"Die Schüler wollen diskutieren - auch kontrovers"

Etwa 15.000 Schüler und Schülerinnen muslimischen Glaubens erhalten in Bayern schulischen Islamunterricht. Die übrigen rund 100.000 belegen nach wie vor das Fach Ethik. Tuğba Bitikçioğlu*, Mitglied der AG Islamischer Unterricht im BLLV, ist eine der wenigen ausgebildeten Lehrer/innen für das Fach Islamischen Unterricht. Sie unterrichtet ausschließlich Islamunterricht - obwohl sie auch Lehrerin für Englisch und Geschichte, Sozialkunde und Türkisch ist. Anders ließe sich die hohe Nachfrage der Schüler nicht decken.

Frau Bitikçioğlu, Sie sind eigentlich Gymnasiallehrerin für Englisch und Geschichte, unterrichten aber an der Realschule, und zwar ausschließlich Islamische Religion. Wie kommt das?

Während es für meine Fächerkombination am Gymnasium mehr Lehrer/innen als Stellen gibt, gibt es für den Islamischen Religionsunterricht wenige Lehrer. Die wenigen, die das Fach studiert haben, müssen wie ich oft an mehreren Schulen parallel unterrichten, allein schon, um das aktuelle Angebot im Modellversuch aufrecht erhalten zu können. Ein Grund dafür ist auch die Abwanderung einiger Erlanger Absolventen in andere Bundesländer. Dort erhalten sie aufgrund ihrer Zusatzqualifikation sofort eine Planstelle.

Momentan unterrichte ich an einer Nürnberger Realschule und bin mit 18 Wochenstunden die einzige Lehrerin für Islamischen Unterricht. Dazu bin ich an eine weitere Realschule in Erlangen mit weiteren sechs Stunden ausgeliehen. Die Stelle dort teile mir mit einem Kollegen, der ebenfalls nur sechs Stunden hat, weil auch er zusätzlich noch an anderen Schulen arbeitet. Außerdem weiß ich von zwei Gymnasien in Mittelfranken, die gerne Islamunterricht anbieten würden, wenn sie die Stelle genehmigt bekämen.

Die wenigen, die das Fach studiert haben, müssen oft an mehreren Schulen parallel unterrichten, allein schon, um das aktuelle Angebot im Modellversuch aufrecht erhalten zu können.

 

Viele Eltern geben die religiöse Erziehung gern an Schulen und Kirchen ab. Im Elternhaus wird Religion dann oft nicht mehr thematisiert. Wie ist das bei muslimischen Eltern?
Das muss man bei muslimischen Familien genauso differenziert betrachten, wie bei christlichen. Trotzdem kann man sagen, dass der Islam in muslimischen Familien sicherlich stärker thematisiert wird. Das liegt auch daran, dass sich der Islam bei muslimischen Familien oft mit einer Tradition oder mit religiös aufgeladenen Gewohnheiten verknüpft. Da werden dann auch Aberglaube oder Irrglaube mit den Aussagen des Islam vermischt. Das bemerke ich unter anderem auch an Fragen, die mir im Unterricht gestellt werden.

Generell bemerke ich aber eine aufgeschlossene Gesprächskultur bei meinen Schülerinnen und Schülern. Die wollen diskutieren. Sie wollen Hintergründe erfahren und auch kontroverse Fragen stellen. In meiner Jugend war das noch anders. Die Schüler trauten sich in ihrem islamischen Umfeld oft nicht, kontroverse Fragen zu stellen, weil man als Ansprechpartner nur die Moscheegemeinde oder die Großeltern hatte, und die kannten ja die Eltern. Also verkniff man sich Tabu-Themen wie Fragen über Religiosität, Gott oder Sexualität, aus Angst, es könnte die Runde machen.

Hat sich denn Ihr eigener Blick auf den Islam durch das Studium verändert?
Verändert hat sich mein Blick nicht, weil mir die grundlegenden Dinge des Islam wie Friedfertigkeit, Koexistenz der verschiedenen Religionsgemeinschaften oder eine Lebensführung ohne Zwänge bereits im Elternhaus vermittelt wurden. Neu war für mich der wissenschaftliche Zuschnitt im Umgang mit dem Islam. Im Studium habe ich die verschiedenen Perspektiven und Auslegungen islamischer Glaubens und Denktraditionen kennengelernt und von zeitgenössischen islamischen Gelehrten erfahren, die in der Auslegung neue Wege gehen. Dabei musste ich mir auch viel im Selbststudium aneignen und viel selbst recherchieren - auch, weil die Rahmenbedingungen den Studierenden viel Eigeninitiative abverlangen.

Unter anderem wegen des hohen Reflexions- und Diskussionsanteil ist "Reli" bei Schülern ja oft sehr beliebt - auch, weil man leichter als in anderen Fächern gute Leistungen erbringen kann. Gilt das auch für den Islamischen Religionsunterricht?
(Lacht.) Es gibt Schülerinnen und Schüler, die gerne lernen und gute Noten haben, und solche, die nicht so gern lernen und schlechte Noten haben. In diesem Punkt ist IR ein Fach wie jedes andere auch. IR ist ein Lernfach, indem es, wie in der Katholischen oder Evangelischen Religionslehre auch, Raum für Transferdenken oder perspektivische Fragen gibt. Aber generell gilt: Nichts tun, geht nicht - Islamunterricht ist ein Vorrückungsfach.

Woran hakt es dabei konkret?
Für die Studierenden ist es oft schwierig, die Kurse in Einklang mit ihren grundständigen Fächern zu bringen. Derzeit handelt es sich um einen hohen Organisations- und Zeitaufwand. Auch, weil es nicht genügend Lehrpersonal gibt, um diesen Anforderungen zu entsprechen. Das verzögert den Studienverlauf.

Gleichzeitig ist die Disziplin der islamischen Theologie in Deutschland eine sehr junge Wissenschaft und theologische Anfragen, die unter anderem auch im islamischen Unterricht auftauchen, sind nach wie vor Gegenstand dieser jungen Wissenschaft. Dies hat zur Folge, dass Lehrkräfte selbst theologische Antworten suchen müssen. Nach dem Studium sieht es nicht besser aus: Da es keine begleitende Instanz gibt, kann man das Fach nicht ins Referendariat nehmen. Die angehenden Lehrer/innen müssen sich selbst um Unterrichtspraxis kümmern.

Hinzu kommt, dass viele Studierende unsicher sind, wie es nach 2019, wenn der Modellversuch ausläuft, weitergeht.

Die islamische Theologie in Deutschland ist eine sehr junge Wissenschaft. Antworten, auf theologische Fragen, die im Unterricht auftauchen, müssen die Lehrkräfte zum Teil auch selbst suchen.

 

Wenn Sie Ministerialrat Dr. Ulrich Seiser, dem zuständigen Referatsleiter im Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, eine Frage stellen könnten, welche wäre das?
Ich würde gerne wissen, ob das Kultusministerium, erstens, wahrnimmt, dass etliche in Bayern zum Islamlehrer ausgebildete Lehrkräfte in andere Bundesländer abwandern, weil es für sie hier keine Stellen oder Aufstiegsmöglichkeiten gibt, und, zweitens, was angedacht ist, um den verschärften Bedarf der bestehenden Schulen zu decken.

Andere Bundesländer sind in der Ausbildung zum Islamlehrer inzwischen schon viel weiter als Bayern, obwohl Bayern einst der Vorreiter war. Und das, obwohl die Nachfrage an den Schulen auch in Bayern groß ist. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gibt es Islamischen Unterricht im Referendariat bereits. In Bayern wird immer behauptet, das ginge nicht, da Religionslehrer neben dem Staatsexamen auch eine Lehrbefugnis durch die Kirchen benötigen. Für den Islamunterricht gebe es keinen der Kirchen vergleichbaren Ansprechpartner. Andere Bundesländer haben das gelöst, indem sie Beiräte aus Wissenschaftlern und Vertretern der Verbände gebildet haben.

Was ist also Ihre Forderung an das Kultusministerium?
Die Islamunterricht muss, wie die Katholische oder Evangelische Religionslehre auch, ein grundständiges Fach werden.

                                                                                 Das Interview führte Stefanie Hattel, Online-Redaktion

*Zur Person

Tuğba Bitikçioğlu ist Mitglied der AG Islamischer Unterricht im BLLV.

Darüber hinaus ist sie Gymnasiallehrerin und Absolventin des Studiums der Islamischen Religionslehre als Erweiterungsfach im Lehramtsstudium. Studiert hat sie am Interdisziplinären Zentrum für Islamische Religionslehre (IZIR) an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Diese begann bereits 2003 als erste Universität in Deutschland mit der Ausbildung von schulischen Lehrkräften für den „Schulversuch Islamunterricht“, bekannt als „Erlanger Modell“.

Neben ihrer Lehrtätigkeit für Islamischen Unterricht an zwei Realschulen im Ballungsgebiet Nürnberg, ist Bitikçioğlu auch in die Lehrerausbildung involviert: Sie ist Praktikumsbegleiterin angehender Islamlehrer/innen am IZIR.