Verschwiegenheit Service
Verschwiegenheitspflicht

„Aber erzählen Sie bloß nix weiter!“

Was man als Lehrkraft nicht alles zu hören kriegt: Eine Schülerin hat Panik, schwanger geworden zu sein, eine andere prahlt mit ihrer Drogenparty neulich, und einer berichtet von Schulkameraden, die einen Betonklotz aufs ICE-Gleis legen wollen. Und immer bitten sie um Verschwiegenheit. Was tun? Gefragt ist pädagogisches Gespür, aber auch: juristisches Wissen.

Die Schülerin einer 9. Jahrgangsstufe wendet sich in größter Not an ihre Klassenlehrerin. Sie hat mit einem Freund geschlafen und Angst, dass sie jetzt schwanger ist. Und wenn ihre Eltern erfahren, dass sie ein Kind kriegt, ist alles zu spät. Was soll sie nur machen? Die Klassenlehrerin schlägt vor, die Schulpsychologin einzubinden, aber das kommt für die Schülerin nicht in Frage. Der Lehrkraft stellen sich eine Menge Fragen: Gibt es Vorschriften oder Festlegungen, wie ich mich in diesem Fall zu verhalten habe? Unterliege ich einer Schweigepflicht wie Pfarrer oder Ärzte? Verletze ich das Vertrauen zwischen Schule und Erziehungsberechtigten, wenn ich die Eltern nicht informiere? Klar ist: Eine solche Beichte ist ein Vertrauensbeweis und damit eine besondere pädagogische Ehre. Die Schülerin oder der Schüler betont damit ja das außerordentlich gute Verhältnis zur Lehrkraft. Andererseits gerät diese in einen Gewissenskonflikt. Die Frage ist: Wie handle ich pädagogisch richtig - und was ist juristisch geboten.

Die Auswirkungen bedenken

Konfrontiert die Lehrkraft die Eltern mit der Nachricht, dass ihre Tochter möglicherweise schwanger ist, wäre dies ein Vertrauensbruch. Der Klassenlehrerin ist also kein Vorwurf zu machen, wenn sie es für sich behält. Jedoch wird sie Ratschläge geben. Sie könnte zum Beispiel vorschlagen, zu einem Gespräch zwischen der Schülerin und ihren Eltern mitzukommen.

Beispiel 2: Eine Schülerin vertraut einer Lehrkraft an, dass sie von einem Mitschüler auf der     
                   Mädchentoilette vergewaltigt wurde. Sie will aber auf keinen Fall, dass davon jemand
                   erfährt.
Beispiel 3: Eine Schülerin erzählt, dass sie mit Mitschülern auf einer Party Drogen konsumiert hat
                   oder die Lehrkraft erhält auf anderem Wege Kenntnis davon.
Beispiel 4: Einer Lehrkraft wird vertraulich mitgeteilt, dass bestimmte Schüler an der Schule
                   mit Drogen handeln.
Beispiel 5: Ein Schüler teilt einer Lehrkraft vertraulich mit, dass andere Schüler nachmittags einen
                   Betonklotz auf die ICE-Gleise legen wollen.

Auch in diesen Beispielen muss eine Lehrkraft den Einzelfall würdigen, um herauszufinden, welche Maßnahme sie ergreifen soll. In jedem Fall muss sie überlegen, wie schwer mögliche Auswirkungen wiegen. In den letzten beiden Beispielen etwa, dem Drogenhandel und dem Anschlag auf die Bahn, wird es zweifelsfrei eine Verantwortlichkeit der Lehrkraft geben, auch wenn ihr die Dinge vertraulich mitgeteilt wurden. Die Auswirkungen für Dritte wären ja erheblich.

Geplante Straftaten anzeigen!

Grundsätzlich hat jeder Bürger, aber natürlich auch jeder Amtsträger (Schulleitung, Lehrkraft), eine gesetzliche Pflicht, geplante Straftaten, die ihm bekannt werden (Mord, Totschlag, Geiselnahme, Raub, räuberische Erpressung, Brandstiftung), anzuzeigen. Für eine solche Aussage muss ein Amtsträger auch nicht, wie sonst üblich, eine Aussagegenehmigung einholen. Ebenso muss die Schulleitung unverzüglich die Strafverfolgungsbehörden informieren, wenn ihr konkrete Tatsachen bekannt werden, die darauf hindeuten, dass Straftaten bevorstehen (wie im Fall der ICE-Strecke), versucht werden oder vollendet wurden (wie im Fall der Vergewaltigung). Wenig bekannt ist, dass das Kultusministerium für viele derartige Konstellationen relativ klare Richtlinien herausgegeben hat (KMBek vom 23. September 2014, KWMBl. S. 207ff.).

Hier werden 15 Beispielfälle aufgezählt, unter anderem
• Sexualdelikte
• besonders schwere Fälle von Bedrohung oder Beleidigung (Sexualbeleidigung,
   Mobbing, Cyber-Mobbing)
• gefährliche Eingriffe in den Verkehr 
• Verstöße gegen das Waffengesetz
• Weitergabe von Betäubungsmitteln

Für diese Anzeigepflicht muss die Schulleitung ebenfalls keine Aussagegenehmigung einholen. Wendet sich nun eine Schülerin oder ein Schüler wegen Drogenkonsums an eine Lehrkraft ihres Vertrauens, ist diese gehalten, die Schülerin oder den Schüler in dem Bemühen zu unterstützen, einer Drogenabhängigkeit erfolgreich entgegenzutreten. Ein Verstoß der Dienstpflicht liegt nicht vor, wenn die Lehrkraft in diesem Fall von einer Mitteilung an die Schulleitung, an die Polizei oder Staatsanwaltschaft absieht. Sobald jedoch mit der vertraulichen Mitteilung eine Gefährdung weiterer Schülerinnen und Schüler einhergeht (Drogenhandel), müssen deren Erziehungsberechtigte erwarten können, dass ihre Kinder durch die Schule vor der Gefährdung durch Drogen geschützt werden. Und die Lehrkraft ist zur Anzeige bei der Schulleitung verpflichtet.

Sobald sich eine Schülerin oder ein Schüler einer Lehrkraft anvertraut und in diesem Gespräch Mitteilungen macht, dass Dritte gefährdet werden, sollte die Lehrkraft, um Gewissenskonflikte zu vermeiden, das Gespräch unterbrechen und darauf hinweisen, dass sie zur Anzeige verpflichtet ist. Grundsätzlich sollte sie ein solches Gespräch nach der Unterredung mit Vermerken zu den eigenen Eindrücken dokumentieren. Festzuhalten ist darin der wesentliche Inhalt, wie auch die Ratschläge, die sie erteilt hat. Bei beabsichtigten oder vollendeten Straftaten im Zusammenhang mit Schülerinnen und Schülern gelten die klaren Regelungen des KM. Bei Ordnungswidrigkeiten oder zwischenmenschlichen Problemen kommt es hingegen sehr auf Einfühlungsvermögen und pädagogisches Geschick an. Das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrkraft und Schüler ist ein hohes Gut, das nicht gefährdet werden sollte. Die Entscheidung, wie sie auf eine vertrauliche Mitteilung reagiert, liegt in ihrer pädagogischen Verantwortung. Diese Verantwortung bezieht sich nicht nur auf den Unterricht, sondern gerade auch auf die Erziehung. Dies betonen nachdrücklich die Bayerische Lehrerdienstordnung (Abschnitt II § 2) sowie das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG Art. 1, Art. 2, Art. 59).

Bei Vertrauensbruch droht Suizidversuch

Die Lehrkraft wird sich auch aus ihrer Lebenserfahrung heraus bewusst sein, welche Konsequenz ein Vertrauensbruch haben könnte (bis hin zu einem Suizidversuch). Und wird ihrer Verantwortung dadurch gerecht werden wollen, dass sie versucht zu helfen. Wie wäre es also im Fall der möglichen Schwangerschaft mit folgendem niederschwelligen Vorschlag, sich erstmal einen Schwangerschaftstest zu besorgen? Dann ließe sich immer noch weitersehen. / hpe

Die Rechtskolumne von Hans-Peter Etter erscheint regelmäßig in der bayerischen schule. Die nächste Ausgabe erscheint am 31. Januar 2019.



Mehr zum Thema

Schlagwörter: #Verschwiegenheitspflicht