Wir werden nicht vergessen

 

Statement von BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Rahmen der Gedenkfeier des BLLV zu Ehren der während der NS Gewaltherrschaft verfolgten und ermordeten Lehrerinnen und Lehrer jüdischer Herkunft.

Dieses Jahr, am 7. April, jährt sich das 85. Mal das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums – der erste juristische Schritt der Entfernung von Lehrerinnen und Lehrern jüdischen Glaubens und jüdischer Herkunft aus dem Staatsdienst. Geendet hat diese Ausgrenzung in den Ghettos von Theresienstadt, Piaski und Izbica, in den Gaskammern von Auschwitz, Treblinka und Sobibor - für viele Münchner auf der Erschießungsplatz in Kaunas (Litauen).

Lehrer und Lehrerinnen, ihre Schüler und Schülerinnen, ihre Eltern, alle, die nicht unter Verlust ihres Eigentums emigrieren konnten, waren dem Tod geweiht - deportiert in endlosen Güterzügen in den Osten, ermordet von Massenmördern, die selbst Ehemänner und Väter waren. Und jeder einzelne, der diesem Wahnsinn zum Opfer fiel ein Mensch – ein Mensch mit seinen Hoffnungen, Freuden, Verzweiflungen und Nöten. Ein Mensch keine Nummer, keine statistische Größe.

Nach 85 Jahren oder fast vier Generationen entschwindet diese Zeit auf dem Bewusstseins- und Erinnerungshorizont der Menschen. Die Schnelllebigkeit der modernen Welt lässt die Geschichte verblassen und vergessen. Das ist nicht zu verhindern – und dennoch dürfen wir diese Erinnerung nicht ad acta legen.

Auch über 70 Jahre nach dem Ende des Naziregimes müssen wir uns dieser menschenverachtenden Phase der deutschen Geschichte stellen. Dies ist und bleibt Aufgabe der Schulen, auch wenn der zeitliche Abstand für unsere Schülerinnen und Schüler den Zugang zum Holocaust schwieriger macht. Nachdem es kaum noch Zeitzeugen gibt und nachdem die Gesellschaften sich grundlegend geändert haben, brauchen wir neue Formen der Erinnerung. Eine Reihe von Schulen suchen nach solchen Wegen.

Wir haben heute im Film sechs eindrucksvolle Beispiele einer einfühlsamen und pädagogisch nachhaltigen Erinnerungsarbeit kennengelernt. Im Mittelpunkt aller dieser Initiativen steht der einzelne Mensch, seine Verfolgung und seine Vernichtung. Das theoretische Wissen um die NS-Gewaltherrschaft und den Holocaust ist zweifelsohne ein wichtiger Teil des Geschichtsunterrichts, der andere ebenso wichtige Teil aber ist der personale, der emphatische Zugang. Was heißt Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung ganz konkret für den Menschen? Welche Nöte, Ängste, Verzweiflung und Qualen muss er durchleben?Alle sechs Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Schwerpunkt auf Einzelschicksale legen.

Ich bin der Überzeugung, dass diese Form der Erinnerungsarbeit in den Schulen in Zukunft immer wichtiger werden wird. Und ich bin der festen Überzeugung: Diese Erinnerungsarbeit hat sehr viel mit unserer Gegenwart zu tun. Der Transfer in unsere Zeit fällt angesichts der Zunahme von fremdenfeindlichen und antisemitischen Vorfällen leider nicht schwer. Und er muss auch geleistet werden.

Ich danke an dieser Stelle aus ganzem Herzen den Kolleginnen und Kollegen, die sehr viel Kraft, Energie, Kreativität und Engagement mitbringen, um diese Form der Erinnerungsarbeit an den Schulen zu leisten. Sie ist nirgendwo vorgeschrieben, sie ist keine Pflicht. Sie beruht ausschließlich auf der Freiwilligkeit und dem Einsatz der Kolleginnen und Kollegen. Wir danken Ihnen für diese außerordentlich wichtige Arbeit.

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Zum Abschluss habe ich an Sie, lieber Herr Staatssekretär Eisenreich, noch eine sehr ernste Bitte. Das Bayerische Kultusministerium war stark verstrickt in die sehr frühe Ausgrenzung jüdischer Lehrer und Schüler. Bayern war hier trauriger Weise Vorreiter. Die Rolle des Kultusministeriums hierbei ist nicht wirklich wissenschaftlich aufgeklärt und dargestellt. Ich glaube, es ist an der Zeit, dies nachzuholen und eine wissenschaftliche Analyse in Auftrag zu geben, um die Rolle der Kultusverwaltung in der NS-Zeit und bei der Ausgrenzung jüdischer Lehrer und Schüler zu beleuchten. Darum bitte ich Sie heute und ich werde dies auch noch schriftlich tun.

Wir wollen uns heute verneigen vor den Pädagogen, die dem Holocaust zum Opfer gefallen sind. Jeder Name, den wir heute hören werden, steht für unendliches Leid und für menschenverachtendes Unrecht. Wir wollen uns eingedenk dieser Menschen immer wieder in die Pflicht nehmen und uns jeder Form der Ausgrenzung und Verfolgung aus religiösen, rassischen oder weltanschaulichen Gründen entgegenzustellen.