Migration und Integration

Beschluss der 54. Landesdelegiertenversammlung des BLLV 2019

Ob es gelingt, die Menschen mittel- und langfristig in unsere Gesellschaft zu integrieren, hängt ganz wesentlich von der Schule ab. Denn der Schlüssel zur Integration sind Sprache und Bildung. Unsere Schulen sind Kompetenzzentren für Integration. Deshalb muss es gelingen, dass ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen, damit eine nachhaltige Integration der Kinder und Jugendlichen möglich ist. Um diese Herausforderungen bewältigen zu können, müssen haushaltspolitisch die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Die staatlichen Institutionen müssen in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe zu schultern.

Für den BLLV steht außer Frage, dass die Herausforderungen bestmöglich nur gemeinsam bewältigt werden können. Denn Schulen sind einerseits der zentrale Ort für die Bildung und Integration von Flüchtlingen. Sie sind andererseits gesellschaftliches Vorbild und Lernfeld für ein friedliches und menschliches Miteinander. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund meist in oder zwischen zwei Kulturen leben: Der eigenen Herkunftskultur und der deutschen Kultur ihres außerfamiliären, oft deutschen Lebensumfeldes. Konflikte entstehen dann, wenn diese nicht reflektiert und aufeinander bezogen gelebt werden können. Sprache ist die Grundlage von Reflexion. Deshalb sollten Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund über die mündliche, oft Dialekt gefärbte Umgangssprache hinaus im schulischen Kontext ihre Herkunftssprache auch als korrekte Schrift- und Verkehrssprache erlernen und beherrschen können.

Die Unterstützung der Schüler mit Migrationshintergrund sollte jedoch nicht nur als Notmaßnahme verstanden, sondern Sprache konsequent und als eigenes Bildungsziel verfolgt werden. Der BLLV fordert deshalb, dass den Schülern mit Migrationshintergrund die Möglichkeit geboten wird, im Rahmen eines zweistündigen Wahlfaches ihre Herkunftssprache zu lernen und zu pflegen.

Der BLLV erkennt die bisherigen Bemühungen des Bayerischen Landtags und der Bayerischen Staatsregierung an, die Schulen und die Lehrerinnen und Lehrer dabei zu unterstützen, ihren Auftrag ausüben zu können. Der flexible Ausbau der Deutschklassen, die Erweiterung des Stundenplans durch das Fach Kulturelle Bildung und Werteerziehung und die Stunden der Sprach- und Lernpraxis, sowie die stundenweise Unterstützung durch Drittkräfte sind hierfür Beispiele.

Das bedeutet aber, dass für gelingende Etablierung von Deutschklassen bzw. Deutsch-PLUS-Klassen schnellstmöglich weitere Faktoren Beachtung finden müssen, um die nachfolgenden Herausforderungen bestmöglich meistern zu können. Beide Systeme haben ihre jeweils spezifischen Vor- und Nachteile und sind aus Sicht des BLLV gleichrangig. Die Entscheidung für das jeweilige System muss vor Ort nach den regionalen Gegebenheiten getroffen werden. Unabhängig davon bedürfen jedoch beide Systeme einer ausreichenden Ausstattung und Rahmenbedingungen, die es erlauben, die notwendige Qualität zu erzeugen.

Besondere Herausforderungen des Unterrichts mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind:

  • Sprachbarrieren: Die Sprachbarriere aufgrund fehlender Deutschkenntnisse erschwert die Kommunikation mit Kindern und Elternhaus.
  • Eine hohe Fluktuation: Der laufende Zuzug von Kindern führt dazu, dass mitten im Schuljahr Klassen neu gebildet oder laufend Kinder in bereits gebildete Klassen aufgenommen oder in andere Klassen „verschoben“ werden müssen.
  • Hohes Aggressionspotential: Durch Sprachbarrieren und noch fehlende Sprach- und Kommunikationsfähigkeit kommt es zu überproportional hohen Aggressionsquoten.
  • Ausgeprägte Heterogenität: Die betroffenen Kinder zeichnen sich durch eine sehr hohe Heterogenität aus, die die Schulen und Lehrkräfte vor große Herausforderungen stellen:
    • Sie entstammen unterschiedlichen Kulturkreisen mit unterschiedlichen Erziehungsstilen.
    • Sie weisen eine hohe Altersspreizung auf. Zudem lässt sich nicht bei allen Kindern das exakte Alter feststellen.
    • Sie haben aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft eine völlig unterschiedliche Vorbildung. Diese reicht von Analphabetismus bis hin zur Beherrschung mehrerer Fremdsprachen.
    • Sie verfügen über unterschiedliche Laut- und Schriftsysteme.
    • Sie verfügen durch ihre unterschiedliche Ankunft in Deutschland über ein unterschiedliches Sprachniveau.
  • Familiäre soziale Situation: Die betreffenden Schülerinnen und Schüler leben in schwierigen sozialen Verhältnissen, häufig fast mittellos. Einige Schülerinnen und Schüler sind als unbegleitete Flüchtlinge ohne die Unterstützung ihrer Eltern ganz auf sich allein gestellt.
  • Psychische Belastbarkeitsfaktoren: Traumatisierte Kinder und Jugendliche beeinflussen die Unterrichtssituation in erheblichem Maße.

Der BLLV fordert deshalb:

  1. Zusätzliche Stunden zur Werteerziehung und Berufsorientierung für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in Regelklassen
  2. Einen festen Pool an Dolmetschern
  3. Aufstockung des Kontingents im Bereich der Jugendsozialarbeit, auch mit Menschen mit Migrationshintergrund
  4. Den Einsatz von Multiprofessionellen Teams speziell auch in den Klassen mit Deutsch-Plus-Schülern und in den Deutschklassen
  5. Zusätzliche Verwaltungs- und Schulleitungsstunden zur Bewältigung der Zusatzaufgaben, die sich aus dem verpflichtenden Ganztag in den Deutschklassen ergeben
  6. Verpflichtende Fördermaßnahmen für Kinder mit Migrationshintergrund schon im vorschulischen Bereich
  7. Den Ausbau von Traumazentren und beschleunigte Unterstützung durch Schulpsychologen, qualifizierten Beratungslehrern und den MSD
  8. Erleichterung der finanziellen Notsituation durch die Unterstützung durch BUT-Fördertöpfe und die zusätzliche Bewilligung von Schulsozialarbeitern
  9. Koordinatoren auf Schulamtsebene für den Bereich Deutschklassen und Deutsch PLUS; hierbei sind nicht die Berater zur Migration gemeint
  10. Fortsetzung und Ausweitung des Einsatzes von Drittkräften

 

Um den Herausforderungen auch personell gerecht werden zu können und die Kolleginnen und Kollegen bestmöglich für diese Aufgaben zu rüsten, fordert der BLLV zusätzlich:

A: Eine passgenauere Qualifikation:

  1. Ausweitung der qualifizierten Fortbildungsangebote für DaZ
  2. Schaffung eines eigenen Moduls für didaktisches Begleitmaterial auf LIS
  3. Steigerung der Attraktivität von DaZ für Studierende
  4. Aufnahme von Grundkompetenzen in DaZ in alle Lehramtsstudiengänge

B: Weitreichendere Unterstützungsangebote:

  1. Angebote von Supervisionen
  2. Erfahrungsaustausch und Materialbörse auf Schulamtsebene
  3. Passgenaue Fortbildungen vor Ort
  4. Hilfen bei der Suche nach Angeboten für die Sprach- und Lernpraxis, wie z.B. in Sportvereinen, Betrieben, Trägerschaften
  5. Ausbau vorhandener Unterstützungssysteme (z.B. Schulberatung) auf Schulamtsebene für der Lehrerinnen und Lehrer in der allgemeinen Organisation, dem Schriftverkehr mit Familien und Ämtern und der Suche nach den entsprechenden Dolmetschern