Juristische Konflikte mit Schülereltern Startseite

Ein Strafverfahren, bei dem es keine Gewinner geben kann

Körperverletzung im Amt lautete die Anklage gegen eine Grundschullehrerin. Nun wurde die Verhandlung vom Traunsteiner Amtsgericht mit einer Geldauflage eingestellt. Der Richter hatte über einen Vorfall mit komplexen Rahmenbedingungen zu entscheiden.

Zu dem Verstoß der Lehrerin kam es im November 2018. Das Traunsteiner Tageblatt berichtet, dass der Lehrerin die damals sechsjährige Schülerin bereits seit dem ersten Schultag auffiel. Hinter dem Stören des Unterrichts vermutet sie vor Gericht das Heischen um Aufmerksamkeit. Um eine Lösung zu finden, die dem Mädchen gerecht würde, führte sie auch Gespräche mit dessen Mutter. Dennoch – so die Schilderung der Lehrerin – sei die Schülerin „immer extremer geworden, ich musste mich um sie kümmern, und konnte nicht mit dem Stoff weiter machen“.

Schließlich habe, so der Artikel weiter, die Lehrerin, wie sie selbst sagt, „die Nerven verloren“. Um das Mädchen aus dem Klassenraum zu schicken, habe sie es am Pullikragen „hochgelupft“ und hinausgewiesen. Dabei schnitt der Kragen am Hals ein und die Schülerin erlitt oberflächliche Schürfspuren. Erschrocken über das eigene Verhalten habe sie das Mädchen wieder zurückgeholt und sich sofort vor der gesamten Klasse für ihr Verhalten entschuldigt. Diese Entschuldigung hat sie noch am selben Tag auch gegenüber der Mutter der Schülerin ausgesprochen.

Die Lehrerin ist seither krankgeschrieben, mittlerweile dienstunfähig und macht eine Psychotherapie. Das Geschehen ist komplex, aber den wichtigsten Punkt stellt der zuständige Richter klar heraus: „Die Schuld an dem Vorfall darf nicht auf die Schülerin geschoben werden“, auch wenn die Lehrerin in der Situation offenkundig überfordert war. Da sich die Parteien auf eine Geldauflage von 3000 Euro einigten, wurde das Verfahren eingestellt.

Lehrkräfte im Spannungsfeld vieler Anforderungen

Das Verhalten der Lehrerin nur als persönliche Überforderung zu deuten, wäre zu kurz gegriffen. Vielmehr üben die Zunahme von immer mehr und immer komplexeren Aufgaben und der damit verbundene Zeitdruck einen wesentlichen Einfluss auf die Belastbarkeit von Lehrkräften im Be-rufsalltag aus. Die Vorschläge zur Verbesserung der Verhältnisse sind zwar bekannt – wozu der BLLV einen wesentlichen Beitrag geleistet hat – doch wird ihnen längst nicht ausreichend Rechnung getragen.

Vom Traunsteiner Tageblatt auf die Belastungen des Schulalltags angesprochen, schildert Otto Mayer, Leiter des Staatlichen Schulamts Traunstein, welche Konflikte damit verbunden sind: »Einerseits für den Schutz der Schüler zu sorgen und gleichzeitig die Fürsorgepflicht gegenüber den Lehrern zu gewährleisten – das ist eine Gratwanderung«.

Lehrkräfte im Zentrum der elterlichen Aufmerksamkeit

Dass gerade von Seiten der Eltern der Druck auf Lehrkräfte zunimmt, betont BLLV Präsidentin Simone Fleischmann gegenüber der Zeitung. „Die Eltern sind heute sensibler, drohen bei Problemen schneller mit dem Anwalt“. Grundsätzlich dürfe dies nicht negativ gewertet werden, denn „wenn etwas vorgefallen ist, dann muss und wird dem auch nachgegangen“.

Aus ihrer eigenen Erfahrung als ehemalige Leiterin einer Grund- und Mittelschule weiß sie, dass auch die Eltern oftmals überfordert sind: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Leistung einen hohen Stellenwert hat, gleichzeitig haben wir ein sehr selektives, wenig inkludierendes Schulsystem, das auf Schwächere keine Rücksicht nimmt.“ Eltern fänden sich im Konflikt zwischen Leistungsdruck und Erwartungshaltung – auch gegenüber den Lehrern – immer schlechter zurecht.

Lehrkräfte sind bei juristischen Konflikten mit Eltern nicht wehrlos

Simone Fleischmann empfiehlt, Schwierigkeiten in kooperativen Gesprächen zwischen Eltern und Lehrkräften zu klären statt die Gerichte zu bemühen. Tatsächlich steigt die Zahl der juristischen Konsequenzen, die Lehrkräften angedroht oder auch gegen sie eingeleitet werden. Diese Erfahrung macht auch die Rechtsabteilung des BLLV, in der mittlerweile vier Volljurist/innen beschäftigt sind. Sowohl die Menge der Dienstaufsichtsbeschwerden als auch der Strafanzeigen gegen Lehrkräfte ist in den letzten Jahren gestiegen. Die entsprechende Anzahl an Mitgliedern, die sich mit solchen Konflikten an den BLLV wenden, zeigt aber auch, dass sie nicht wehrlos sind: In ungefähr 95 % der Fälle konnte die Rechtsabteilung zur Einstellung der Ermittlungsverfahren beitragen. Ebenfalls die vom BLLV geleisteten Beratungen zu Dienstaufsichtsbeschwerden führten dazu, dass es kaum zu dienstrechtlichen Konsequenzen kam.

Ruhe bewahren, Gespräche führen und Rat einholen

Vermeiden lässt sich die gerichtliche Aufarbeitung dann nicht mehr, wenn es zu einer Anklage kommt, so wie im Fall der Lehrerin aus dem Traunsteiner Kreis. Sie muss auch mit einem Disziplinarverfahren rechnen, denn durch die Verurteilung steht fest, dass die Lehrkraft gegen die Gesetze und damit auch gegen Dienstpflichten verstoßen hat.

Nach Erfahrung der Rechtsabteilung des BLLV gelangen jedoch sehr wenige Anzeigen tatsächlich vor Gericht. Dies ist vor allem darauf zurück zu führen, dass die Staatsanwaltschaft keine Anklage erhebt, weil kein strafbares Verhalten vorliegt.

Die Rechtsabteilung des BLLV empfiehlt, bei solchen Konflikten möglichst die Ruhe zu bewahren, das Gespräch weiterhin zu suchen und frühzeitig die Dienstvorgesetzten einzuschalten. Diese haben viele Möglichkeiten, sowohl der Lehrkraft bei unberechtigten Vorwürfen beizustehen und den Rücken zu stärken als auch bei Differenzen mit Eltern zu schlichten. Leider werden diese Vermittlungsangebote von den Eltern nicht immer wahrgenommen. Dann hilft der BLLV.