Etwas falsch zu machen muss nicht verkehrt sein. Wenn ein Schüler dadurch wirklich versteht, wie es richtig geht, hat sich sein Fehler rentiert.
Etwas falsch zu machen muss nicht verkehrt sein. Wenn ein Schüler dadurch wirklich versteht, wie es richtig geht, hat sich sein Fehler rentiert.
Über den Umgang mit Fehlern – Seminartipps Akademie

"Fehler sind notwendig"

Fehler gelten im System Schule als Übel. Doch diese Perspektive ist oft wenig hilfreich. Warum wir eine andere Fehlerkultur brauchen und wie Lehrkräfte und Schüler davon profitieren, erklärt die Psychologin Janine Netzel*.

Aus Fehlern lernt man. Wir brauchen eine bessere Fehlerkultur! Alles schon oft gehört. Warum haben wir noch keine bessere Fehlerkultur?

Janine Netzel: Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Aber wir leben in einer Kultur, in der wir das Negative in den Fokus nehmen, wir loben uns selten. Stattdessen schauen wir: Wo hat jemand versagt, sein Soll nicht erfüllt? Das ist in den meisten Institutionen die Regel: in der Arbeit, im Privaten, im Umgang mit Kindern.

 

Warum? Wir wissen ja mittlerweile, dass es abträglich ist, mit Fehlern so umzugehen.

Janine Netzel: Unsere Kultur ist stark individualistisch geprägt. Wie wollen uns von anderen abheben, besser sein als andere. Der Vergleich mit anderen ist uns dafür ein Motor, ein „Aphrodisiakum“ des Alltags. Wir steigern unser Selbstwertgefühl mit positiven Emotionen, deshalb suchen wir immer: Wo kann ich besser sein als andere, wo kann ich mich herausstellen? Wir sagen selten: Ah, ich bin genau so gut wie der. Und weil das so ein zentraler Motor ist, hat das natürlich einen starken Einfluss auf unsere Fehlerwahrnehmung.

 

Was kann ich als Einzelner heute schon bewirken, selbst wenn die Fehlerkultur an meiner Schule oder in meinem Unternehmen nicht ideal ist?

Janine Netzel: Man sollte sich fragen: Wofür möchte ich als Lehrer stehen? Natürlich für eine offene, transparente Fehlerkultur. Das ist aber erstmal nicht mehr als eine Worthülse. Es braucht also Reflexion und Initiative. Ein wichtiger Faktor, damit eine offene Fehlerkultur gelingen kann, ist die Selbstwirksamkeitserwartung. Also meine Erwartung, wie gut ich mit einer bestimmen Situation werde umgehen können. Es ist erwiesen, dass Lehrer mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung ein besseres Klassenklima haben. Selbstwirksamheit hat, nach dem Psychologen Albert Bandura, jemand, der seine Fähigkeiten kennt und in der Lage ist, etwas zu bewirken und andere zu überzeugen. Eine wichtige Kompetenz für Lehrer wie Schüler!

 

Wie hängen Selbstwirksamkeit und Fehlerkultur zusammen?

Janine Netzel: Wenn ein Fehler passiert, etwas nicht klappt, bedroht das das Selbstwertgefühl: Das, was ich dachte, funktioniert leider nicht. Also Misserfolg, Soll verfehlt. Gerade da ist es wichtig, als Lehrer oder Eltern die Selbstwirksamkeit von Schülern zu stärken! Fehler können eben passieren, und sie sind notwendig, um sie in zukünftiges Wissen einzubetten. Auch Eltern und Lehrer machen Fehler – und lernen bestenfalls daraus. Sie sollten sich ihrer Vorbildwirkung bewusst sein.

Aber wie kann ich die Perspektive auf Fehler verändern, damit ein Kind Fehler nicht als negativ erlebt?
Janine Netzel: Dafür muss man sehr gut kommunizieren können und in der Lage sein, die Perspektive des Kindes einzunehmen. Ich muss verstehen können: Es ist zunächst unangenehm, einen Fehler zu machen. Und dann sollte man dieses Gefühl nicht noch betonen, sondern besser reagieren mit: „Ah, ein guter Ansatz, interessant, denn ich wäre gar nicht drauf gekommen. Aber lass uns schauen, warum kommt es denn jetzt nicht zum Ergebnis? Welche Wege hätte man noch gehen können?“

Dafür haben wir gar nicht die Zeit, werden Ihnen viele Lehrer sagen.

Janine Netzel: Ja. Das berühmte „Ja, aber…“ Das schlägt einem häufig erst mal entgegen. Man kann ein Umdenken nicht erzwingen, auch das braucht einfach seine Zeit. Interessant ist in diesem Zusammenhang: Die kognitive Einsicht, also der Gedanke: Mh, das hätte ich vielleicht doch anders machen sollen – die kommt lange vor der emotionalen Einsicht. Lassen Sie Ihrem Gegenüber also Zeit, sich mit dem Fehler und den Alternativen auseinanderzusetzen.

Wie oft erleben Sie in Unternehmen, dass Führungskräfte sich hinstellen und sagen: Ich habe einen Fehler gemacht.

Janine Netzel: Leider immer noch zu selten. Denn hier tritt der „self serving bias“ auf, also die dem Selbstwert dienende Verzerrung. Wir alle tendieren dazu, Misserfolge eher äußeren Ursachen zuzuordnen: Der Raum war schlecht belüftet, ich wurde gestört; mein Vorgesetzter, meine Mitarbeiter haben mich im Stich gelassen. Wenn wir aber erfolgreich sind, dann lag es natürlich an uns! Und interessanterweise verschärft sich dieser Effekt über die Hierarchiestufen hinweg. Je höher Sie auf der Karriereleiter stehen, desto stärker nehmen Sie das so an. Die Forschung zeigt, dass es deshalb umso besser ist, wenn Führungskräfte in der Lage sind, zu reflektieren und Fehler einzugestehen. Das steigert die Mitarbeiterzufriedenheit und -loyalität deutlich. Und das kann man sicherlich auf den Schulkontext übertragen.

Ist es denn sinnvoll, sich als Lehrer mit einer Führungskraft zu vergleichen? Sind Schüler mit Mitarbeitern zu vergleichen?
 
Janine Netzel: Ja, auf jeden Fall. Ein Lehrer führt seine Schüler, und er führt in gewissem Maße auch die Eltern. Er führt nach oben und seitwärts zu den Kollegen. Es ist im Gegenteil dann problematisch, wenn sich Lehrer als reine Fachexperten begreifen, die nur Wissen vermitteln. Aber die Sensibilität für das Thema „Führung“ steigt an den Schulen, das kommt auch durch den erweiterten Leitungskreis.


Warum ist es so wichtig, etwas zu ändern?

Janine Netzel: Die Schule bildet die Verantwortungsträger von morgen aus. Entscheidend für den Erfolg in Berufs- und Privatleben ist es, Selbstwirksamkeit zu lernen. Und die lernen sie eben nur bei einem offenen und transparenten Umgang mit Fehlern. Wir haben heute schon einen Arbeitsmarkt, der von uns extreme Flexibilität erwartet. Wir haben überall sehr komplexe Probleme und Fragestellungen. Und die Generation der jetzt Dreißig- und Vierzigjährigen, die haben nicht mehr die Arbeitsplatzsicherheit und die finanzielle Sicherheit wie die Generationen davor. Wir werden Erfolge haben, aber auch immer öfter scheitern. Und die uns Nachfolgenden müssen erst Recht aufs Scheitern, den Umgang mit Fehlern und Misserfolgen, vorbereitet werden. Und dafür ist die Schule ein prägender Ort.


* Dr. Janine Netzel Die Psychologin und Mediatorin leitet stellvertretend das Center for Leadership and People Management der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie forscht zu Macht und Perspektivenübernahme in hierarchischen und interdisziplinären Arbeitskontexten, und gibt Trainings in den Bereichen Führung, Teamarbeit und Konfliktmanagement.

Seminar "Vom Fehlerfahnder zum Schatzsucher"

Termin: Dienstag, 26. April 2016, 14:30 Uhr - 17:30 Uhr
Referent: Klaus Wenzel
Ort: BLLV-Landesgeschäftsstelle, Bavariaring 37, 80336 München

Seminar "Konstruktive Feedbackprozesse in der Schule"

Termin: Montag, 18. April 2016, 10:00 Uhr - 16:00 Uhr
Referent: Susanne Seefried
Ort: BLLV-Landesgeschäftsstelle, Bavariaring 37, 80336 München