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Stillhalten

Überraschend erfährt ein Lehrer von der Polizei, er sei in einem Strafverfahren angeklagt. Eine Schülerin behauptet, er habe sie übel beleidigt. Die Rechtsabteilung des BLLV verlangt Akteneinsicht und gibt den entscheidenden Rat: Lieber die Füße still halten!

Der Fall

Ein Mittelschullehrer wird von der Mutter einer Schülerin angezeigt. Der Vorwurf: Er habe zu der 15-Jährigen vor der Klasse gesagt: „Du bist psychisch krank, du gehörst in die 1. Klasse, du bist nichtsnutzig.“ Der Lehrer erfährt von der Anzeige, als die Polizei ihm eröffnet, dass er Beschuldigter in einem Strafverfahren wegen Beleidigung sei. Er notiert sich das Aktenzeichen und wendet sich umgehend an die BLLV-Rechtsabteilung. Wie immer bei Strafrechtsfällen bestellt diese sich als Rechtsbeistand und beantragt Akteneinsicht. Zudem weist sie das Mitglied auf das Aussageverweigerungsrecht hin und rät ihm dringend davon ab, sich gegenüber Dritten zu den Vorwürfen zu äußern.

Der Verlauf

Gegenüber der Rechtsabteilung streitet der Lehrer sämtliche Vorwürfe ab und kann mehrere Zeugen benennen. Die Mutter der Schülerin soll gegenüber der Schulleitung und auch der Schulsozialarbeiterin deutlich gesagt haben, dass ihr das alles sehr leidtue; sie wisse doch, wie sehr sich der Lehrer für ihre Tochter eingesetzt habe. Zudem kann unser Mitglied eine andere Lehrkraft als Zeugen benennen, der zum Zeitpunkt der vermeintlichen Tat in der Klasse anwesend war.  

Auf Grundlage dieser Informationen gibt die Rechtsabteilung in Absprache mit dem Mitglied zunächst eine schriftliche Stellungnahme bei der Staatsanwaltschaft ab. Darin regt sie die Einstellung des Strafverfahrens gem. § 170 Abs. 2 StPO an, in der Erwartung, dass die Entlastungszeugen angehört werden oder die Schülermutter ihre Anzeige noch zurücknimmt.

Die Staatsanwaltschaft sieht allerdings einen hinreichenden Tatverdacht und plädiert darauf, das Mitglied per Strafbefehl zu einer vierstelligen Geldstrafe zu verurteilen. Im Laufe des Ermittlungsverfahrens werden mehrere Schülerinnen und Schüler des Angeklagten zu den Vorwürfen befragt. Einer der Schüler bestätigt die Vorwürfe. Die Entlastungszeugen unseres Mitglieds werden von der Staatsanwaltschaft – völlig unerwartet – nicht angehört. 

Die Rechtsabteilung regt dann in Abstimmung mit dem Mitglied beim zuständigen Amtsgericht eine Einstellung des Strafverfahrens wegen Geringfügigkeit der Schuld an. Der Lehrer ist nicht vorbestraft und einige der dazu befragten Schülerinnen und Schüler haben sein pädagogisches Engagement hervorgehoben. Der Richter kommt dem Vorschlag entgegen, indem er den Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft nicht unterschreibt und damit Bedenken gegen eine Verurteilung zum Ausdruck bringt. Dies kommt äußerst selten vor. Da er somit aber vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichen will, muss er eine Hauptverhandlung anberaumen (vgl. § 408 Abs.3 StPO). In vorheriger Absprache mit den Prozessanwälten des Dienstleistungszentrums Süd des Deutschen Beamtenbundes (dbb) wird der Fall dorthin übergeben.  

Zu der Hauptverhandlung soll es dann aber nicht mehr kommen, da der zuständige Richter in Übereinstimmung mit den Rechtsvertretern des BLLV vorschlägt, das Strafverfahren gegen eine geringe Geldauflage einzustellen (vgl. § 152 a I StPO). 

Die Abwägung

Der Verzicht auf die Hauptverhandlung ist dadurch tatsächlich möglich. Sowohl für eine Lehrkraft als auch für Schüler ist es eine enorme Zumutung, einander vor Gericht zu begegnen. Zudem neigt die Justiz dazu, die Vernehmung minderjähriger Zeugen zu vermeiden.  

Die zuständigen Prozessanwälte des dbb raten dem Mitglied dazu, auf den Vorschlag einzugehen. Zumal es für das Mitglied auch eine Zumutung wäre, seinen Schülerinnen und Schülern vor Gericht zu begegnen und nicht wie gewohnt in der Schule. Für den Lehrer ist die Entscheidung, dem Vorschlag zu folgen, jedoch nicht leicht. Er befürchtet, dass eine Zustimmung als Schuldeingeständnis gewertet werden könnte und möchte nicht für etwas zahlen, was er nicht getan hat.  

Letztlich stimmt das Mitglied der Zahlung aber zu. Das Gericht ordnet an, dass die Geldauflage an einen orts ansässigen Jugendhilfeverein überwiesen wird. Mit Erfüllung der Geldauflage wird der Einstellungsbeschluss rechtskräftig. 

Das Fazit

Die Zustimmung zur Einstellung eines Strafverfahrens gegen eine Geldauflage fällt schwer, wenn man als Angeklagter von der eigenen Unschuld überzeugt ist. Viele fühlen sich durch die Anordnung einer Geldauflage verurteilt. Die Einstellung des Strafverfahrens gegen eine Geldauflage hat jedoch nicht die Funktion eines Geständnisses. Die Geldauflage wird vom Gericht bestimmt und ergeht in aller Regel an eine gemeinnützige Einrichtung. //

Die Rechtskolumne erschien in der bayerischen schule #3/2023.