Haim Moses Gerson Lewkowitz (1912 bis 1952)

 

"O, fänd‘ ich den Weg zurück“, dieser Auszug aus einem Schumann-Lied wird von Lehrer Lewkowitz in seinem Artikel „Umschaltung“ (erschienen 1934 in der jüdischen Wochenzeitschrift „Der Israelit“) zitiert, wodurch er verdeutlicht, dass die jüdische Gemeinde vom Weg abgekommen ist und zu ihrer Religion zurückfinden muss. In dem Artikel vergleicht er die Arbeit eines Lokomotivführers, welcher Hebel und Köpfe drückt, um an sein Ziel zu kommen, mit seiner Arbeit als Lehrer in der Gemeinde Buttenwiesen. Als Lehrer trüge man ebenso schwere Verantwortung und habe ein Ziel vor Augen, müsse aber erst mühsam herausfinden, wo die richtigen „Hebel“ bei den Schülern seien, die – wenn nötig – bremsen oder auf einen anderen Lebensweg umschalten sollten. Denn „jede Seelenmaschine [ist] andersartig und verschieden in der Handhabe der Hebel“. Besonderen Wert legt er auf die „Rückkehr zur strengen Schabbosheiligung, zum andächtigen Gebet […] [und] zur koscheren Küchenführung“, was Moses Lewkowitz zu einem Hüter der jüdischen Traditionen und Gebräuche macht.

Regensburg

Am 21. April 1912 erblickt Haim Moses Gerson Lewkowitz als zweites Kind von Jakob und Frieda Lewkowitz das Licht der Welt. Fünf Jahre zuvor, am 5. August 1907, ist Moses‘ große Schwester Hedwig in Schwäbisch Hall auf die Welt gekommen, wo seine Eltern ein Jahr zuvor geheiratet haben. Moses‘ Mutter Frieda, geb. Rosenberg, ist 1884 in Turek geboren. Ihr Mann Jakob ist im selben Jahr in Wieluń, einer Nachbarstadt von Turek zur Welt gekommen. Diese Städte gehören heute zu Polen, damals war es russisches Gebiet. 1911 ziehen Moses‘ Eltern mit ihrer Tochter nach Regensburg in die Schäffnerstr. 2, wo Jakob eine Anstellung als Synagogendiener und Kultusbeamter findet. Drei Jahre nach Moses‘ Geburt bekommt die Familie am 7. Oktober 1915 mit Mendel ein letztes Mal Zuwachs.

Würzburg

Moses beginnt 1929 sein Studium zum Religionslehrer an der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt (ILBA) in Würzburg, welches er drei Jahre später erfolgreich beendet. 1932 zieht er von Würzburg nach Buttenwiesen, eine kleine Ortschaft in der Nähe von Augsburg, und fängt dort als Junglehrer an, Religion zu unterrichten. In diesem Jahr wird die Familie Lewkowitz ohne Hedwig in Bayern eingebürgert. Hedwig heiratet im Juni 1933 in Berlin den Religionslehrer Heinrich Leisten und nimmt dessen Familiennamen an.

Im Mai 1934 erreicht Moses Lewkowitz an der Schule eine Unterrichtsbefreiung aller jüdischen Schüler am Sabbat. Ein Jahr später im Juli stellt er auf einer Mitgliederversammlung des Israelitischen Lehrervereins für Bayern in Würzburg einen Antrag auf „organisiertere Fortbildungsarbeit“ für Junglehrer in kleinen jüdischen Gemeinden, ebenso fordert er eine „Debatte über einheitliche Gehaltsregelung der Junglehrer“, da deren Gehälter verhältnismäßig verschieden sind. Im Oktober 1937 zieht er nach Laudenbach, ein Jahr darauf nach Fürth.

Ende Oktober 1938 werden Tausende polnische Juden in Züge gezwungen und an die polnische Grenze gebracht. Die Nationalsozialisten versuchen, sie nach Polen abzuschieben. Moses und seine Eltern werden aufgrund ihrer bayerischen Staatsbürgerschaft von dieser Deportation noch verschont. In der Nacht vom 9. auf den 10. November wird der Synagogenplatz mit der 321 Jahre alten Synagoge, der „Altschul“ niedergebrannt, die Ruine wird später abgerissen. In derselben Nacht gegen 2 Uhr werden alle Mitglieder der jüdischen Gemeinde aus ihren Wohnungen geholt und gedemütigt. Erst nach 5 Stunden dürfen vorerst Kinder und Frauen wieder in ihre Wohnungen, die Männer werden ins Berolzheimerianium (Theater in Fürth) gebracht. Dort entscheidet die SS-Kommission gegen Abend, wer von den Männern wieder nach Hause darf, wer in das Nürnberger Gefängnis kommt und wer ins KZ Dachau deportiert wird. Moses ist einer der 150 Männer, die als „Aktionsjuden“ unter der Haftkategorie „Jude und Schutzhäftling“ am 11. November nach Dachau deportiert werden. An diesem Tag wird aus Moses Lewkowitz für das NS-Regime die Häftlingsnummer 22141. Mehr als einen Monat später, am 23. Dezember 1938, wird er wieder entlassen. Im April 1939 meldet er sich aus Fürth ab nach Regensburg. Moses Lewkowitz und seine Schwester Hedwig emigrieren 1939 nach Palästina. 

Palästina

Seit dem Jahr 1921 kommt es in den Gebieten Palästinas zu gewalttätigen Ausschrei-tungen aufgrund der arabisch-jüdischen Gegensätze und der Weigerung der britischen Regierung, dem arabischen Staat die Unabhängigkeit zuzusprechen. Diese Ausschreitungen werden meist von britischen Truppen niedergeschlagen. In dieser Zeit emigrieren aufgrund des Antisemitismus in Europa rund 300.000 Juden nach Palästina. Wie seine Schwester wird auch Moses 1939 einer dieser Emigranten.

Im Februar 1946 stellt Moses einen Wiedergutmachungsantrag über die Property-Control-Section Regensburg der amerikanischen Militärregierung an den Bayerischen Staat auf Erstattung des Besitzes seiner Eltern und seines zurückgelassenen Umzugsgutes. Darin gibt er an, britischer Soldat mit palästinensischer Staatsbürgerschaft zu sein. Aus diesem Antrag geht hervor, dass seine Eltern am 2. April 1942 in das Ghetto in Piaski, Polen, deportiert und dort ermordet worden sind.

Moses‘ Schwester Hedwig lebt zu dieser Zeit in Ramat Gan in Palästina, in der Nähe von Tel Aviv, sein Bruder Mendel in Shanghai in China. Aus einer Meldung von Rechtsanwalt Doktor Oswald Glück an die Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Regensburg vom 30. Oktober 1952 geht hervor, dass Moses Lewkowitz eine Niederländerin namens Marie de Leeuw geheiratet hat, die im Oktober 1952 in Utrecht wohnte. Maries Todesanzeige in der niederländisch-jüdischen Zeitung „Nieuw Israelitisch Weekblad“ vom 6. März 2009 spricht aber dagegen, weil sie dort als Marie De Leeuw und als „Lebensgefährtin von Lewkowitz“ und nicht als Witwe Marie Lewkowitz-De Leeuw bezeichnet wird. In Maries Meldekarte in Amsterdam, wo sie zum Zeitpunkt ihres Todes gelebt hat, ist ebenfalls nicht vermerkt, dass sie verheiratet war.

Es ist nicht bekannt, ob Moses Lewkowitz jemals in den Niederlanden gewohnt hat. Marie De Leeuw war Krankenpflegerin und engagierte sich 1939 in ihrem Heimatort Steenwijk in der Palästinaarbeit. Die Frage, ob die zwei in Palästina oder anderswo geheiratet haben, bleibt offen, weil keine Belege darüber vorliegen. Unabhängig davon, ob sie verheiratet waren oder nicht, müssen Moses Lewkowitz und Marie eine intensive Beziehung geführt haben, da sie mehr als 50 Jahre nach seinem Tod noch als seine Lebensgefährtin bezeichnet wird. Im April 1952 verstirbt Haim Moses Gerson Lewkowitz in Ramat Gan. Aufgrund eines Tippfehlers ist der genaue Todestag nicht überliefert. Er ist nur 40 Jahre alt geworden.

Quellen

  • Stadtarchiv Regensburg (Familienregister)
  • Staatsarchiv Amberg Wiedergutmachungsbehörde II Regensburg 1701 (Wiedergutmachungsantrag)
  • Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau (Häftlingskartei)
  • ITS Bad Arolsen 3.1.1.3/78790316; 1.1.6.1/9892591 (Listenmaterial); 1.1.6.7/10695928 (Schreibstubenkarte)
  • MdJLfB 1935 Nr. 7, in: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung 15.07.1935, auf Alemannia Judaica
  • Yad Vashem, Central Database of Shoah Victims´ Names S
  • tanislav Zámečnik: Das war Dachau, Luxemburg 2002
  • Barbara Distel / Wolfgang Benz: Das Konzentrationslager Dachau 1933-1945. Geschichte und Bedeutung, München 1994
  • Lothar Berthold u.a.: „Kristallnacht“ in Fürth, in: Sondernummer der Fürther Freiheit, Fürth 1988

 

Die Verfasserin Lena Fiedler

Mein Name ist Lena Fiedler und ich bin 19 Jahre alt, ich habe im Jahr 2016 mein Abitur am Gymnasium Grafing geschrieben. Im Rahmen des W-Seminars „Namen statt Nummern“ in Kooperation mit dem „Gedächtnisbuch für die Häftlinge des KZ-Dachau“ und Projekt „Erinnern“ des BLLV ist dieses Gedächtnisblatt entstanden. Die Arbeit in diesem Projekt hat mir sehr gefallen, da man sich in das Einzelschicksal eines ehemaligen Häftlings hineinarbeitet und so Stück für Stück sein Leben erkundet und aus der Vergessenheit wieder hervorholt.

 

 

Ergänzung von seinem einzigen Sohn Moshé Lewkowitz (geb. am 17.04.1952)

Anlässlich des Artikels von Lena Fiedler über meinen Vater Haim Moshe Gerson Lewkowitz schicke ich Ihnen – als sein einziges Kind - die folgenden Ergänzungen zu den aktuellen Familiendaten:

Meine Mutter, Marie Lewkowitz - de Leeuw, geboren am 29.11.1915 in Steenwijk/ Niederlande, und gestorben am 02.03.2009 in Amsterdam, war nach der mittleren Reife ausgebildet und voll befugt als medizinische Laborantin und Apothekersassistentin. Am Anfang des zweiten Weltkriegs war sie in Amsterdam noch ein Jahr lang in Ausbildung als Krankenschwester, musste aber ihre Ausbildung abbrechen um in Steenwijk, zusammen mit ihrer Mutter unterzutauchen.

Nach dem Krieg entschloss sie sich 1950 um ‘Ailya’ zu gehen, das heisst nach Israel auszuwandern. In Israel begegnete sie meinem Vater Haim Moses Gerson (geboren 21.04.1912 in Regensburg – und verstorben am 10.04.1952 in Ramat Gan in Israel) zum erstenmal und dort haben sich meine Eltern kennengelernt. Meine Mutter, Marie de Leeuw, und mein Vater Haim Moses Gerson Lewkowitz haben am 10. Januar 1951 in Ramat Gan/ Israel,geheiratet. Sie heirateten mit einer jüdischen Hochzeit und erhielten eine sogenannte ‘Choepa’, eine Jüdische Heiratsurkunde. Etwa im Juni/Juli 1951 wurde meine Mutter schwanger. Im vierten Schwangerschaftsmonat wurde bei ihr bei einer Vorsorgeuntersuchung Lungentuberkulose entdeckt. Da die Krankheit in einem fortgeschrittenen Stadium war und zu der Zeit die Behandlungsmöglichkeiten in Israel noch nicht weit genug entwickelt waren, entschlossen sich meine Eltern, dass meine Mutter zur Behandlung in die Niederlande zurückkehren sollte. Mit der entsprechenden Behandlung konnten Mutter und Kind gerettet werden und nach der Geburt und der Ausheilung der TBC sollte meine Mutter mit mir zusammen zu ihrem Mann nach Israel zurückkehren.

Völlig unerwartet verstarb mein Vater in Israel am 10. April 1952, genau eine Woche vor meiner Geburt am 17. April 1952. Meine Mutter lag zu der Zeit, als mein Vater in Ramat Gan gestorben ist, krank und hochschwanger im Krankenhaus in Utrecht. Nach einem jüdischen Brauch bekam ich genau dieselben Namen wie mein – eine Woche davor - verstorbener Vater : Chaim Moshe Gershom und auch den Rufnamen Moshe. Es hat nach meiner Geburt noch dre Jahre gedauert, bis meine Mutter Marie Lewkowitz – de Leeuw, nach verschiedenen Operationen, geheilt aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Meiner Mutter, die nach der Behandlung nur noch eine Lunge hatte, wurde davon abgeraten, nach Israel zurückzukehren und in einem Land mit subtropischem Klima zu wohnen. Aus diesem Grund entschloss sie sich um in den Niederlanden zu bleiben und mich hier zu erziehen.

Nach dem Tod ihres Mannes hat sie nie wieder eine neue Beziehung gehabt und ist als Witwe mit 93 Jahren am 2. März 2009 im Pflegeheim ‘Beth Shalom’ in Amsterdam verstorben. Ihr Grab ist auf dem jüdischen Friedhof am Zandpad in Utrecht.

Ich, Chaim Moshe Gershom Lewkowitz, geboren in Utrecht am 17. 4.1952 habe meine ganze Kindheit und Jugendzeit in Utrecht/Niederlande gewohnt. Ich habe hier meine Schulausbildung absolviert und danach an der Musikhochschule in Utrecht Violine, Klavier und Schulmusik studiert. Nach erfolgreichem Abschluss dieses Studiums habe ich, neben meiner Berufstätigkeit, noch eine vierjährige Ausbildung zum Carillonneur (Glockenspieler) absolviert and der Niederländischen Carillonschule in Amersfoort. In meinem ganzen Berufsleben habe ich Geigen- und Bratschenunterricht erteilt und Schulen begleitet im Unterrichtsfach Musik. Ausserdem bin ich Stadtcarilloneur bei der Gemeinde Nieuwegein und bin Chazan (Vorsänger/Kantor) und Lehrer in Jüdischem Unterricht bei der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Utrecht.

Ich wohne immer noch in Utrecht. Am 8. März 1977 haben meine Frau Marian (Maria Anna Geertruida) de Munck, geboren am 26. August 1945 in Utrecht, standesamtlich geheiratet. Am 14. August 1980 bekamen meine Frau und ich in Amsterdam unsere Choepa ( Jüdische Hochzeit). Wir haben drei Söhne: Maurits Simon Philippus Lewkowitz (geb. in Utrecht am 07.12.1978), Raphaël Chaim Jacob Lewkowitz (geb. in Utrecht am 14.01.1980) Jascha Nathan David Lewkowitz (geb. in Utrecht am 18.02.1981).

#Inzwischen gibt es auch Enkelkinder: Raphaël Chaim Jacob Lewkowitz ist seit 24.05.2016 verheiratet mit Nayibe Meerdinkveldboom (geb. am 24.09.1979 in Pamplona, Columbien). Sie haben eine Tochter: Raéli Shyra Martha Lewkowitz (geboren in Utrecht am 07.07. 2016) Jascha Lewkowitz lebt zusammen mit Tania Milady (geb. am 22.11. 1980 in Güespa, Columbien). Sie haben zusammen zwei Kinder und wohnen in Rio de Janeiro/Brazilien: Leah Simone Lewkowitz (geb. am 18.12.2014 in Rio de Janeiro) und Simon Dante Lewkowitz (geb. am 14.02.2017 in Rio de Janeiro) Unser ältester Sohn Maurits Simon Philippus ist noch alleinstehend.

Diese Ergänzungen erreichten uns am 10. Okober 2018.