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Ein Gastbeitrag von Prof. Stephan Gerhard Huber*

Führungskraft als Vorbild

Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die Qualität von Bildung zu sichern und weiterzuentwickeln, um Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung in einem sozialen Zusammenhang bestmöglich zu fördern. Die wichtigste Ressource in dieser Hinsicht sind Mitarbeitende an Schulen und im Schul- und Bildungssystem. Ihnen gebührt eine große Wertschätzung. Im Folgenden werden ausgewählte Aspekte aus wissenschaftlicher Sicht vorgestellt.

*Leiter des Instituts für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie (IBB) der Pädagogischen Hochschule Zug in der Schweiz

Wertschätzung hat verschiedene Facetten und Spielformen und kann im professionellen Geschehen wissenschaftlich unterschiedlich ge- und erfasst werden. Es geht nicht nur ums Loben und Anerkennen von Leistung(en). Wertschätzung spiegelt sich auch im Erleben von Aufmerksamkeit, im Erhalten von konstruktivem Feedback, im Erleben von sozialer Unterstützung, im Ausüben von sinnvollen Tätigkeiten, dem passgenauen Einsatz im Hinblick auf Aufgaben und Kompetenzen. Sie zeigt sich auch in der Persönlichkeit und Organisationskultur, im Erleben von positiven Sozialdynamiken.

Wertschätzung kann durch einen selbst erzeugt werden, sie ist auf das Gegenüber gerichtet und wird dann von dieser Person erlebt. Wertschätzung ist abhängig von Verhalten und Erleben, also auch von der Wahrnehmung und der jeweiligen kontextuellen subjektiven und sozialen Deutung. In einem professionellen Kontext gehört Wertschätzung zu den Personalmanagementaufgaben von Führungskräften. Es geht dabei nicht nur um deren Führungsverhalten, sondern auch um Aspekte wie den Personaleinsatz, die Personalentwicklung, Personalbeurteilung, Personalführung, Personalunterstützung.

Wertschätzung ist demzufolge unter anderem assoziiert mit Anerkennung, Fordern und Fördern, Leistung, Zutrauen, Vertrauen, affektivem Commitment, Fürsorge und der grundsätzlichen Haltung gegenüber anderen Menschen. Im Folgenden einige exemplarische und skizzenhafte Überlegungen aus Organisationspädagogik sowie Schulleitungs- und Schulentwicklungsforschung.

Überlegungen aus der Organisationspädagogik

Wenn Schule als Institution erzieht, muss sie „ein Modell dafür sein, wozu sie erzieht" (Rosenbusch 2005, S. 11). Die Ziele einer Schule müssen in ihrer alltäglichen Praxis erfahrbar sein, da praktische Erfahrung lernwirksamer ist als kognitive Wissensvermittlung zum selben Sachverhalt. Für die Schule als Organisation bedeutet dies, dass Mündigkeit, Anerkennung, Kooperation und Selbsttätigkeit in ihr erlebbar, ihre Struktur und Kultur also auf diese Ziele abgestimmt sein müssen.

Pädagogische Führung spielt bei der Realisierung der Ziele der Schule eine entscheidende Rolle. Schulleitungshandeln als pädagogisches Organisationshandeln ist mit einem normativen Anspruch verbunden. Hier liegen unter anderem folgende Handlungsmaximen nahe (Rosenbusch 1997, 2013):

  • Pädagogische Zielvorstellungen haben Vorrang vor Verwaltungsaspekten; Verwaltung hat eine dienende Funktion.
  • In der pädagogischen Arbeit wird eine (erwachsenen-)pädagogische Praxis sichtbar, die zugleich als Vorbild für die (kind-)pädagogische Praxis und das Lernen der Schülerinnen und Schüler dient.
  • Es gilt das Prinzip der Schatzsuche statt eines Fahndens nach Defiziten.

Das Prinzip der Wertschätzung ist hier ausgesprochen wichtig für alle Akteure, zum Beispiel für die Schülerinnen und Schüler und die Mitarbeitenden, aber auch für die Schulleitung. Sie alle zeigen Wertschätzung und erhalten Wertschätzung.

Überlegungen aus der Schulleitungs- und der Schulentwicklungsforschung

Vertrauen

Wertschätzung schafft Vertrauen, und Vertrauen schafft Wertschätzung. In Vertrauensgemeinschaften werden Meinungen und Haltungen geteilt (Seligman 2012; Solzbacher 2017), was ein gemeinsames Zielverständnis begünstigen dürfte. Vertrauen gilt weiter als Schlüsselelement für eine funktionierende Kommunikation (Hoy et al. 2002). Fehlt das Vertrauen, ist es unwahrscheinlich, dass Lehrpersonen sich in der eigenen professionellen Praxis auf gemeinsame Unterrichtsplanung, kollegiale Beobachtung oder reflektierenden Dialog einlassen mögen (Tschannen-Moran 2014). Vertrauen ist eine wichtige Qualität der Interaktion. Sie wird gefördert durch Wertschätzung und sie ermöglicht facettenreiche und personen- und aufgabenbezogene Wertschätzung.

Fürsorge

In den vergangenen fünf bis zehn Jahren entstanden Konzeptionen, die fürsorgliches Handeln nicht nur im sozialen Umgang miteinander propagierten, sondern Fürsorge als Grundgedanken von Führungshandeln etablierten. Fürsorge ist in den Führungskontext, in die Strategie und das Verhalten, eingebettet. Die Umsetzung von fürsorglicher Führung verläuft nach Seashore Louis et al. (2016) über vier konkrete Ankerpunkte:  

  • Die Schulgemeinschaft wird in die Vision und Herausforderung einer fürsorglichen Schule mit eingebunden.
  • Die Möglichkeiten und Hintergründe der Schule in Bezug auf Fürsorge werden eingeschätzt. Die Schulgemeinschaft wird an diesem Reflexionsprozess beteiligt.
  • Die Schulkultur wird fürsorglich gestaltet, indem Unterstützungssysteme etabliert und soziale Beziehungen sowie das Normen- und Wertesystem der Schule gestärkt werden.
  • Fürsorgliche Beziehungen als Schulgemeinschaft werden über die Grenzen des Schulhauses hinausgetragen und fürsorgliche Partnerschaften auch außerhalb der Schule kultiviert.

Bei aller Euphorie über eine möglichst fürsorglich geführte Schulgemeinschaft gilt es jedoch zu beachten, dass fürsorgliche Leitungspersonen, ebenso wie charismatische, verklärt und glorifiziert werden können. Fürsorgliche Führung wird sich schließlich immer in einem Spannungsfeld zwischen den gerechtfertigten Bedürfnissen verschiedener Mitarbeitenden-Gruppen und dem Erreichen von mittel- und langfristigen Schulentwicklungszielen bewegen (Eisner 2021). Wertschätzung ist aus meiner Sicht ein integrativer Bestandteil von Fürsorge.

Affektives Commitment

Als affektives Commitment bezeichnet man die emotionale Bindung einer Person an die Organisation. Diese Bindung führt zu einem Zugehörigkeitsgefühl und dem Wunsch, der Organisation weiterhin anzugehören. In Bezug darauf kommt der Führungskraft eine besondere Bedeutung zu. Die Beziehung der Mitarbeitenden zur jeweiligen Führungskraft und das ausgeübte Führungsverhalten stellen eine Möglichkeit dar, affektives Commitment zu schaffen.

Transformationale Führungskräfte sorgen dafür, dass übergeordnete Werte und Ideale entwickelt werden, schaffen eine Vision und motivieren Mitarbeitende, indem sie mitteilen, inwieweit Ziele erreicht worden sind. Sie unterstützten die persönliche Entwicklung. Transformationale Führung im schulischen Kontext fokussiert die Lehrkräfte und führt zu einer hohen Identifikation mit den Entwicklungszielen der Schule. Die Schulleitung verfügt über pädagogische Werte und Visionen, die reflektiert, gegebenenfalls weiterentwickelt und stets kommuniziert werden.

Responsible Leadership

Mit Responsible Leadership werden verschiedene Handlungsstrategien verfolgt (Huber et al. 2019). Verantwortungsvoll Führende nehmen eine umsichtige und sorgsame Analyse des zu beurteilenden Gegenstands beziehungsweise der zu beurteilenden Situation vor. Der Analyse folgt eine kritische, kriteriengeleitete und sachliche Beurteilung. Verantwortungsvoll Führende haben Mut, wertende Positionen und eine wertebasierte Haltung einzunehmen. Sie sind in der Lage, diese Positionen an geeigneter Stelle der Sache verpflichtet zu vertreten. Ihr moralisches Handeln fußt auf einem Wertekodex, der sowohl selbstreflexiv entwickelt als auch innerhalb der Organisation immer wieder neu ausgehandelt und justiert wird.

Verantwortungsvoll Führende handeln kooperativ. Sie beziehen relevante Akteure und Akteursgruppen in ihr Handeln und ihre Entscheidungen ein. Ihre Führung basiert auf wechselseitigem Vertrauen, Unterstützung, Solidarität und Partnerschaft bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen ihnen und den Mitarbeitenden.

Führungsgrundsätze in der Leitungspraxis leben

Pädagogische Führungskräfte wirken durch das, was sie sagen, aber vor allem durch das, was sie tun. Schule wird nur dann glaubwürdig wirken, wenn das Leitungshandeln in der Schule als kohärent erfahren wird. Wenn also als passend und übereinstimmend erlebt wird, was die Leitung sagt, wie sie handelt und was sie von den Mitarbeitenden an Schule und den Schülerinnen und Schülern fordert. Diese Glaubwürdigkeit ist grundlegend für Bindung, Verlässlichkeit und emotionale Sicherheit als Grundlage für Offenheit, Vertrauen und Lernen. Wertebasierte Führung ist eben nicht nur als „Leitung der Organisation durch die Schulleitung“ von Bedeutung, sie bestimmt auch wesentlich die pädagogischen Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrpersonen.

Die anfangs skizzierten Aspekte von Wertschätzung werden von einem Responsible Leader beachtet. Aktiv Wertschätzung zu zeigen, setzt voraus, dass die Führungskraft vom Empfänger beziehungsweise von Empfängergruppen der Wertschätzung her denkt, nicht von sich als Sender aus. Die konkrete Realisierung kann demzufolge von Organisationskultur zu Organisationskultur und von Person zu Person unterschiedlich sein. In jedem Fall ist Wertschätzung zu zeigen ein integraler Bestandteil von Responsible Leadership.

Literatur

Bartz, A. (2007). Schulleitungshandeln als Modell: das Führungshandeln von Schulleitung und Lehrkräften gestalten. In A. Bartz, J. Fabian, S. G. Huber, C. Kloft, H. Rosenbusch & H. Sassenscheidt (Hrsg.), PraxisWissen SchulLeitung, Kennziffer 67.14. Köln: Wolters Kluwer.

Eisner, R. (2021). Schulleitung und Schule – Interviewstudie über Werte, Bedürfnisse, Anforderungen und Ziele als relevante Merkmale für die Funktionalität von schulischer Führung. Masterarbeit im Fachbereich 12 Erziehungs- und Bildungswissenschaften
an der Universität Bremen.

Huber, S.G., Schneider, N., Lussi, I., Klein, U. & Hader-Popp, S. (2019). Verantwortung für Bildung und Erziehung übernehmen und wertebasiertes Führen gestalten. In J. Hugo, N. Brink, J. Seidemann & M. Drahmann (Hrsg.), Verantwortung im Kontext von Schule. Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis (S. 117-129). Münster, New York: Waxmann.

Rosenbusch, H. (2005). Organisationspädagogik der Schule. Grundlagen pädagogischen Führungshandelns. Köln: Luchterhand.

Rosenbusch, H. (2013). Organisationspädagogische Führungsprinzipien. In Handbuch Führungskräfteentwicklung. Grundlagen und Handreichungen zur Qualifizierung und Personalentwicklung im Schulsystem, Hrsg. Stephan Gerhard Huber, 96–103. Köln: Carl Link.

Seashore Louis, K., Murphy, J., & Smylie, M. (2016). Caring Leadership in Schools: Findings From Exploratory Analyses. Educational Administration Quarterly. 52(2), 310-348. doi:10.1177/0013161X15627678

Seligman, M. (2012). Flourish – Wie Menschen aufblühen. 1. Aufl. München: Kösel [Originalausgabe 2011: Flourish. A Visionable New Understanding of Happyness and Well-Being. New York: Simon & Schuster/Free Press].

Solzbacher, C. (2017). Die professionelle pädagogische Haltung – Mit dem inneren Kompass kohärent, nachvollziehbar und situationsübergreifend handeln. In A. Bartz, M. Dammann, S.G. Huber, T. Klieme, C. Kloft & M. Schreiner (Hrsg.), PraxisWissen SchulLeitung (53.14). München: Wolters Kluwer.

Tschannen-Moran, M. (2014). The interconnectivity of trust in schools, In D. Van Maele, P. B. Forsyth, & M. Van Houtte, (Hrsg.), Trust relationships and school Life: The influence of trust on learning, teaching, leading, and bridging. Springer Publisher, 57 - 81. DOI 10.1007/978-94-017-8014-8_3

Artikel aus der bayerischen schule #3 2021