
Frau Löhrmann, warum setzt Ihre Regierung auf die Gemeinschaftsschule?
Die Gemeinschaftsschule ist die Antwort auf zwei Entwicklungen: Zum einen auf die zurückgehenden Schülerzahlen und die Tatsache, dass manchmal auch die letzte weiterführende Schule vor Ort gefährdet ist. Zum anderen hat sich das Verhalten der Eltern bei der Wahl der weiterführenden Schule verändert: Sie wollen eine Schule für ihre Kinder, die die Option auch auf das Abitur länger offen hält.
Wie wollen Sie diese Schulart durchsetzen?
Wir setzen auf eine innovative Schulentwicklung von unten. Ende des vergangenen Jahres haben wir in Ascheberg im Münsterland den ersten Antrag einer Gemeinde auf Gründung einer Gemeinschaftsschule genehmigt. Mittlerweile liegen dem Schulministerium insgesamt 19 Anträge vor. Die Schulträger, aber auch die Schulen selbst, sagen: Wir wollen uns verändern. Eine Strukturveränderung allein reicht aber nicht aus. Deshalb begleiten wir die Schulen bei diesem Versuch. Sie bekommen eine halbe Stelle für sechs Jahre und ein zusätzliches Fortbildungsbudget. Diese Kombination, äußere und innere Reformprozesse gemeinsam anzugehen, kommt gut an.
Und das ruft keine Widerstände hervor?
Doch, natürlich gibt es auch Ängste. Die Opposition aus CDU und FDP will diese Entwicklung (noch) nicht, sie sagt, die Verbundschule, in der Hauptschule und Realschule nebeneinander laufen, reicht. Wir wollen aber ausdrücklich gymnasiale Standards auch in der Gemeinschaftsschule haben. Die Eltern wünschen genau das. Der VBE, die GEW und die kommunalen Spitzenverbände begrüßen diese Entwicklung. Kritisch eingestellt sind der Verband Lehrer NRW und der Philologenverband. Aber angesichts der Dynamik gibt es aktuell erfreulicherweise Bewegung bei der CDU in NRW.
Fühlen sich manche Lehrer und auch Schulleiter nicht etwas überfordert damit, selbstständig eine neue Schulform auf den Weg zu bringen?
Wir haben bestimmte Vorgaben, die aber individuelle Lösungen zulassen. Die Kinder lernen in den Klassen fünf und sechs gemeinsam, danach entscheidet die Schule auf der Basis ihres eigenen pädagogischen Konzepts, wie es weitergeht. Ascheberg zum Beispiel hat eine Neigungs- und eine Leistungsprofilierung, um den verschiedenen Talenten der Kinder gerecht zu werden. Vielfalt ist Trumpf in einer solchen Gemeinschaftsschule.
Wird die Schullandschaft jetzt nicht noch unübersichtlicher?
Wieso? Die Gemeinden wollen vor Ort ein umfassendes weiterführendes Schulangebot mit allen Möglichkeiten. Die Gemeinschaftsschule ist in der Regel eine Schule der Sekundarstufe I, sie kann eine eigene Oberstufe haben, sie kann aber auch mit der Oberstufe einer anderen Gemeinschaftsschule, einer Gesamtschule, eines Gymnasiums oder eines Berufskollegs kooperieren. Es werden doch nicht an einem Ort fünf verschiedene Schulformen nebeneinander existieren. Außerdem gelten alle Maßnahmen der Standard- und Qualitätssicherung selbstverständlich auch für die Gemeinschaftsschule.
Woran werden Sie den möglichen Erfolg der Reform messen?
Natürlich daran, wie sich das Lernen und die Leistungen der Kinder entwickeln. Die wissenschaftliche Begleitung des Schulversuchs wird das zeigen. In Ascheberg heißt das Ziel: 60 Prozent der Kinder sollen den Übergang in die Oberschule schaffen. Das ist sehr ambitioniert, aber PISA hat gerade wieder gezeigt, wie sehr die Milieus zum Lernerfolg beitragen. Kinder brauchen eine anregende Lernumgebung, in der sie gefordert sind und in der sie sich anstrengen müssen, das führt zu besseren Lernergebnissen. Die frühe Festlegung auf einen bestimmten Bildungsgang unterfordert so manche Schülerin und manchen Schüler.
Der bayerische Kultusminister spricht beharrlich von „Einheitsschulen“.
Wer den Begriff „Einheitsschule“ verwendet, will ideologisch motivierte Kämpfe führen, will innovative Schulentwicklungsprozesse verhindern. Wer die Gemeinschaftsschule blockiert, stellt die Schulform über das Interesse der Kinder. Die Bewegung hin zur Gemeinschaftsschule ist aber bundesweit nicht mehr aufzuhalten.
Das Gespräch führte Fritz Schäffer