame tu hístoria“ („Erzähl mir deine Geschichte!“). Die Kinder sind aufgefordert, ihre Erlebnisse in der Corona-Zeit aufzuschreiben, um ihre oft traumatischen Situation in diesen Monaten zu reflektieren. Diese Erfahrungen werden dann, wenn die Kinder wieder ins Kinderhaus kommen können, mit ihnen besprochen werden. Teilweise geschieht das schon jetzt in Telefonkonferenzen mit drei, vier Kindern und Jugendlichen und den Sozialpädagogen des Kinderhauses. Die Kinder, die teilnehmen und Bilder und Geschichten einschicken, erhalten Stifte, Hefte und Bücher.

Hygienkampagnen

Die Hygienesituation in den Armenvierteln ist äußerst schlecht. Oft fehlt fließend Wasser und damit natürlich auch ein funktionierendes Abwassersystem. Duschen oder Badewannen gibt es in den wenigsten Hütten. Auch ist das Bewusstsein von Hygiene und Reinlichkeit nicht ausgeprägt. Mit den Spenden aus Bayern wurden groß angelegte Informationskampagnen in den Armenvierteln durchgeführt. Plakate zu den Hygieneregeln wurden großflächig geklebt.

 

Die neue Radiostation

Ein besonderer Stolz ist die neue Radiostation. Mitte Oktober wurde sie mit dem ersten Programm eingeweiht. Bis jetzt sendet Radio CASADENI wöchentlich eine Stunde mit Infos, Gesprächen, Musik und Bildungsangeboten. Der sozialpäragogische Ansatz ist es, das Schweigen zu brechen, neuen Mut zu vermitteln und Lösungen für Alltagsprobleme aufzuzeigen. Die Moderatorinnen sind mit größtem Enthusiasmus dabei und begeistern die wachsende Zahl an Zuhörern und Zuschauern. (Lust zum reinhören: Über facebook , Programm beginnt ab 16:30 min)

 

Achtung: Abstand wahren!

Die Notwendigkeit, Abstand zu halten, um sich nicht mit Covid-19 anzustecken, musste erst verbreitet werden. Häufig herrscht große Unwissenheit über die Krankheit. An eine ärztliche Behandlung ist angesichts des völlig überforderten Gesundheitssystems gar nicht zu denken. Und woher das Geld nehmen, wenn es schon zum Essen nicht mehr reicht?

Die Mitarbeiter*innen des Kinderhauses haben mit einem befreundeten Grafiker Plakate zum Abstand wahren in Spanisch und Quechua entworfen und in den Armutsvierteln aufgehängt.

 

Mariela Molinari: „Ihr setzt Zeichen der Menschlichkeit.“

Die Kolleginnen und Kollegen im Kinderhaus und die Leiterin des Kinder- und Jugendhauses, Mariela Molinari, sind tief bewegt von der Hilfe aus Bayern: „Welch großes Zeichen der Menschlichkeit gebt ihr, liebe Freunde in Bayern", schreibt Mariela. "Ihr könnt euch die Dankbarkeit der vielen verzweifelten Menschen hier für eure Hilfe nicht vorstellen. Ihr setzt ein großes Zeichen für eine solidarische Welt und für unseren Beruf als Pädagogen. Danke.“

Auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann ist überwältigt von der spontanen Hilfsbereitschaft vieler Kolleginnen und Kollegen: „Es ist einfach großartig, dass wir zusammen Zeichen globaler Solidarität setzen. So schwer die Situation im konkreten Schulalltag ist, so dürfen wir doch auch nicht vergessen, dass wir hier in Deutschland, im Vergleich zu vielen anderen Ländern, in einem stabilen Land leben und keine existentielle Not leiden müssen. Ich bin froh, dass wir als BLLV unsere Verantwortung auch global wahrnehmen.“     

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