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Pressekonferenz des BLLV am 19. Februar 2024 - so sieht's aus an unseren Schulen! Startseite Topmeldung

Der BLLV stellt Zwischenzeugnis aus

Am 23. Februar 2024 endet das erste Schulhalbjahr in Bayern mit den Zwischenzeugnissen. In seiner Pressekonferenz leuchtet der BLLV in die Schulen hinein: Wir zeigen anhand von Schulprofilen und Vertretungsplänen, wie es wirklich an den Schulen aussieht!

Am Freitag, den 23. Februar gibt es Zwischenzeugnisse. Zeit auch der Politik ein Zwischenzeugnis auszustellen, findet der BLLV. Denn am Titelbild ist schon erkennbar, was heute die Realität an den Schulen ist: Das Jonglieren mit Vertretungsstunden und viel zu geringen Ressourcen. Deshalb hat der BLLV Schulleitungen befragt, wie denn die Vertretungspläne für die KW 5 und 6 ganz konkret aussahen. Das Ergebnis war in diesem Überblick und Gesamteindruck sogar für die Schulleitungen erschreckend. Ideen wie die PISA-Offensive sind zwar gut, nur leider an der Realität vorbei geplant. Denn woher sollen die Lehrkräfte kommen, die Mathematik und Deutschunterricht halten?

"Deswegen erlauben wir uns darzustellen, wie vor Ort jongliert wird, was eigentlich Jonglieren bedeutet. Was bedeutet es denn, in der jetzigen Zeit Schule professionell zu leben und zu machen? Wenn vor den Ferien die Schülerinnen und Schüler ein Zeugnis erhalten haben, so würden wir jetzt gerne nach den Faschingsferien sagen: Schluss mit lustig." eröffnet die BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann die Pressekonferenz.

Auf dem Podium der Pressekonferenz sitzen neben der BLLV-Präsidentin drei Kolleginnen, alle Schulleitungen an bayerischen Schulen, die ihren Schulalltag und die schwierige Aufgabe beleuchten, vor der sie inmitten des Lehrkräftemangels stehen: Frau Antje Radetzky, Schulleiterin an einer Grundschule und Leiterin der Abteilung Berufswissenschaft im BLLV. Frau Sabrina Neckov, Schulleiterin an einer Grundschule und Frau Beate Buchholz, Schulleiterin an einem sonderpädagogischen Förderzentrum.

Das Fazit der Bertelsmann-Studie ist nicht besonders hilfreich

Vor ein paar Wochen ging wieder eine Bertelsmannstudie durch die Medien. Laut Hochrechnungen soll es bereits ab 2026 genug Grundschullehrkräfte geben und ab 2035 sogar einen Überschuss. Wie sich das mit der Realität an den Grundschulen deckt? Gar nicht. Die BLLV-Präsidentin erklärt zu Beginn der Pressekonferenz: "Jetzt ist mal der reale Blick in die Schulen hinein gefragt. Ich habe hier die ganzen Schulprofile aus 13 Schulen und deren Vertretungspläne der Kalenderwochen fünf und sechs - und alle Regierungsbezirke sind vertreten. Ich erlaube mir, jetzt konkrete Beispiele zu benennen:

An einer Grund- und Mittelschule in Oberfranken mit 407 Schülerinnen und Schülern, 17 Klassen, 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 33 davon grundständig studierte Kolleginnen und Kollegen, fünf Quereinsteigern und sieben weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als sonstigem Personal, sieht es in KW 5 so aus: acht kranke Kolleginnen, fünf davon Klassenlehrkräfte, nur eine mobile Reserve vom Schulamt. Die Konrektorin macht selbstverständlich die Überstunden und leitet eine Klasse. Der Rektor ebenso und übernimmt die nächste Klasse. Der Kollege Schulleiter aus der Schule schreibt: Trotz all diesen Bemühungen sind in dieser Woche allein 83 Stunden ersatzlos ausgefallen. Darunter natürlich viele - und das ist jetzt die Kernbotschaft - die zur Differenzierung wichtig sind: Deutsch als Zweitsprache, Deutschstunden, Förderunterricht und vor allem Nachmittagsstunden im Ganztag.

Nach diesem Blick in den Schulalltag, sollte klar werden, dass dann Forderungen zu mehr Deutsch und Mathematik nicht sinnvoll sind, wenn der Grundbetrieb nicht aufrecht erhalten werden kann. Jede Woche müssen Schulleitungen eine Statistik des Unterrichtsgeschehen abgeben. Offizielle Zahlen besagen, dass maximal 0,9 Prozent der Unterrichtsstunden ersatzlos gestrichen werden. Diese Angaben haben jedoch nichts mit der Realität zu tun.

1.000 Stunden hat der Kollege etwa in der Woche an seiner Schule, 160 davon sind in dieser KW 5 vom Stundenplan abweichende Unterrichtsstunden gewesen. 160! Von diesen 160 wurden 64 Stunden von anderen Lehrkräften vertreten, zehn wurden zusammengelegt - also Klassen zusammengepackt - und jetzt kommt's: 86 Stunden waren ersatzlos gestrichener Unterricht. Wenn man das jetzt auf die Statistik hochrechnet, die offiziell zugegeben wird mit 0,9 % landen wir hier in dieser Woche bei diesem Kollegen bei 8,3 %. Und das möchte ich einfach deutlich machen, damit man merkt, was bedeuten denn diese schönen Statistiken im Vergleich zu den Realitäten vor Ort? Die sehen doch ganz anders aus." verdeutlicht die BLLV-Präsidentin.

Die Leidtragenden sind die Kinder

Mit der PISA-Offensive soll mehr Deutsch und Mathematik unterrichtet werden, bei gleichzeitigem Lehrkräftemangel. Dann kam noch die Diskussion, ob dafür nun Religion oder Englisch gestrichen wird. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Da sind sich alle Lehrerinnen, die heute ihre Vertretungspläne der KW 5 und 6 zeigen einig. Zweites Beispiel ist eine Mittelschule aus München: 270 Schüler, zwölf Klassen, 30 Kolleginnen, 25 grundständig studiert, zwei Quereinsteiger, drei sonstiges Personal. Hier fallen zum Beispiel an einem bestimmten Tag die ersten und zweiten Stunden in den Klassen 7 bis 10 komplett aus, weil der Kollege keine Vertretungsmöglichkeiten hatte.

Antje Radetzky, Schulleitung Grundschule

Antje Radetzky leitet die Grundschule in Ismaning mit 358 Kindern, davon ein Drittel mit Migrationshintergrund und etwa 6 Prozent Inklusionsanteil. Von ihren insgesamt 24 grundständig ausgebildeten Lehrkräften muss sie fünf teilweise an die Mittelschule "abgeben". Am Beispiel einer Erstklasslehrerin erklärt Radetzky, dass diese Lehrerin eine Regelklasse leitet und dann nach der vierten Stunde drängend an der Garderobe bei den Kindern steht, um rechtzeitig und ohne Pause ins Auto zu springen, zur Mittelschule zu fahren und dort die 5. und 6. Klassen zu unterrichten. Keine einfache Situation "Die sitzt da voll zwischen den Stühlen und hat dadurch, dass sie auch nur so stundenweise an der Mittelschule ist, natürlich dort nicht viel Kontakt zu den Lehrkräften, was das Ganze schwierig macht." Eigentlich empfindet Antje Radetzky ihre Schule als wirklich modern: "Wir sind Pilotschule für Schule im Aufbruch und Umweltschule. Das heißt, wir bauen ganz viel auf Demokratieerziehung und Mitbestimmung bei den Kindern. Aber die Situation und die Rahmenbedingungen derzeit machen es einfach extrem schwierig, irgendeine Schulentwicklung in der Form weiter zu betreiben."

Schulleiterin selbst "erschrocken" über die Vertretungspläne

Als sie sich im Rahmen der Pressekonferenz vorbereit hat, war sie selbst sehr überrascht, über die Vertretungspläne: "Also mich hat es selbst total erschreckt, als ich mir diese Stunden mal alle zusammengerechnet habe für die KW 5 und KW 6. Auf den normalen Vertretungsplänen, da sieht man immer den einen Tag und es sieht dann gar nicht so erschreckend aus. In der KW 5 war es dann bei mir so, dass insgesamt 27 Stunden komplett entfallen sind. 50 Stunden wurden durch Lehrkräfte oder sonstiges Personal oder durch eine ehrenamtliche pensionierte Lehrkraft bei mir vertreten. Vier Stunden gab es Doppelführung, das heißt zwei Klassen - eine Lehrkraft. Sechs Stunden wurden die Schüler aufgeteilt. KW 6 war dann ein bisschen entspannter, da sind elf Stunden entfallen, 48 Stunden wurden vertreten und in vier Stunden gab es Doppelführung. Und bei mir an der Schule ist es tatsächlich so: Dadurch, dass bei mir eigentlich nur knapp 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler wirklich mittags heimgehen - der Rest ist im Hort, in der Mittagsbetreuung oder im gebundenen Ganztag untergebracht - ist es einfach auch schwierig, Unterricht wirklich ausfallen zu lassen, Denn bei denen zu Hause ist dann einfach niemand. Die arbeiten alle. Hort und Mittagsbetreuung haben genau solche Personalschwierigkeiten. Das heißt, da kriege ich auch oft den Notanruf. So, bei uns ist niemand da."

Und auch Antje Radetzky bestätigt: "Was also ständig ausfällt, sind die ganzen wichtigen Förderstunden, Differenzierungsstunden, Inklusionsstunden, Deutschplus Stunden. Das ist das, was als erstes gestrichen wird und nicht mehr stattfinden kann. Deswegen haben mich die Pisa-Ergebnisse auch überhaupt nicht überrascht."

Beate Buchholz, Sonderschulrektorin an einem Förderzentrum in Mittelfranken in Roth

Vor allem das Fachpersonal fehlt, laut Beate Buchholz: "Ich habe jetzt einmal durchgezählt: von meinen 130 Personal, die ich insgesamt habe, sind 51 grundständig studierte Sonderschullehrer, die anderen neun kommen noch dazu, die jetzt als Quereinsteiger mit Zusatzqualifikation auch die Qualifikation zum Sonderschullehrer haben." Die Kernmannschaft, also ausgebildete Lehrkräfte, die auch an ihrer Schulart unterrichten, fehlen: "Ich konnte für einige Verträge, die ich hätte schließen können, gar keine Lehrkräfte finden, weil es keine mehr auf dem Markt gab", so Buchholz. Und bei den Förderschulen kommt noch hinzu, dass sie nicht einfach so Unterricht ausfallen lassen können. "Als Flächenlandkreis mit komplizierter Bus-Zugbeförderung können wir Kinder auch nicht früher nach Hause schicken. Die öffentliche Busbeförderung ist zusammenhängend mit weiterführenden Schulen. Es gibt leider nur noch wenig Schulbusse für die Kleinen."

Sabrina Neckov, Schulleiterin einer Grundschule

Sabrina Neckov ist stolz auf ihre Schule, trotz der vielen Herausforderungen: "Wir sind Umweltschule in Europa. Wir sind im bundesweiten Projekt der Wasserschulen auf dem Weg zur Klimaschule. Wir haben die Akademie Berlin im Boot, haben zwei riesengroße Schulgärten, unsere eigenen Schulbienen und sind auch seit vier Jahren im bundesweiten Projekt für sozial schwache Schulen im Brennpunkt Schule, das Impulse gibt, wie sich die Schulen weiterentwickeln können und zudem noch in dem Pilotprojekt vom Kultusministerium zur Leseförderung für extrem schwache Kinder."

Ihre Schule ist eine Ganztagsschule mit 240 Schülerinnen und Schülern und einem Migrationsanteil von 95 Prozent. "Damit sind wir relativ führend in Bayern. Und zusätzlich haben wir noch einen sonderpädagogischen Förderbedarf von auch rund 25 Prozent. Was man daraus erkennen kann, ist, dass unsere Schülerinnen und Schüler einfach extrem viel Förderung brauchen." Was klar wird bei den Ausführungen von Frau Neckov ist, dass auf der einen Seite die Kinder sind, die unglaublich viel Förderbedarf haben und auf der anderen Seite ein Kollegium, das wirklich mit sehr, sehr viel Herzblut agiert. Die Herausforderungen für die Lehrkräfte sind enorm und die wollen und müssen trotzdem und gerade deswegen eben mehr tun als "einfach nur ein bisschen Arbeitsblattunterricht hier und da".

Notmaßnahmen aus dem Piazolo-Paket müssen beendet werden!

Angesichts der von der Bertelsmann-Studie prognostizierten bevorstehenden guten Versorgung mit Grundschullehrkräften und angesichts dessen, was jetzt wirklich die Situation an den Grundschulen ist, stellt die BLLV-Präsidentin folgende Forderungen:

Notmaßnahmen aus dem Piazolo-Paket müssen beendet werden
2020 entschied der damalige Kultusminister Piazolo ein umfassendes Maßnahmenpaket gegen den Lehrkräftemangel. Die BLLV-Präsidentin stellte klar: "Vier ganz konkrete, schreckliche Maßnahmen wollen wir jetzt zurückgenommen haben."

1. Die Antragsteilzeit von mindestens 24 Stunden muss zurückgenommen werden.

2. Die Antrags-Altersgrenze auf das 65. Lebensjahr muss wieder auf das frühere Niveau angepasst werden.

3. Die Freistellungsmodelle, die abgeschafft wurden, müssen wieder ermöglicht werden.

4. Das Arbeitszeitkonto für die Grundschullehrerinnen muss zurückgenommen werden.

Die Politik muss auch ihren Beitrag leisten. Und dieser Beitrag wäre das verlorene Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen in die Politik wiederherzustellen, die Notmaßnahmen zurückzunehmen, das Arbeitskonto wieder abzuwickeln, damit die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen wieder ein bisschen mehr im Vordergrund steht. Wir kennen die beängstigenden Zahlen der begrenzten Dienstfähigkeit und der Ruhestandsversetzungen wegen Dienstunfähigkeit!

Zahlen zum Schuljahr 2023/2024

Die Pressekonferenz



Medienberichte

Die Aussagen von Simone Fleischmann bei news4teachers im Wortlaut:

„An einer Grund- und Mittelschule in Oberfranken mit 407 Schülerinnen und Schülern sieht es in KW 5 so aus: acht kranke Kolleginnen, fünf davon Klassenlehrkräfte, nur eine mobile Reserve vom Schulamt. Die Konrektorin macht selbstverständlich die Überstunden und leitet eine Klasse. Der Rektor ebenso und übernimmt die nächste Klasse. Doch trotz all diesen Bemühungen sind in dieser Woche allein 83 Stunden ersatzlos ausgefallen. Darunter natürlich viele – und das ist jetzt die Kernbotschaft – die zur Differenzierung wichtig sind: Deutsch als Zweitsprache, Deutschstunden, Förderunterricht und vor allem Nachmittagsstunden im Ganztag.“

„Die Vertretung machen Leute, die die Klasse nicht kennen oder gar keine Lehrer sind“.

"Es gibt eine entscheidende Lücke zwischen dem, was die Politik diskutiert und was vor Ort tatsächlich abgeht.“


Zu den Plänen wegen der PISA-Ergebnisse mehr Deutsch- und Mathematik-Stunden vorzusehen:
„Wo sollen denn all die Grundschullehrkräfte herkommen, die all diese Aufgaben übernehmen?“

„Die Politik muss auch ihren Beitrag leisten. Und dieser Beitrag wäre, das verlorene Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen in die Politik wiederherzustellen.“