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Table.Bildung Podcast vom 01.04.2024 Startseite Topmeldung

Sind Bayerns Schulen besser, Frau Fleischmann?

Annette Kuhn von Table.Bildung fragt die BLLV-Präsidentin, warum es an bayerischen Schulen vermeintlich besser läuft als in anderen Bundesländern. Woran liegt es, dass Bayern besser abschneidet bei Vergleichstests? Und: Gibt es Defizite?

"Wenn man von hier von Berlin auf Bayern schaut, dann gilt Bayern doch so ein bisschen als Musterschüler. Gute Leistungsergebnisse, immer wieder bei bei Pisa ganz vorne oder zumindest auf den ersten Plätzen. Was macht diesen Erfolg aus? Oder ist das kein richtiger Erfolg?" fragt die Journalistin Annette Kuhn Simone Fleischmann zum Einstieg.

Mehr als jeder dritte Euro aus dem bayerischen Staatshaushalt wird in die Bildung gesteckt

"Also wir haben in Bayern natürlich eine gewisse Wirtschaftskraft. Und wir sind ein Land - das sagt ja der Herr Ministerpräsident auch immer - wo man gerne lebt und wo man gerne hinkommt. Es ist also zusätzlich zum Tourismus auch ein hoher Zuzug zu verzeichnen. Jetzt könnte man ja meinen, es sei eben deswegen besser, weil die Staatshaushalte voller sind oder weil mehr Geld in Bildung investiert wird. Ja, mehr als jeder dritte Euro wird aus dem bayerischen Staatshaushalt in die Bildung gesteckt. Das ist so, das brauchen wir jetzt auch nicht leugnen. Und der zweite Punkt, der eben auf die Wirtschaftskraft zurückgeht, ist, dass Eltern die Bildung ihrer eigenen Kinder beispielsweise durch Nachhilfe bezuschussen können (...) Also wir haben ein breites Spektrum, eine gute Finanzkraft, das ist richtig. Und ich könnte jetzt sehr stolz sagen, wir haben auch Lehrerinnen und Lehrer, die verdammt motiviert sind - und das sind sie auch, aber das gilt für ganz Deutschland. Also insgesamt ein gutes Setting, aber trotzdem noch viel zu tun. Wir leiden eben auch drunter, dass wir nicht alle Kinder mitnehmen können."

Führt mehr Finanzkraft automatisch zu besten Leistungen?

Auf diese Frage zieht die BLLV-Präsidentin eine pragmatische Bilanz: "Ich glaube schon. Es geht darum, wie viel Geld in die Bildung gegeben wird. Wie sehr sind die Eltern in der Lage, auch noch mal Bildung "nachzufüttern"? Ist die Mama zu Hause und kann selbst Nachhilfe geben?" Es gehe auch um die Zusammensetzung in der Gesellschaft, so Fleischmann weiter: "Da muss man noch mal gucken. Wie hoch ist der Armutsanteil? Es gibt Kinder in Armut, keine Frage. Der Anteil steigt auch bei uns in Bayern. Aber in der Relation zu anderen Bundesländern, glaube ich schon, dass diese Faktoren teilweise auch ein Garant für bessere Leistungen sind. Und zu welchem Preis? Wenn man in Pisa gut ist und wir trotzdem eine große soziale Schere haben, lassen wir viele links liegen und hängen diejenigen ab, die aus sozioökonomisch schwachen Verhältnissen kommen, die es eben auch in Bayern gibt. Und wir können die oft nicht mitnehmen. Und das ist sehr schade."

Bildungsgerechtigkeit auch in Bayern ein Problem

Auch wenn Bayerns Schülerinnen und Schüler bei Pisa im bundeweiten Vergleich besser abschneiden, ist das kein Grund zum Jubeln. Dennoch die Frage der Journalistin, was andere Länder von Bayern lernen können?  Die BLLV-Präsidentin sieht die bayerische Pisa-Offensive nicht ganz so vorbildlich, denn ganzheitliche Bildung, für die der BLLV steht, geht bei der Debatte leider verloren: "Ich würde jetzt gar nicht so gerne die exponierte Stellung Bayerns rauskehren, also wie wir jetzt mit den schlechten PISA Ergebnissen umgehen. Weil ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, was ich erlebe ist schon auch sehr irritierend. Also wir haben jetzt viele Vorschläge hier in Bayern am Start, die zu vielen Widerständen führen. Wenn wir diskutieren über eine Stunde mehr Deutsch oder mehr Mathematik, dann muss ja woanders was wegfallen. Wenn wir jetzt hören, dass da zum Beispiel Werken in der Grundschule in einem Fächerverbund reduziert werden könnte, oder auch Kunst oder Musik und wenn wir gleichzeitig wissen, dass eben ganzheitliche Bildung genau die Bildung ist, die wir brauchen für die Menschen der Zukunft - also lernen mit Kopf, mit Herz, mit Hand - und wenn wir dann genau da zusammenstreichen, dann müssen wir doch alle erkennen, dass das ein Irrweg ist. Also wir hoffen sehr, dass wir irgendwann mal wieder so viele Lehrerinnen und Lehrer sind, dass wir on top Angebote machen können, dass wir differenzieren können, dass wir fördern können und dass wir eben nicht streichen müssen."

Wir sind zu wenige - die Personalnot besteht schon seit Jahren

Nach dem bildungspolitischen Pisa-Schock war die Aufregung groß. Leider wurde die Chance nicht genutzt, um das Bildungssystem ganzheitlicher zu denken. Die vielen Stundenausfälle hatte der BLLV bereits in einer Pressekonferenz im Februar (Der BLLV stellt Zwischenzeugnis aus - so sieht's an unseren Schulen aus) dargelegt und an konkreten Beispielen aus dem Schulalltag klar gemacht, dass Unterrichtsausfall keine Ausnahme, sondern die Regel im aktuellen Schulbetrieb ist. Selbst die anwesenden Lehrkräfte waren in der Vorbereitung zur Pressekonferenz "erschrocken" beim zusammenzählen der vielen Stunden, in denen der Unterricht tatsächlich ausfiel, weil einfach nicht genug Lehrkräfte da sind.

Simone Fleischmann ordnet deshalb nochmal ein, wie die Situation an den Schulen genau ist: "Eine Klassleiterin in einer Grundschule hat immer schon entschieden, wo sie jetzt den Fokus setzt. Eine Schulleiterin, die keinen Lehrer für Werken hatte, hat kein Werken anbieten können. Also was will ich sagen? Wenn die Politik ein Thema erkennt, muss die Politik Lösungen aufzeigen. Wir sind aber vor Ort diejenigen, die jeden Tag Lösungen an den Start bringen müssen. Das heißt, so ein riesiger Change passiert jetzt gar nicht. Die Schulleiterinnen und Schulleiter mussten immer schon gucken 'Was lasse ich ausfallen und was habe ich in dieser Woche am Start?' Weil wir zu wenig Lehrerinnen und Lehrer sind."

Schulleitungen brauchen mehr Freiräume, um Lösungen zu finden

Die eigenverantwortliche Schule ist das Credo des BLLV seit Jahrzehnten. Simone Fleischmann war selbst 15 Jahre lange Schulleiterin einer Grund- und Mittelschule und sie kennt die Herausforderungen: "Eigenverantwortliche Schule heißt, ich überlege ganz genau: Was brauchen meine Kinder, meine Lehrer? Welche Ressourcen habe ich? Was ist in unserer Kommune gefragt? Wie bin ich angebunden an die anderen Schulen? Wir vor Ort müssen entscheiden, Das heißt, wir brauchen den Handlungsspielraum, wir brauchen einen rechtlichen Rahmen und dann können wir sehr wohl mit durch die Staatsregierung gestärktem Rücken Entscheidungen treffen, die dann auch von der Gesellschaft akzeptiert werden. Hängenlassen darf man uns aber nicht und man darf bitte auch nicht jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf treiben und uns jeden Tag erzählen, wir müssten jetzt noch die Kriegserziehung machen und dann die Radlerziehung und dann die Ernährungserziehung und die Demokratiebildung und die Medienbildung bitte auch noch. Wir wissen ja schon bald nicht mehr, was man noch alles machen soll."

BLLV gegen das Grundschul-Abitur - der Übergang setzt Kinder zu sehr unter Druck

Zum Ende des Interviewgesprächs geht es um den Übertritt der Grundschulkinder in die weiterführenden Schulen. Wenn der Notenschnitt nicht reicht, können Kinder zum Probeunterricht. Berlin will dieses Modell mit dem Probeunterricht jetzt übernehmen. "Ist das eigentlich das fairere Prinzip, als wenn dann letztlich doch die Eltern entscheiden? Oder wie würden Sie sich diesen Übergang wünschen?" fragt Anette Kuhn.

Die BLLV-Präsidentin würde am liebsten das Bildungssystem umkrempeln, denn: "Wir erleben, dass leider viel zu viele Kinder durch dieses restriktive, selektive Schulsystem durchfallen. Die Kinder, die immer gute Noten haben, denen ist übrigens ja auch manchmal das Angebot in der Schule wurscht, denen ist auch der Lehrer wurscht, die haben immer die Einser und Zweier und die rennen da durch. Jetzt geht es aber um die Kinder, die wir verlieren aufgrund des Leistungsdrucks. Und glauben Sie mir, ich war selber oft als Lehrerin in der vierten Klasse. Ich habe Kinder erlebt, die haben am Tag zuvor exzellent die Mathematikaufgabe in der Gruppe erklären können. Als wir aber dann die Schulaufgabe geschrieben haben, saßen die da und konnten nichts mehr. Vor lauter Angst, dass sie jetzt nicht die drei oder die zwei schreiben, konnten sie das, was sie als Kompetenz gestern noch konnten, nicht mehr hinschreiben. Wir erleben viel zu oft, dass Kinder ihre Kompetenz nicht zeigen können. Bei dieser scharfen Leistungsmessung, bei der drei Noten bei 10-jährigen Kindern entscheiden, auf welche Schulart sie gehen sollen, da kann man mit mir nicht diskutieren. Das macht zu viel Druck. Wir verlieren zu viele Kinder aufgrund des Drucks. Nein, das kann kein Modell sein, was womöglich dann auch noch vorzeigemäßig für andere Bundesländer geht."

Was ist die Alternative zum Grundschul-Abitur?

Immer wieder kommt diese Frage beim BLLV auf und die Antwort bleibt dieselbe: "Die Alternative ist eine längere gemeinsame Schulzeit. Nicht Kinder im Alter von zehn Jahren verteilen auf drei Schularten, nicht nur wegen der Noten, sondern wir hätten gerne eine hohe Beratungskompetenz der Lehrerinnen und Lehrer. Und die Entscheidung sollen die Eltern im Dialog mit den Lehrerinnen und Lehrern fällen, aber nicht einfach drei Noten verteilen und sagen: Das heißt Gymnasium und das heißt Realschule."