Und alle sind entspannt

Wie ich ViL in meiner Arbeit mit Eltern und Kollegen erlebe

Von Julia Schuck*

Seit ich mit meiner Kollegin im Schulleitungs-Tandem an der Ausbildung zum Verständnisintensives Lernen teilnehme, gehen wir aufmerksamer mit den Mitgliedern unserer Schulfamilie um. Wir machen uns bewusst, dass jeder seinen eigenen biografischen Hintergrund mitbringt, und versuchen, Dinge aus dem Blickwinkel des anderen zu sehen. So lassen sich unterschiedliche Einstellungen oft leichter akzeptieren, aber auch eigene Haltungen überdenken und hinterfragen.

Dabei hilft uns der Austausch: Nach einem Gespräch, einer Konferenz, einer Situation reflektieren wir oft unsere Eindrücke und gehen die erlebten Situationen noch einmal durch. Dabei leiten uns Fragen wie: Warum hat der andere genau so und nicht anders reagiert? Was hat ihn zu einer bestimmten Äußerung veranlasst? Wie hat er eine Äußerung unsererseits aufgefasst und warum?

Perspektive der Eltern einnehmen

Und wir versuchen, die verschiedenen Perspektiven zu beleuchten: Wenn beispielsweise eine Mutter die Bewertung einer Probenarbeit hinterfragt, könnte das ein Angriff auf die Lehrkraft sein, weil die beiden nicht gut miteinander auskommen und die Mutter einen Fehler sucht, um der Lehrkraft „eins auswischen zu können“. Es könnte aber auch die Sorge um ihr Kind ausdrücken, weil die Leistungen nicht den Erwartungen und der Vorbereitung entsprechen. Oder die Angst, dass der Übertritt in die gewünschte weiterführende Schule gefährdet ist. Oder es ist einfach eine ganz sachliche Verständnisfrage ohne Hintergedanken.

Diese Überlegungen diskutieren wir immer häufiger auch mit Eltern, Schülern und Kollegen bei verschiedenen Gelegenheiten: in Beratungsgesprächen, in Lernsituationen, in Mitarbeitergesprächen. Gespräche haben bei uns daher unterschwellig einen veränderten Charakter, was unbewusst als positiv wahrgenommen wird.

Kurze Auszeit vom Alltag

Auch in der kollegialen Arbeit versuchen wir, Elemente unserer ViL-Einheiten in den Schulalltag zu integrieren. Wir beginnen Konferenzen zum Beispiel mit einer sogenannten Ankerübung, also einer kurzen Phase der Ruhe und Besinnung. Nach einem vollgepackten Schultag fördert das die Konzentration, wir können effizienter und ruhiger durch die Arbeitssitzung gehen. Solche Anker können sein: Ein Bild betrachten, ein Bild malen, einige Minuten draußen herumgehen und schauen, „was mich findet“, beim Gehen das Tempo und den Rhythmus finden, der gerade zu mir passt , ein Gedicht lesen und darüber sinnieren.

Sich in den anderen hineinzuversetzen, andere Perspektiven einzunehmen ist nicht immer leicht, aber in jedem Fall erweitert es die Wahrnehmung und legt so die Basis für ein vertrauensvolles Miteinander. Dies gilt innerhalb des Kollegiums ebenso wie in der Arbeit mit Schülern und Eltern.

Gelassenheit im Umgang mit Problemen

Probleme gehen uns nicht mehr so sehr unter die Haut, wir gehen gelassener mit Kommunikationssituationen um, und diese Gelassenheit überträgt sich auf die Gesprächspartner. Das Gegenüber – egal ob Schüler, Mutter oder Kollegin – fühlt sich ernst genommen und verstanden, und dadurch ist die Gesprächsatmosphäre angenehmer.

Die Situationen sind die gleichen, aber heute denken wir anders: früher hing ein neonfarbenes Schild an unserer Schultür mit der Aufschrift: „Bitte warten Sie aus Rücksicht auf den Unterrichtsbetrieb vor dem Gebäude auf Ihr Kind“. Heute erklärt ein bunter Satz mit einem netten Bild die Bitte: „In allen Klassenzimmern ist Unterricht. Besonders in den Gängen stören laute Gespräche. Ihr Kind freut sich, wenn Sie es vor der Schultüre in Empfang nehmen.“ Die Botschaft ist die gleiche, die Verpackung ist anders. Und Eltern, Lehrer und Kinder sind entspannt.

*Die Autorin ist Rektorin der Grundschule Schöllkrippen