Esra: Späte Dehnung der Lernzeit

Esras Noten sind nicht auffällig. Sie ist keine ausnehmend gute Schülerin, aber auch nicht schwach. Mit Stofffülle und Fächeranzahl des G8 kommt sie zurecht.

Da sie in der Nähe der Schule wohnt, ist für sie der Nachmittagsunterricht kein Problem: Sie kann mit dem Fahrrad in die Schule fahren und muss nicht auf den Bus warten. Sie kommt ohne größere Probleme in die achte Klasse des sprachlichen Gymnasiums. Am Ende der siebten Klasse hatte sie in den meisten Fächern eine Drei, manchmal eine Zwei. Nur Mathematik hat sie mit einer guten Vier abgeschlossen.

Doch im Laufe der achten Klasse trennen sich ihre Eltern. Esra leidet sehr unter dieser Situation. Sie lebt unter der Woche bei ihrer Mutter, die sich eine eigene Wohnung am Ort genommen hat. Daher kann sie nicht mehr mit dem Fahrrad in die Schule fahren, sondern ist auf den Schulbus angewiesen. Der Nachmittagsunterricht wird daher mehr und mehr zu einer Belastung. Auch ihre Noten lassen deutlich nach. In Mathematik sinkt sie auf eine Fünf und in Englisch auf eine Vier.

Selbst wenn wir davon ausgehen, dass es wieder G9-Gymnasium bzw. G9-Züge gibt: Da Esra schon in der achten Jahrgangsstufe ist, kann sie nicht mehr in den G9-Zug ihres Gymnasiums wechseln. Sie schafft gerade noch die achte Jahrgangsstufe. In der neunten Klasse muss sie sich vor allem auf Mathematik und Englisch konzentrieren, doch sie schafft es nicht: In beiden Fächern bekommt sie am Jahresende eine Fünf und so muss sie die neunte Klasse wiederholen.

Auch in der zehnten Klasse muss sie in fast allen Kernfächern kämpfen, um nicht durchzufallen. Das schafft sie zwar. Aber sie muss mit einem Fünfer in Mathematik und einem Vierer in Englisch in die Qualifikationsphase eintreten.

Wie wäre es Esra an einem modularisierten Gymnasium ergangen?

Am Ende der achten Klasse bespricht Esra mit ihrem Coach die Situation. Sie beschließt, die verbleibenden zwei Schuljahre auf drei Schuljahre zu strecken.

In der neunten Klasse nimmt sie ein Brückenmodul in Mathematik und in Englisch sowie ein Fördermodul. Um weniger Stunden zu haben, schiebt sie Geschichte, Biologie und Wirtschaft in die zehnte Klasse. Sie kann ihre Lücken in Mathematik und Englisch ausgleichen. In den anderen Kernfächern kann sie ihr Niveau halten.

In der zehnten Klasse besucht sie die Fachmodule in Mathematik, Englisch, Geschichte, Biologie und Wirtschaft der neunten Klasse. Chemie und Ethik schiebt sie in die elfte Klasse, in Latein und Französisch wählt sie ein Brückenmodul.

Anmerkung: Die Sachfächer werden getrennt unterrichtet, sollen aber in jedem Schuljahr für ein paar Wochen zu einem fachübergreifenden Projekt zusammengefasst werden.

In der elften Klasse schließt sie die noch übrigen Module der zehnten Jahrgangsstufe ab und kann mit ordentlichen Leistungen in die Qualifikationsphase eintreten. Esras Beispiel zeigt, wie flexibel das Modulsystem auf die Motive von Schülerinnen und Schülern, ihre Lernzeit zu dehnen, eingeht.

Auch andere Szenarien wären so denkbar: Ein Schüler möchte in Mathematik und Latein seine Schwierigkeiten ausgleichen. Derzeit müsste er die ganze Jahrgangsstufe freiwillig wiederholen – im Modulsystem kann er dehnen und in Mathematik und Latein Brücken- und Fördermodule wählen. Gleiches gilt für die Schülerin, die in Französisch und Chemie durchfällt: Sie muss nicht die ganze Jahrgangsstufe wiederholen, sondern nur die nicht bestandenen Module.