Elternratgeber: Inklusion Inklusion

Mitschüler mit Handicap

Eltern sollten ihren Kindern möglichst unverkrampft beibringen, wie sie mit Mitschülern mit körperlicher oder geistiger Behinderung umgehen. Der BLLV-Experte Tomi Neckov hat dafür ein paar Tipps zusammengestellt.

„Mama, mein Mitschüler ist so klein.“ „Papa, der Toni muss immer im Rollstuhl sitzen“. „Die Nina schaut aus wie eine Oma“ und „die Sophie kann keine Sekunde still sitzen!“ Wenn in der Klasse ein Mädchen oder Junge mit körperlicher oder geistiger Behinderung ist, haben Eltern solche Sätze von ihrem Kind vielleicht schon einmal gehört. Wie geht man damit um?

„Eltern können viel für ein gutes Miteinander tun“, findet Tomi Neckov. Er ist Vizepräsident im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) und Schulleiter einer Mittelschule in Schweinfurt. Er weiß: „Menschen mit Handicap stoßen auch im Zeitalter der Inklusion immer wieder auf Unverständnis und Unwissen.“ Die Schulen machten viel, um den offenen und zugewandten Umgang im Klassenzimmer zu fördern. „Das Thema Vielfalt nimmt breiten Raum im Unterricht ein.“ Aber auch Eltern könnten viel tun. Denn: „Wenn sie keine Berührungsängste haben, haben die Kinder in der Regel auch keine.“ Der BLLV-Experte hat ein paar Tipps zusammengestellt, die helfen können:

Ehrlich sein - Eltern sollten die Fragen ihrer Kinder immer ehrlich beantworten: Wenn also die Frage kommt, warum Toni im Rollstuhl sitzt, dann sollten es Eltern zugeben, wenn sie es nicht wirklich wissen. Sie sollten dann aber hinzufügen: „Du kannst doch Toni selber fragen, wenn Du das möchtest.“ Freilich: Fragen kostet Überwindung und nicht jeder Betroffene redet gern über seine Erkrankung - meistens wird es aber positiv erlebt, wenn Interesse gezeigt wird. Kinder gehen im Übrigen auch unbedarfter mit solchen Situationen um. In der Regel aber hat die Lehrkraft die Klasse ohnehin informiert und das Thema ausführlich besprochen.

Ein positives Bild aufbauen - Die Welt ist voller Menschen, die anders sind. Diese Worte bringen es auf den Punkt. Sie stammen von einem jungen Mann, der, wie Toni, im Rollstuhl sitzt. Er hat Glasknochen und kann deshalb nicht stehen oder gehen. Im Internet wendet er sich mit einem Appell an alle Eltern. Denn er hat eine große Bitte: Eltern sollten ihren Kindern möglichst unverkrampft beibringen, wie sie mit ihm umgehen sollten. Sein Appell ist schon ein paar Jahre alt - die Bitten des damals noch jungen Mannes aber sind aktuell. Eltern, denen es gelingt, ihren Kindern klar zu machen, dass ‚Anderssein‘ nichts Schlimmes oder Bedrohliches ist, haben schon viel erreicht.

Den anderen respektieren - Kinder sollten lernen, dass es auch Menschen mit Behinderungen wenig mögen, wenn ihnen jemand einfach so über den Kopf streichelt oder die Arme tätschelt. Sie sollten auch wissen, dass sie keinen Spaß oder Unfug mit den Hilfsgegenständen wie z.B. dem Blindenstock oder dem Rollstuhl treiben dürfen - weil das den Betroffenen sehr verletzt. „Du magst es ja auch nicht, wenn jemand einfach Dein Fahrrad benutzt oder ungefragt Deine Spielsachen nimmt“, könnten Eltern sagen.

Kindgerecht erklären - Wenn Kinder ihre Eltern fragen, was eine Behinderung ist, dann sollten diese mit einfachen Worten Antworten geben, zum Beispiel die: Wenn ein Mensch nicht so wie andere am Leben teilnehmen kann, spricht man von Behinderung. Dann funktionieren ein Arm, ein Bein, die Ohren oder Augen nicht richtig. Behinderungen gibt es auch im Gehirn. Der Mensch kann dann nicht gut lernen, sprechen oder er hat seine Gefühle nicht unter Kontrolle. Das bedeutet aber nicht, dass er krank ist. Es bedeutet nur, dass er manche Dinge nicht so einfach machen kann, wie andere. Wenn das Kind z.B. einen schwerhörigen Mitschüler hat, könnten Eltern sagen: „Der Benni tut sich schwer im Hören. Er mag es deshalb sehr, wenn Du ihn beim Reden anschaust. Das ist für ihn sogar besonders wichtig, weil ihm Deine Mimik und Gestik helfen, dich zu verstehen.“

Helfen, wenn es erwünscht ist - viele Eltern erziehen ihre Kinder dazu, zu helfen, wann immer es geht. Kinder sollten aber auch lernen, dass es wichtig sein kann, vorher nachzufragen, ob sie helfen sollen. Viele Menschen mit Handicap wollen nämlich ein Stück weit ihrer Selbständigkeit bewahren. Sie erleben gut gemeinte Hilfsangebote als übergriffig oder respektlos. Das ist eine Gratwanderung - Kinder sollten hier aber sensibilisiert werden. Die Erfahrung in der Schule zeigt, dass sie das auch problemlos meistern können, denn sie haben einen guten Instinkt. Wenn ein Mitschüler blind ist, braucht er konkrete Hilfe - es ist z.B. wichtig für ihn, dass die Mitschüler mit ihm kommunizieren. Bei der Begrüßung können sie dann sagen: „Grüß Dich, Sabine. Ich bin’s der Theo. Jetzt kommt gerade der Lehrer zur Tür hinein.“ Sitznachbarn sollten ihrem blinden Mitschüler sagen, wenn sie den Platz verlassen - dann passiert es nicht, dass er mit einem leeren Stuhl redet, was für den Blinden sehr unangenehm ist.

Ein gutes Vorbild abgeben - Kinder adaptieren das Verhalten ihrer Eltern, das ist kein Geheimnis. Eltern, die ängstlich, schamvoll oder verlegen auf Behinderte reagieren, geben kein gutes Vorbild ab. Ihre Kinder werden sich dann ebenso schlecht fühlen, wenn sie einen behinderten Klassenkameraden bekommen. Auch in der Wortwahl sollten Eltern immer behutsam sein - egal, ob Zuhause oder unterwegs. Kinder wählen in der Schule dieselben Worte. Übrigens ist es besser statt von „Behinderten“ von „Menschen mit Behinderung“ zu sprechen - auch das lernen Kinder sehr schnell.

Aufklären - Kinder sind sehr mitfühlend. Viele haben ein ausgesprochen empathisches Bewusstsein. Es hilft ihnen, wenn sie erfahren, dass nicht alle Menschen mit Behinderung Schmerzen haben. Natürlich gibt es auch andere Fälle. Kinder sollten aber wissen, dass das nicht immer so ist. Das kann eine große Last von ihren Schultern nehmen.

Informieren - Eltern können mit ihrem Kind bewusst einen Film schauen oder ein Buch lesen, in dem Behinderungen positiv dargestellt werden. Die Auswahl ist inzwischen groß.

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Hintergrund: Dossier Inklusion



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