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Bericht auf TV Bayern vom 8. April Startseite

Das Schulsystem muss zu den Kindern passen, nicht umgekehrt!

Was ist zeitgemäße Bildungspolitik? TV Bayern blickt zurück auf 100 Tage Amtszeit von Kultusministerin Stolz und nimmt die Kritik des BLLV an einem Schulsystem und Lern- und Leistungsbegriff auf, die an den Bedürfnissen der Kinder komplett vorbei gehen.

Hat sich was geändert in der Bildungspolitik? hinterfragt der Beitrag auf TV Bayern nach 100 Tagen Anna Stolz. Alle Verbände - auch der BLLV - loben den dialogischen Ansatz der Kultusministerin, doch in der Grundsatzfrage, was Kinder wirklich brauchen, kommt man nicht weiter. Bestes Beispiel: das Grundschul-Abitur, das schon lange überdacht gehört. Doch nach Ostern beginnt trotzdem wieder für Viertklässler die Zeit des Übertritts. Das heißt jede Woche mindestens eine Probe schreiben. Der Druck auf die Kinder, im dreigliedrigen Schulsystem zu bestehen ist enorm und belastet eigentlich schon ab der zweiten Klasse, wenn es die ersten Noten in der Grundschule gibt. Der Übertritt steht in der vierten Klasse über allem und das Kultusministerium hält an diesem Aussortieren fest, mit der Begründung:

"Das mehrgliedrige und differenzierte Schulsystem hat sich für Bayern bewährt, was nicht zuletzt die Spitzenplatzierung bei nahezu allen bundesweiten Ländervergleichsstudien bestätigt. Mit seiner hohen Durchlässigkeit können die Schülerinnen und Schüler mit ihren individuellen Interessen und Talenten hier einen Bildungsweg finden, der so gut wie nur möglich zu ihnen passt."

Dreigliedriges Schulsystem passt zu Bayern - aber passt es auch zu den Kindern?

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann fordert ein Schulsystem, das zu den Kindern passt. Und nicht ein Schulsystem, das auf den Wirtschaftsstandort Bayern ausgerichtet ist. Sinnvoll wäre eine längere gemeinsame Schulzeit, etwa bis zur achten Klasse, in der das wirkliche Lernen und Verstehen im Mittelpunkt stehen und keine Leistungsabfrage. Schule müsse sich in der Region entwickeln und die Schulstruktur müsse an die Bedürfnisse der Kinder angepasst werden. "Was nicht geht, ist dass das Kind zur Schulstruktur passen muss. Wir drehen das um und sagen, die Schulstruktur in der Region muss zu den Kindern passen."


Eine Grundsatz-Diskussion und "ein dickes Brett zu bohren"

Im Interview mit Table-Bildung wurde die BLLV-Präsidentin vor einigen Wochen gefragt, was Bildung in Bayern so besonders macht? Auch zum Übertritt und dem Probe-Unterricht, den man in Berlin gerne übernehmen möchte, wurde nachgehakt. Fleischmann hält den Probeunterricht für überhaupt keine gute Idee, denn: "Wir erleben viel zu oft, dass Kinder ihre Kompetenz nicht zeigen können. Bei dieser scharfen Leistungsmessung, bei der drei Noten bei 10-jährigen Kindern entscheiden, auf welche Schulart sie gehen sollen, da kann man mit mir nicht diskutieren. Das macht zu viel Druck. Wir verlieren zu viele Kinder aufgrund des Drucks. Nein, das kann kein Modell sein, was womöglich dann auch noch vorzeigemäßig für andere Bundesländer geht."

Die aktuelle Koalition zwischen Freien Wählern und CSU will am alten Bildungssystem festhalten: Da wird es nicht leicht werden in einen konstruktiven Dialog zu treten, so Fleischmann. Sie verstehe das Bedürfnis nach Stabilität, aber nicht auf Kosten der Kinder.

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen den Lernbegriffen

Zwischen Auswendiglernen und Verstehen ist ein Riesenunterschied, aber dies reflektiere das Schulsystem aktuell überhaupt nicht. "Die dialogische, kommunikative Art des Lernens, das muss in die Schule. Das ist das, was gefragt ist. Blöd nur, wenn wir mit 26 Kindern jeden Tag allein sind und an zwei Tagen auch noch die 24 Kinder einer anderen Klasse nebenbei mitführen müssen. Das ist das Problem des Lehrermangels. Das wird uns langfristig schwer zu Buche schlagen in den Kompetenzen der Kinder, dass wir nicht individuelle Lernformate anbieten können und auch nicht individuell die Leistung erheben können. Das wäre der Schlüssel zum Erfolg", erklärt Simone Fleischmann die Position des BLLV, der für ganzheitliche Bildung steht.


Mehr gemeinsame Zeit an einer Schule wünschen sich auch die Kinder

Antje Radetzky, Leitung der Abteilung Berufswissenschaft im BLLV, ist Schulleiterin einer Grundschule in Ismaning und kann nur bestätigen, wie schlimm die Zeit des Übertritts für Kinder und Eltern ist: Sie ist überzeugt, dass die Kinder mehr Zeit gemeinsam brauchen und dass sie ein Kind nicht nach drei Noten in Deutsch, Mathe und HSU beurteilen und in eine Schublade packen kann. "Dieser Übertrittswahnsinn, dieses Damoklesschwert, das belastet die komplette Grundschulzeit, eigentlich ab der zweiten Klasse, zweites Halbjahr. Wenn es Noten gibt, ist das bei den Eltern im Hinterkopf. Die Kinder gehen daran kaputt, die Eltern und Familien teilweise auch, weil einfach in dieser vierten Klasse nur noch dieser Übertritt über allem steht." Um nachhaltig zu lernen, bräuchten Kinder einfach mehr Zeit: "Das ist einfach für mich nicht zielführend und wir bräuchten einfach mehr Zeit, um nachhaltig zu lernen. Und die Kinder brauchen auch einfach mehr Zeit und Ruhe, um sich auf das Miteinander zu konzentrieren."

Medienbericht



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