Von Hans-Peter Etter*
In der BLLV-Rechtsabteilung gehen täglich Fragen ein, die sich mit der Problematik „Medikamentengabe und medizinische Hilfsmaßnahmen durch Lehrkräfte“ befassen. Hier ist in der Lehrerschaft eine große Verunsicherung festzustellen, vor allem hinsichtlich der Frage: „Bin ich hierzu verpflichtet?“ oder „Kann man von mir verlangen, dass ich hier tätig werde?“
Das Kultusministerium hat sich bisher hierzu nur sehr kryptisch geäußert und vor allem in verschiedenen kultusministeriellen Schreiben (2005 und 2007) bei chronisch kranken Kindern und Kindern, die hierzu nicht selbst in der Lage sind, dies als Dienstpflicht einer Lehrkraft bezeichnet. Der BLLV intervenierte hiergegen seit vielen Jahren und so ist es sehr zu begrüßen, dass durch das Kultusministerium am 19.8.2016 eine Klarstellung in einem 12-seitigen KMS mit einer Reihe von Anlagen erfolgte, die den Forderungen des BLLV weitgehend entspricht.
- 1. Lehrkräfte dürfen von sich aus keine Medikamente verabreichen und auch keine medizinischen Hilfsmaßnahmen an Kindern vornehmen!
- 2. In Notfallsituationen (siehe Punkte 9 bis 11) müssen „Erste-Hilfe-Maßnahmen“ eingeleitet und sofort der Notarzt benachrichtigt werden!
- 3. Besteht die Möglichkeit, die Gabe von Medikamenten (durch die Erziehungsberechtigten) vor oder nach den Unterricht bzw. in die Pausen zu verlagern, so ist diese Möglichkeit vorrangig zu nutzen.
- 4. Wenn Schüler selbst in der Lage sind, die erforderlichen Maßnahmen (Medikamenteneinnahme, Blutzucker messen, Broteinheiten berechnen usw.) vorzunehmen, kommt eine Übernahme durch die Lehrkraft nicht in Betracht!
- 5. Die Verantwortung für medizinische Hilfsmaßnahmen liegt bei den Erziehungsberechtigten!
- 6. Die Verabreichung von Medikamenten und alle medizinischen Hilfsmaßnahmen gehören nicht zu den Dienstpflichten einer Lehrkraft und können damit auch nicht verlangt werden!
- 7. Es besteht daher auch kein Rechtsanspruch der Erziehungsberechtigten gegen die Schule oder die Lehrkraft auf Durchführung von Medikamentengabe!
- 8. Die Schulen können jedoch solche Aufgaben freiwillig übernehmen, aber nur, wenn folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden:
a. Es muss sich die Lehrkraft freiwillig und schriftlich gegenüber dem Schulleiter oder der Schulleiterin bereit erklären!
b. Eine weitere Lehrkraft muss sich hier ebenfalls freiwillig und schriftlich gegenüber dem Schulleiter oder der Schulleiterin erklären, als Vertretung im Verhinderungsfall der erstgenannten Lehrkraft zu fungieren!
c. Die Schulleiterin oder der Schulleiter überträgt (ebenfalls schriftlich) in diesem Fall die Durchführung der medizinischen Hilfsmaßnahmen an die beiden Lehrkräfte im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben!
d. Es muss eine schriftliche Vereinbarung, die die Schule zur Durchführung der medizinischen Maßnahme ermächtigt, zwischen Erziehungsberechtigten und Schule getroffen werden! Hiermit beauftragen die Erziehungsberechtigten die Schule zu dieser(n) bestimmten medizinischen Hilfsmaßnahme(n)!
e. Des Weiteren ist eine präzise ärztliche Verordnung des behandelnden Arztes zwingend vorgeschrieben
f. Hierzu müssen die Erziehungsberechtigten den Arzt oder die Ärztin von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden, auch für Rückfragen durch die Lehrkraft!
g. Die Erziehungsberechtigten haben dafür zu sorgen, dass die Schule sie möglichst durchgängig telefonisch erreichen kann.
h. Gegen den Willen des Schülers oder der Schülerin darf - trotz Vereinbarung - die Lehrkraft nicht handeln.
i. Die Medikamente sind so aufzubewahren, dass sie für Unbefugte unzugänglich sind.
j. Manche Medikamente müssen kühl gelagert werden.
k. Die Medikamentengabe oder die regelmäßigen medizinischen Maßnahmen sind fortlaufend zu dokumentieren.
l. Die Schule kann die Vereinbarung mit den Erziehungsberechtigten mit einer Frist von zwei Wochen kündigen, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes auch fristlos!
- 9. Im Notfall ist jede Lehrkraft zur Hilfeleistung verpflichtet!
- 10. Die zu erbringende und erforderliche Hilfe hängt von der Bedrohlichkeit der Situation ab.
- 11. Im Rahmen von Hilfeleistungen in Notfällen sind nicht nur medizinische Hilfsmaßnahmen, sondern auch medizinische Maßnahmen (z.B. intramuskuläre Injektionen) zulässig, wenn sie erforderlich sind, um die Gefahr eines erheblichen Schadens für das Kind abzuwenden.
Die BLLV-Rechtsabteilung rät: Wenn sich eine Lehrkraft freiwillig zur Medikamentengabe oder zu medizinischen Hilfsmaßnahmen bereit erklärt, sollte sie sich dies vorher sehr genau überlegen. Je nach Einzelfall kann es für die Lehrkraft bei begangenen Fehlern trotz Vereinbarung zivil- und strafrechtliche Folgen haben.
* Hans-Peter Etter ist verbandspolitischer Leiter der BLLV-Rechtsabteilung