Loyalitätspflicht Startseite klein

"Sie nehmen den roten Ordner!"

Eine Lehrerin weigert sich Schülerakten in einem „von oben verfügten“ Farbcode anzulegen. Der Schulleiter erteilt eine dienstliche Weisung, die Lehrerin bleibt bei ihrer Weigerung. Vor Gericht beruft sich der Dienstherr auf die Loyalitätspflicht. Über die sonderbare Auslegung eines sinnvollen Rechtsinstruments.

Ein Vorgesetzter macht die Farbe von Ordnern zum Lackmustest auf die Gehorsamkeit einer Kollegin. Indem er kritische Anmerkungen als Verstoß gegen die Loyalitätspflicht und damit als Dienstpflichtverletzung ahndet, führt er den Wert von beamtenrechtlichen Loyalitätspflichten, wie sie der Gesetzgeber beabsichtigt, ad absurdum.

Die rechtliche Stellung im Beamtenverhältnis fordert von den Beamten ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, zu Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung, den vollen persönlichen Einsatz, damit verbunden eine hohe Verantwortung und selbstverständlich auch die Verpflichtung, dienstlichen Weisungen nachzukommen. Diese müssen aber nicht nur rechtmäßig sein – sondern vor allem: sinnvoll.

Ein klärendes Gespräch hätte gereicht
Das Disziplinarrecht hat die Absicht, den Beamten zu pflichtgemäßem Verhalten anzuregen. Die Ahndung einer Dienstpflichtverletzung soll aber auch der Integrität und dem Ansehen des Beamtentums in der Öffentlichkeit dienen. Das mag in vielen Fällen sinnvoll und gerechtfertigt sein, aber die Maßnahme, die der Dienstherr ergreift, sollte dem Fehlverhalten auch angemessen und verhältnismäßig sein. In unserem Fall hätte ein Gespräch oder ein mündlicher Pflichtenhinweis völlig ausgereicht. Genau das hat das Verwaltungsgericht zwischen den Zeilen des Urteils erkennen lassen.

Der Konflikt

Ein Schulleiter erlegte in einer Lehrerkonferenz allen Lehrkräften auf, die Schülerakten thematisch in drei Teile zu gliedern und durch rote, gelbe und blaue Farbhüllen zu kennzeichnen. Eine Lehrerin meldete sich und wandte ein, es erscheine ihr ja durchaus sinnvoll, die Schülerakten neu anzulegen, sie weigere sich aber, bestimmte Farbhüllen zu verwenden, die "von oben" vorgeschrieben werden. Sie begründete, Weisungen der Vorgesetzten müssten sinnvoll und nachvollziehbar sein, das sei in diesem Fall nicht gegeben.

Die Konfrontation

Der Schulleiter bestand auf den festgelegten Farbhüllen und erteilte der Lehrerin formal vor der gesamten Lehrerkonferenz eine Dienstanweisung, die vorgegebene Struktur umzusetzen. Wenn sie wolle, bekäme sie diese Weisung auch schriftlich. Die Lehrerin nahm ihre zuvor ausgesprochene Weigerung nicht zurück.

Das Verfahren

Daraufhin erhielt die Lehrerin ein Schreiben, in der ihr Gelegenheit gegeben wurde, sich zu einer beabsichtigten Misbilligung wegen Verstoßes des Loyalitätsgebotes zu äußern. Sechs Wochen später erhielt die Kollegin schriftlich die Missbilligung übermittelt. Sie legte Widerspruch ein, der wurde zurückgewiesen. Daraufhin erhob die Lehrerin vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die Missbilligung. Das Gericht musste sich also letztendlich mit der Frage befassen, ob die Klägerin durch diese Missbilligung in ihren Rechten verletzt wurde. Außerdem hatte sich das Gericht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Schulleiter das fragliche Handeln der Lehrerin als Verstoß gegen ihre Loyalitätspflicht werten durfte, und ob damit der Vorwurf einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung gegeben sei. Das Gericht wertete die Missbilligung als anfechtbaren Verwaltungsakt.

Das Urteil

Das Gericht (VG München vom 21.6.16 Az: M 5 K 15.4694) wies die Klage der Lehrerin zurück und begründete wie folgt: Die von der Schulleitung verlangte Strukturierung der Schülerakten einschließlich der farbigen Hüllen sei als dienstliche Weisung zu verstehen gewesen. Obwohl dieser Punkt in der Lehrerkonferenz für den Schulleiter abgeschlossen gewesen sei, habe er auf den Redebeitrag der Lehrerin erklärt, er erteile hier eine diesbezügliche Dienstanweisung, wenn sie wolle auch schriftlich. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe die Lehrerin erkennen müssen, dass die Weisung nicht mehr zur Diskussion gestanden habe. Gleichwohl habe die Klägerin ihre ausdrücklich erklärte Weigerung nicht zurückgenommen.

Fazit: „Dieses Verhalten, die öffentliche Ankündigung in einer Lehrerkonferenz, eine dienstliche Anordnung nach § 35 Satz 2 des BeamtStG nicht zu befolgen, darf als ein Verstoß der Loyalitätspflicht gewertet und mit einer missbilligenden Äußerung belegt werden.“

 

Hintergrund

Die Beamtengesetze regeln die Rechte und Pflichten der Beamten. Zu diesen Pflichten gehört das Loyalitätsgebot, das verpflichtet, Weisungen von Vorgesetzten auszuführen. Konkret wird dies in den § 34 bis § 36 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG), in dem Grundprinzipien des Beamtentums hinsichtlich Folgsamkeit, Verhalten und Verantwortung verankert sind.

Dort wird formuliert, dass der Beamte die übertragenen Aufgaben uneigennützig und nach bestem Wissen wahrzunehmen habe. Dabei soll der Beamte seine Vorgesetzten beraten und unterstützen. Er sei verpflichtet, deren dienstliche Anordnungen auszuführen und zu befolgen. Jedoch hat der Beamte nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, auf dem Dienstweg Bedenken geltend zu machen, wenn er beispielsweise rechtliche Einwendungen gegen dienstliche Anordnungen hat.

Damit trägt er nicht mehr die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen. Selbst wenn die Weisung durch einen höheren Vorgesetzten aufrecht erhalten bleibt, muss der Beamte diese nicht ausführen, wenn mit dieser Weisung beispielsweise die Würde des Menschen verletzt wird oder diese strafbar bzw. ordnungswidrig ist.

Das Gehorsamsgebot des § 35 Satz 2 BeamtStG, in dem es heißt, dass der Beamte verpflichtet sei, die dienstlichen Anweisungen der Vorgesetzten auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen, wurde in einem Fall einer Lehrerin ad absurdum geführt: Eine willkürliche Anordnung, die sie nicht befolgte, zog eine disziplinarrechtliche Würdigung in Form einer Missbilligung nach sich.

Begründung: Die Lehrerin habe gegen ihre beamtenrechtliche Loyalitätspflicht verstoßen. Die schriftliche Missbilligung ist zwar im Bayerischen Disziplinargesetz erwähnt, zählt jedoch noch nicht als formelle Disziplinarstrafe wie der Verweis, die Geldbuße, eine Kürzung der Dienstbezüge, die Zurückstufung (etwa von A 12 nach A 11) oder die Entfernung aus dem Dienst.

Die schriftliche Missbilligung ist das Rügen eines dienstlichen Verhaltens, eine Vorstufe zu einer Disziplinarstrafe. Denkbar wäre auch, beim ersten Verstoß gegen die Gehorsams- oder Loyalitätspflicht die Angelegenheit in einem Gespräch zu bereinigen.

*Hans-Peter Etter ist Leiter der Rechtsabteilung im BLLV

Der Beitrag ist zuerst in der bayerischen schule, Ausgabe 1/2018, erschienen.