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Kommentar von Simone Fleischmann Themen

Bildungspolitik in Zeiten von Corona

Wenn alle Gewissheiten verloren gehen, ist das auch eine Chance, unsere Schulbildung neu zu denken - statt einfach zurückzukehren zur Realität von gestern. Ein Kommentar von Simone Fleischmann.

Wie schon bei der Flüchtlingskrise ist es großartig, wie engagiert und kreativ die Kolleginnen und Kollegen mit der neuen Situation umgegangen sind und nach wie vor umgehen: Sie haben damals alles gegeben, damit die Flüchtlingskinder integriert werden und ein neues soziales Netz in der Schule finden. Und sie geben heute nach Schließung der Schulen alles, dass ihre Schülerinnen und Schüler zuhause weiterlernen können und keine größeren Wissenslücken entstehen. Sie halten zu den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen - ohne Jammern, ohne Murren. Sie stehen ihren Mann und ihre Frau im Alltag wie in Krisensituationen. Haltung zählt – und wird gelebt.

Die Probleme der Unterrichtsversorgung bleiben

Doch es wird auch die Zeit kommen, in der wir uns wieder mit den sehr konkreten Problemen des Schulalltag in Zeiten des Lehrermangels auseinandersetzen müssen. Die Coronakrise ist nicht das Ende unseres Kampfes für bessere Arbeitsbedingungen und eine Erhöhung der Attraktivität des Lehrerberufs. Sie ist eine Zäsur. Die Katastrophe ist mitten hineingeplatzt in unseren Kampf gegen die Notmaßnahmen des Kultusministeriums zur Sicherung der Unterrichtsversorgung und sie hat sie aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt. Wenn wir aber irgendwann – hoffentlich bald – wieder geregelten Unterricht haben, werden wir feststellen: Keines der alten Probleme ist gelöst. Wie auch?

Wir werden erneut und vielleicht noch viel intensiver über die Probleme der Schule nachdenken müssen. Dazu gehört auch, dass viele Lehrerinnen und Lehrer am Ende ihrer Kräfte sind. Das ist die traurige Realität nach Jahren vertaner Chancen in der Bildungspolitik. Der Appell an unseren Idealismus reicht nicht mehr. Bildungspolitik hat sich nicht erübrigt, ganz im Gegenteil.

Die Coronakrise hat tiefgreifende Folgen – auch für die Schule

Was ein funktionierender Staat bedeutet, wird vielen verunsicherten Bürgerinnen und Bürgern bewusst, wenn sie die Katastrophenbilder aus Italien, Spanien oder den USA sehen. Lehrerinnen und Lehrer und auch alle anderen Beschäftigten im Erziehungsdienst, haben - ebenso wie Ärzte, Pflegepersonal, Polizisten und viele Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst - einen tragenden Anteil daran, dass diese Gesellschaft stabil sind, dass das Gemeinwesen erhalten bleibt – auch in Krisensituationen. Lehrerinnen und Lehrer wissen das und sie stehen zu ihrer Verantwortung. Keine Frage.

Das eine ist die Organisation des Unterrichts und sind die Arbeitsbedingungen. Das andere aber ist der Inhalt der Bildung. In dieser für alle Gesellschaften weltweit existentiellen Krise müssen wir auch nach den Auswirkungen auf unser Konzept von Bildung fragen: Welche Folgen hat dieser Einschnitt für unsere Schulen, für die Schülerinnen und Schüler, für uns Lehrerinnen und Lehrer, für das was wir unterrichten? Kehren wir nun sukzessive zurück zum mehr Alltag? Oder ist hier nicht eine Chance, sich neu zu besinnen auf die Werte unseres Gemeinwesens und auf die Kernaufgabe von Schule?

Chance für ein Umdenken?

Die erzwungene Entschleunigung durch die Corona-Krise hat viele auch ins Grübeln gebracht: Ist es wirklich Lebensqualität, immer mehr haben zu wollen, immer schneller und immer besser zu sein als die anderen? Führt das nicht genau zum Gegenteil: Weniger Lebensqualität, mehr Frustration, mehr Scheitern? Wie gehen wir mit Leere, Langsamkeit und Angst um?

Für die Schule müssen wir uns fragen: Ist effizienteres, schnelleres Lernen, mehr Wettbewerb und höherer Leistungsdruck wirklich das Ziel? Oder müssen wir nicht vielmehr den ganzen Menschen ins Blickfeld nehmen: sein emotionales, sein kognitives, sein praktisches Lernen ebenso wie eine klare Werteorientierung? Ist individueller Erfolg vorrangiges Ziel der Schule? Erfolg, der in unserem System immer auch Verlierer produziert? Oder hat Pädagogik auch etwas zu tun mit Glück und Erfüllung, mit Empathie und Werteorientierung, Gemeinschaft und Gemeinsinn?

Ich bin der festen Überzeugung: Wir Pädagoginnen und Pädagogen leisten nicht nur einen zentralen Beitrag für die Stabilität unserer Gesellschaft. Wir haben dieser Gesellschaft auch etwas zu sagen, nämlich, dass wir den Menschen als Ganzheit begreifen und fördern müssen: Herz. Kopf. Hand. Lassen Sie uns trotz aller aktuellen Sorgen gemeinsam nachdenken über die Zeit nach der Krise. Sie wird kommen. Und wir müssen gerüstet sein. Lassen Sie uns Haltung zeigen. Gemeinsam. // Simone Fleischmann

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