Simone Fleischmann: Präsidentin fürs Gemeinwohl
Lobbyisten im pädagogischen Feld vertreten häufig zugespitzte Interessen. Der Verband der Realschullehrer fokussiert allein auf die Pädagogen dieser schwindsüchtigen Schulform. Der Philologenverband vertritt Lehrkräfte an Gymnasien, der Deutsche Lehrerverband nicht etwa Lehrer, sondern das „vielfältig gegliederte Schulsystem“. Bei Simone Fleischmann ist das anders. Sie steht mit ihrem Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) für den kompletten Berufsstand – und damit für gute Bildung allgemein. Die ehemalige Schulleiterin spricht für Lehrkräfte an Grundschulen genau wie für jene an Sonderschulen, Gymnasien, Real- und Mittelschulen. Das bedeutet, sie kann sich nicht auf Standesinteressen beschränken. Die 1970 Geborene ist kompetent, einnehmend freundlich – und trotzdem fürchten sich vor ihr nicht wenige in der Politik.
Denn die psychologisch geschulte Pädagogin kämpft wie eine Löwin. Das bringt sie in der multiplen Krisensituation von Schule mitunter an den Rand dessen, was mit Metaphern der Überforderung (von Pädagogen) und Verantwortungslosigkeit (von Politik) noch beschreibbar ist. „Wir leben in einem Dschungel der Krisen: Der sich immer weiter verschärfende Lehrermangel, die anhaltende Corona-Pandemie, die Inflation, die Energiekrise und die Zunahme von Menschen, die vor unzähligen Kriegen zu uns flüchten.“ So hebt Fleischmanns Kassandraruf in ihrer jüngsten Pressemitteilung an. Und kommt im achten Absatz zum Thema: „Die Zunahme der Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer ist besorgniserregend!“
Der professionellste Lehrerverband Deutschlands
Manche Lehrerfunktionäre blicken auf Fleischmanns Verband nicht ohne Häme. Unter Lehrer-Lobbyisten spricht man gerne vom Volksschullehrerverband. Damit will ausgedrückt sein, dass es in Deutschland für jede Schulform einen Verband gibt – nur für die Hauptschullehrer nicht. Hauptschulen, die früher Volksschulen hießen und teils 60 bis 80 Kinder pro Klasse bildeten, haben keine Lobby. Wahrscheinlich wurde in Bayern deswegen die Hauptschule in Mittelschule umbenannt. Für Simone Fleischmann bringt das die Freiheit, von partikularen Interessen zum Gemeinwohl zu kommen: Chancengleichheit. Man könnte ihren Club auch umbenennen in Agentur für gleiche Bildungschancen für alle.
Fleischmanns Vorgänger Klaus Wenzel hat aus der Not eine Tugend gemacht und den professionellsten Lehrerverband Deutschlands geformt. Wenn der BLLV zu einem Hearing ruft, dann sitzt der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz dabei, ein Ex-Ministerpräsident – und ein bekannter Kabarettist. Das Magazin des BLLV ist keine hektografierte Vereinspostille, sondern wird von einem Mann geleitet, der für die Süddeutsche Zeitung Reporter ausbildet. Wenzel lud die klügsten Köpfe der Pädagogik ins G8-Tagungshotel in den Alpen zur Diskussion. Eine ähnliche Runde hat Fleischmann nun in das Hotel in München gebeten, wo üblicherweise die Sicherheitskonferenz tagt. So geht Prioritätensetzung: Während die FDP angesichts der Megakrisen ihr Motto „weltbeste Bildung“ radikal negiert, holt Fleischmann die Menschen an jenen Ort, wo sonst Staatschefs über Krieg und Frieden räsonieren. Um dort über das Lernen der Zukunft und achtsame Bildung nachzudenken.
Fleischmann forderte Chefsache. Söder lieferte A13 für alle Lehrkräfte
Fleischmann ist Psychologin, Pädagogin und Politikerin vor allem aber eine Managerin. Sie leitete eine der größten Schulen in Bayern, seit 2015 steht sie einem Verband mit 65.000 Mitgliedern vor. Als Vorgänger Wenzel langsam Richtung Ruhestand schielte, fragte man sich: Wer soll diesem Multiprofi nur nachfolgen, was wird aus dem BLLV? Simone Fleischmann hat mit ihrem fordernden und zugleich teambewussten Führungsstil den Verband vielleicht noch etwas einflussreicher gemacht.
Seit einiger Zeit fordert Fleischmann, den gewisslich überforderten Freie-Wähler-Minister Michael Piazolo zu übergehen und Schule zur Chefsache zu machen. Das hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) praktisch getan, als er die Besoldungsstufe A 13 für alle Lehrkräfte in Bayern ausrief. Das ist eine Bestätigung für Fleischmanns Ansatz: Alle Lehrer sind gleich. Auch auf anderen Feldern, etwa der Digitalisierung, rammt Söder die Pflöcke ein. Trotzdem verscherzt es sich Fleischmann nicht mit den Freien Wählern. In ihrer Führungsriege hat sie Leute von ihnen sitzen.
Bayerische Präsidentin mit preußischem Motto
Den Umgang mit schwierigen Politikern und Journalisten hat Fleischmann von der Pike auf gelernt. Sie hat eine Therapie-Ausbildung gemacht und ein Buch über den Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern verfasst. Das heißt natürlich nicht so, sondern „Was tue ich, wenn...? Schwierige Situationen im Schulalltag“. Die Selbsteinschätzung von Personen, so schreibt Fleischmann, „kann als allgegenwärtige Haltung bezeichnet werden, die sich in jedem Verhalten und in jeder Handlung niederschlägt.“ Oder anders gesagt: Ermächtige Schüler, indem du ihr Selbstbewusstsein stärkst. Das bezieht Fleischmann auch auf sich selbst. Sie ist eine betörend fröhliche Optimistin. Ihr Motto klingt dabei fast preußisch: „Nur Bildung bringt uns aus dieser Krise – und ein starker öffentlicher Dienst.“
Das bedeutet nicht, dass sie ihren Antipoden nichts zumuten würde. Mitten in der Corona-Pandemie hielt Fleischmann ein Online-Hearing ab, in dem Schulleiterinnen und Schulleiter stundenlang ihre Wirklichkeiten schilderten. Presseprofis hätten ihr von diesem Marathon wahrscheinlich abgeraten. Fleischmann zog es durch – hinterher waren die Medien voll von zum Teil markerschütternden Berichten. Und die Öffentlichkeit verstand zum ersten Mal, wie Schulleitungen gerade ausbrennen. Für sie ist Simone Fleischmann die stärkste Verbündete.