Pädagogisches Tauwetter
Weil der Bestand ihrer Volksschulen gefährdet ist, haben die Gemeinden Denkendorf und Kipfenberg auf das Projekt einer Gemeinschaftsschule geeinigt. Parteiübergreifend. Und in Opposition zu Kultusminister Spaenle und seinem Mittelschulmodell. Der reiste eigens ins Altmühltal, um den Schulrebellen ins Gesicht zu sagen: keine Chance! Die arbeiten trotzdem weiter an ihrer Vision.
Wie weit es in die Hauptstadt Russlands ist, weiß in Denkendorf jedes Kind: An der Durchgangsstraße, gleich beim Rathaus, steht ein gelbes Schild mit der Aufschrift „Moskau 2.513 km“. Schon in den 80er Jahren haben ein paar unentwegte Bürger Pioniergeist bewiesen, indem sie auf eigene Faust den „eisernen Vorhang“ durchbrachen, und gegen den Widerstand vieler konservativer Zeitgenossen eine nachhaltige Partnerschaft zu einem Bezirk der Kreml-Stadt aufbauten. Nun hegen sie die vage Hoffnung, dass ihnen etwas viel Naheliegenderes und zugleich vielleicht viel Schwierigeres gelingen wird: Der Durchbruch zu einer neuen pädagogischen Zeit durch das Projekt einer Gemeinschaftsschule.
Dass es so weit nicht kommen wird unter seiner Regie, daran hat Kultusminister Ludwig Spaenle bei einem Ortstermin Ende November keinen Zweifel gelassen. Die „Einheitsschule“ habe „keine Chance“, beschied der oberste bayerische Bildungspolitiker demonstrierenden Bürgern auf dem verschneiten Platz gegenüber dem Moskau-Schild, dafür werde er schon sorgen. Hunderte Erwachsene und Kinder in Schulklassenstärke hielten in der Dunkelheit derweil wacker selbst gebastelte Plakate („Umdenken Spaenle!“) in die eisige Winterluft. Danach führte der Minister im Saal des gegenüberliegenden Gasthauses auf Einladung der CSU Ortsgruppe aus, warum man mit der neuen Mittelschule sehr gut bedient sei. Draußen auf dem unbelebten Platz werben noch heute eine Gemeinschaftsschul-Plakatwand und selbst gebastelte Lehrer- und Schüler-Pappfiguren stumm für das Projekt.
Mittelschule: Viel Fahrerei, aber keine Lösung für die Zukunft
Denkendorfer und Kipfenberger haben sich längst im Verein „Bildung am Limes“ zusammengeschlossen, um das widerständige Projekt besser voranbringen zu können. Sie haben den Dortmunder Schulentwicklungsexperten Dr. Ernst Rösner beauftragt, die Ausgangslage und die objektiven Chancen für eine Umsetzung zu evaluieren. Der Wissenschaftler bestätigte, was den Denkendorfern längst offenkundig ist: Dass schon die pure Demografie gegen die Dreigliedrigkeit spricht, unter welchem Namen auch immer sie firmieren möge. Im laufenden Schuljahr konnte in Denkendorf erstmals keine 7. Klasse mehr gebildet werden, die verbliebenen Schüler besuchen nun die sechs Kilometer entfernte Kipfenberger „Schule am Limes“. Die gehört ihrerseits „schon heute zur Kategorie der bestandsgefährdeten einzügigen Schulen“, wie Rösner in seiner Expertise vom Dezember statistisch darlegt. Und das, obwohl die Übertrittsquoten in die fünften Klassen der beiden Volksschulen deutlich höher lägen als der Landesschnitt von nicht einmal mehr 30 Prozent.
„Bereits geringe Rückgänge der Quoten reichen aus“, heißt es in dem Papier, „um die örtlichen weiterführenden Schulen schließen zu müssen“. Und die Mittelschule bedeute „keine substantielle Aufwertung der Hauptschule“. In NRW sei genau dieses Konzept daran gescheitert, dass schließlich immer weniger Eltern ihre Kinder in derartige Schulen geschickt hätten. Viele Eltern der beiden Gemeinden im Landkreis Eichstätt winken tatsächlich ab, wenn sie das Wort „Mittelschulverbund“ hören. Viel zu viel Fahrerei. Und eine zweifache Mutter klagt aus einem anderen Grund: „Im Bürger-Informationsblatt war eine Friseurinnenstelle ausgeschrieben – Voraussetzung: Mittlere Reife! Wenn es schon so weit ist, dann können wir doch einpacken.“
Lokalpolitiker aller Couleur liebäugeln mit der Gemeinschaftsschule
Von Pädagogik wagt in Denkendorf noch kaum jemand der Projekt-Befürworter zu sprechen. Ein entsprechendes Konzept soll nun erst erarbeitet und kommuniziert werden, bevor frühes - tens im übernächsten Schuljahr der Antrag an das Kultusministerium gestellt werden kann. Es wird aber ähnlich aussehen wie das in Ascheberg. Kernstück ist in jedem Fall individualisierter Unterricht in gemeinsamen, heterogenen Klassen von der 5. bis zur 10. Jahrgangsstufe und die Option auf alle Abschlüsse. Lieber verweisen sie erst mal auf das unbestreitbar Notwendige: den blanken Erhalt der Schulen und damit des örtlichen Lebens.
„Mir geht es um den Standort Denkendorf“, sagt Bürgermeister Hauke und für den war die Schule stets ein wichtiger Faktor. „Wahnsinn, was wir in diese Schule investiert haben – Parteien sind da egal.“ Ähnlich drücken sich auch andere Gemeinderätinnen und -räte aus. 900.000 Euro investiert man derzeit in eine energetische Sanierung, erst vor zehn Jahren ist für drei Millionen Euro eine gigantische Turnhalle gebaut worden. Die Ausstattung der Klassen- und Projekträume inklusive Computerraum, moderner Lehrküche, Mensa, Schreinerwerkstatt sowie die Sportanlagen befand Schulentwickler Rösner bei seiner Besichtigung als „nachgerade exzellent“. Die Kipfenberger Schule ist zwar ebenfalls rund 40 Jahre alt, aber nicht minder gut und modern ausgestattet.
Lehrkräfte stehen dem neuen Modell reserviert gegenüber
Lokalpolitiker aller Couleur sind aufgeschlossen, auch wenn es vor allem der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Martin Güll ist, der die Gemeinschaftsschule auf höherer politischer Ebene propagiert. Auffällig zurückhaltend geben sich dagegen die Pädagogen. Lehrer und Schulleiter der beiden Schulen, allen voran das Führungspersonal, lehnen Stellungnahmen zum Gemeinschaftsschul-Modell kategorisch ab. Sie wollen offenbar nichts riskieren und hoffen, durch einen Mittelschulverbund überleben zu können, auch wenn das extensiven Schülerbustourismus einschließt und Rösners statistische Befunde aus NRW keinen Grund zu Optimismus liefern. Auch der Vorsitzende des Kreisverbandes Eichstätt, Alois Vieracker, äußert zwar Verständnis für das Denkendorfer Anliegen, wünscht sich aber, wie auch der Rektor an der benachbarten Volksschule Lenting, Willibald Schels, vor allem, die Mittelschulstandorte massiv zu stärken, auch indem die nötige Stundenzahl zugewiesen wird. Nur einer der Denkendorfer Lehrer hat sich öffentlich geäußert zur Gemeinschaftsschule: In einem Internet-Forum des Bayerischen Fernsehens polemisierte er gegen das Modell.
SPD-Gemeinderat Alfons Weber, der sich als Vorsitzender des Vereins „Bildung am Limes“ unermüdlich für das Projekt einsetzt, findet es bedauerlich, noch nicht richtig mit den Lehrern ins Gespräch gekommen zu sein. So nutzt er kurz vor einer Begehung der Denkendorfer Schule nach Schulschluss sogar die Chance, im Schneetreiben auf dem Parkplatz eine jüngere Frau auf das Projekt anzusprechen. Sie ist tatsächlich Lehrerin, aber nicht fest angestellt – und wohl genau deswegen gesprächsbereit, wenn auch zögerlich. Unter ihrer Fellkapuze äußert sie Vorbehalte gegen einen unerbittlichen Selektionsdruck in der Grundschule, um sich dann mit dem einschränkenden Satz zu verabschieden: „Es braucht aber ein ausgereiftes Modell“. „Ganz genau!“, sagt Weber in den eisigen Wind. Vielleicht hat er diese Unbeirrbarkeit von seinem Vater: Der war SPD-Bürgermeister in Denkendorf und hat gewaltiges politisches Tauwetter erlebt – als Mitbetreiber der Städtepartnerschaft mit Moskau. Nach dem Fall der Mauer kam einmal Gorbatschow zu Besuch.
Autor: Chris Bleher