Wolfgang Beutel, seit langem Kooperationspartner des BLLV im Feld der demokratischen Schulentwicklung, und Markus Gloe, selbst Mitglied des BLLV und in der BLLV-Arbeitsgruppe Demokratiepädagogik aktiv, haben als Mitherausgeber das Buch konzipiert und federführend redaktionell betreut. Der BLLV hat sie nach der Aufgabe und den Erwartungen an das Kompendium befragt.
BLLV: Was macht Ihr Handbuch so besonders?
Markus Gloe und Wolfgang Beutel: Es ist das erste den Stand der Debatte zusammenfassende Werk und versucht, sowohl in den Fachdidaktiken sozialwissenschaftlicher Fächer als auch in der pädagogischen Debatte zur Schule und zur außerschulischen Jugendarbeit eine Zwischenbilanz zu ziehen, von der aus neue Impulse entwickelt werden können.
Warum brauchen wir überhaupt Demokratiepädagogik an den Schulen?
Die Schule ist zwar per Gesetz demokratisch legitimiert, in ihrer institutionellen Qualität aber nicht von sich aus eine Demokratie. Sie muss erst einmal durch pädagogische Anstrengungen und Handlungsformen „demokratisch kultiviert“ werden – das ist Aufgabe aller in der Schule beruflich tätigen Menschen, nicht nur einer kleinen Gruppe von Lehrenden in einem Fach. In der bayerischen Verfassung ist im Artikel 131 der Auftrag verankert, dass die Schülerinnen und Schüler im Geist der Demokratie zu erziehen sind.
Was ist der Schlüssel erfolgreicher Demokratiepädagogik?
Ein klares demokratisches Bewusstsein, der Wille, sich selbst in der Demokratie für deren Themen und Aufgaben zu engagieren und eine – bezogen auf die Schule und ihr pädagogisches Personal – professionelle Identität auch für diese Aufgabe, zumal sie in allen Ländern, gerade auch in Bayern durch das Erziehungs- und Unterrichtsgesetz explizit als Berufsaufgabe aller Lehrerinnen und Lehrer hervorgehoben wird.
Sie ziehen in Ihrem Handbuch auch einen internationalen Vergleich. Wo steht Deutschland mit seinen demokratiepädagogischen Bemühungen?
Das ist weniger durch einen direkten Vergleich und mehr im kulturellen Kontrast zu beschreiben. Besonders für die angelsächsische Welt ist das zivile gesellschaftliche Engagement eine größere Selbstverständlichkeit und Tradition. Demokratiepädagogik bezieht sich grundlegend auf eine pragmatische pädagogische und humane Position, derzufolge eine demokratische Gesellschaft wesentliche Kräfte ihrer ständig notwendigen Erneuerung und Fortführung aus dem bewussten und grundrechtsklaren Engagement ihrer Mitglieder bezieht. Hier kann die deutsche Schule schon noch einiges lernen, vor allem aber auch aus der Praxis, die in vielen Schulen unseres Landes schon geübt wird.
... und Bayern?
... da sieht es so aus wie in anderen Bundesländern auch: Wir finden schon viele engagierte und produktive Ansätze vom Klassenrat, einem auf Schüler*innenbeteiligung setzenden Unterrichtsstil und produktiven, lebensweltnahen Demokratieprojekten. Aber Bayern hat auch Schulen, die noch einen kräftigen Professionalisierungsschub benötigen. Wir hoffen, dass von den beiden Schulversuchen – in der Grundschule „MIT! (Mitdenken! Mitreden! Mitgestalten!)“ und in den weiterführenden Schulen „Schulparlamente und Schülerparlamente stärken“ – neue Impulse ausgehen.
Das Handbuch umfasst zahlreiche demokratiepädagogische Handlungsansätze. Welche haben sich Ihrer Erfahrung nach besonders bewährt?
Ein tragfähiger Einstieg, der gleichwohl einer professionellen Basis bedarf und nicht einfach als reines Goodwill-Projekt funktioniert, ist die Etablierung des Klassenrats; im Bereich der Leistungsbeurteilung sind prinzipiell zügig Handlungsmöglichkeiten erreichbar und vor allem in einer Projektdidaktik, die als unterrichtliche Grundform verstanden wird und nicht als Überbrückungsleistung zwischen Zeugniskonferenz und Ferienbeginn. Die Themen demokratischer, politischer Herausforderung liegen auf der Straße, sind medial präsent und viele Schülerinnen und Schüler warten darauf, in ihrer Engagementbereitschaft unterstützt und in der Schule anerkannt zu werden. Für all diese und auch andere demokratiepädagogische Entwicklungsaufgaben in der Schule bietet das Handbuch den aktuellen Wissenstand und zahlreiche Anregungen sowie Verknüpfungschancen.
>> Das Interview führte Dr. Fritz Schäffer, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im BLLV