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Akzente - 4/2020 Startseite

Kultur des Zentralismus

Aufgabe der Schulverwaltung wäre die Ermutigung zu Eigenverantwortung sowie echte und wahre Hilfe auf dem Weg dahin, nicht das Streben nach Einheitsmodellen. Der Mythos der Gleichheit, der Vergleichbarkeit und Objektivität von Schulen ist spätestens mit der Corona-Krise aufgeflogen.

Die zurückliegenden Monate lasten schwer auf uns. Noch vor wenigen Monaten waren die Maßnahmen, die staatlicherseits ergriffen wurden, um eine gesundheitliche Katastrophe zu verhindern, völlig undenkbar. Die meisten von uns und auch ich waren und sind in vielen Momenten in größter Sorge, dass die Strukturen unserer Gesellschaft diese Belastungsprobe nicht aushalten. In dieser Krise waren plötzlich wir Lehrerinnen und Lehrer systemrelevant – ein Begriff, der Banken vorbehalten war, deren Insolvenz in der Finanzkrise 2007 die gesamte Volkswirtschaft in den Abgrund gerissen hätte.

Schule ist systemrelevant

Je länger der Shutdown dauerte, desto klarer wurde: Eine Gesellschaft ohne Schule ist nicht überlebensfähig. Das heißt, Lehrer und Lehrerinnen sichern an zentraler Stelle das Funktionieren unserer Gesellschaft. Schule ist systemrelevant. Der Wert unserer Profession liegt plötzlich auf dem Tisch. Er ist sichtbarer denn je.

Jetzt verlangt man von uns Lehrerinnen und Lehrern gerade in den dramatischen Zeiten des Lehrermangels wieder mal noch mehr. Geht’s noch? Und wir? Wir funktionieren. Wir arbeiten bis zur Erschöpfung. Wir ringen mit den Sachaufwandsträgern um umsetzbare Hygienemaßnahmen. Wir tun alles, dass die Kinder und Jugendlichen nicht auf der Strecke bleiben. Wir wollen und können unsere Gesellschaft nicht im Stich lassen. Wir sind da!

Aber wie kann man Präsenz-Unterricht, Hygienemaßnahmen, Fernunterricht, Notbetreuung, und seine eigene Lebenssituation schaffen? Es ging ja nicht um eine Woche, sondern um Monate. Ist das nicht schlichtweg unmöglich? Realistische Lösungen wären gefragt gewesen, die Kolleginnen und Kollegen objektiv noch tragen können, ohne selbst krank zu werden. Nein, so einfach geht es nicht – das Land ist im Krisenmodus.

Die BLLV-Devise am Anfang der Krise, die auch der Kultusminister unterstützte: Rahmenbedingungen festlegen, klare Ansagen und Eigenverantwortung stärken. Doch dann die Ernüchterung. Zwar legten viele Schulen vor Ort professionell und kompetent los. Aber viele andere waren verunsichert, stellten Fragen und baten um Detailregelungen aus München. Wir schaffen auch das Detail, so das Kultusministerium, wir schreiben KMS, in denen wir alles regeln, sodass keine Fragen offen bleiben. Die Lehrer und Schulleiter wollen das so, hieß es dann. Offen blieb die Frage, wer dies nun alles wann lesen, verstehen und umsetzen soll. Irgendwie wird es schon funktionieren, ist doch immer gegangen.Aber zu welchem Preis? Eigenverantwortung auf Knopfdruck in der Krise haut nicht hin!

Die Corona-Krise hat allen gezeigt: Lehrerinnen und Lehrer sind systemrelevant. Jetzt ist es Zeit für die nächste Erkenntnis: Die Praktiker vor Ort brauchen Vertrauen.

Wir erleben gerade das Scheitern einer zentralistischen Verwaltungskultur, die die Effizienz der Praxis nie wirklich akzeptiert hat. Ist es etwa das tiefe Misstrauen der Schul-verwaltung gegenüber den Profis vor Ort? Und dann auch noch das Misstrauen mancher Eltern gegenüber der Schule vor Ort. Man mag darüber streiten, was jetzt in der Corona-Krise der richtige Weg ist. Nicht streiten kann man darüber, dass Misstrauen und Kontrolle als Paradigmen der Schulverwaltung viel zu lange die Schulen bestimmt, dass man viel zu lange die Gestaltungskompetenz der Kolleginnen und Kollegen in Zweifel gezogen hat.

Blaupausen gibt es in Krisenzeiten nicht

Aufgabe der Schulverwaltung wäre die Ermutigung zu Eigenverantwortung sowie echte und wahre Hilfe auf dem Weg dahin, nicht das Streben nach Einheitsmodellen. Blaupausen gibt es in Krisenzeiten, und auch sonst, eben nicht. Der Mythos der Gleichheit, der Vergleichbarkeit und Objektivität von Schulen ist spätestens mit der Corona-Krise aufgeflogen.

Wir können aus dieser Krise viel lernen. Dazu gehört auch, dass wir uns konsequent auf den Weg machen müssen, Schule und ihre Verwaltung neu zu denken. Wir können aber auch aus Angst vor der Verantwortung auf der einen Seiteund Angst vor Kontrollverlust auf der anderen an überholten und traditionellen Denkmodellen festhalten. Dann hätten wir wohl die größte Chance, die uns die Pandemie bietet, verspielt. Der BLLV bleibt dran, jetzt erst recht! 

 // Simone Fleischmann

Artikel aus der bayerischen schule #4 2020

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