Dr. Siegmund Rindskopf (1977 bis 1942)

Dr. Siegmund Rindskopf hätte ein ganz normales Leben führen können, wären die Nationalsozialisten nicht an die Macht gekommen. Stellen wir uns einmal vor, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn Hitler nicht Reichskanzler geworden wäre. Er hätte sich in seinem Lehrerberuf verwirklicht, wäre befördert worden und die Schüler hätten ihn bis zu seiner Pensionierung gemocht oder auch nicht. Er hätte seine Tochter aufwachsen sehen, vielleicht mit seinen Enkeln gespielt. Und hätte wahrscheinlich mit seiner Frau seinen Lebensabend glücklich oder unglücklich verbringen können, wie jedes andere Paar. Aber da dies nicht der Fall war, wird im Folgenden sein reales Leben dargestellt. Der Bruch kam mit den Nationalsozialisten: Sie haben sein Leben zerstört.  

Kindheit und Jugend

Siegmund Rindskopf wurde am 10.6.1877 um 15:30 Uhr in Großlangheim, Landkreis Kitzingen geboren als Sohn der verwitweten jüdischen Viehhändlersfrau Jeanette Rindskopf, geborene Friedlein. Ihr Mann Jacob Rindskopf war bereits im Mai 1876 gestorben. Siegmund Rindskopf bezeichnet ihn dennoch in seinem Lebenslauf als Vater. Jeanette Rindskopf erreichte eine Verfügung des Königlichen Amts-und Landgerichts Kitzingen, in der ihr am 15.7.1879 bestätigt wurde, dass Jacob Rindskopf zuletzt mit ihr verheiratet war.

Siegmund hatte drei Brüder: Moritz, geboren am 19.1.1871, Isaak, geboren am 27.12.1871, und Ludwig, geboren am 27.5.1873. Sie gehörten der israelitischen Konfession an. Nach Geburt des letzten Sohnes meldete sich Jeanette Rindskopf am 26.7.1878 in Würzburg an. Sie wechselten öfters ihre Wohnung und lebten in der Ursulinergasse 9, Domstraße 9 und im Marktplatz 4. Später zogen sie in die Reibeltgasse 6.

Schule und Studium

Siegmund Rindskopf besuchte in Würzburg vier Jahre lang die israelitische Bildungs- und Erziehungsanstalt, danach drei Jahre das Alte Gymnasium, das heutige Wirsberg Gymnasium, darauf trat er an das damalige Realgymnasium über, das heutige Siebold-Gymnasium. Dieses schloss er 1896 mit dem Abitur ab.

Anschließend begann er Physik und Mathematik zu studieren, wechselte aber nach zwei Semestern zum Lehramtsstudium der Realien, also Deutsch, Geschichte und Geographie. Insgesamt absolvierte er sieben Semester, wobei er im Wintersemester 1888/1899 und im Sommersemester 1899 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studierte. Während dieses Aufenthalts wohnte er in der Theresienstraße 25/1. Die restlichen Semester verbrachte er in Würzburg. Er schloss am 15.3.1901 seine Studentenzeit ab. Am 15.5.1901 erwarb er seine philosophische Doktorwürde mit „magna cum laude“. Der Titel seiner Dissertation lautete „Ausdruck der Affekte in Lessings dramatischen Werken“. Sie ist in der Staatsbibliothek in München einsehbar.

Seine 1. Lehramtsprüfung legte er 1901 mit der Note zwei ab, seine 2. Lehramtsprüfung schloss er 1905 auch mit der Note zwei ab, sein pädagogisch-didaktisches Seminar 1904/1905 mit der Note eins.

Beruf und Familie

Seine erste Arbeitsanstellung erhielt Dr. Siegmund Rindskopf an der Dr. Kramer’schen Realschule in Harburg an der Elbe von Ostern 1902 bis Ostern 1903. Seine nächste berufliche Station führte ihn an die Jacobsonschule in Seesen. Dort unterrichtete er bis zum Herbst 1904. Anschließend verbrachte er vom 16.11.1904 bis 14.7.1905 das pädagogisch-didaktisches Seminar am Königlichen Realgymnasium in Würzburg, an dem er selbst zur Schule gegangen war. In der Abschlussbemerkung zu seiner Lehrtätigkeit dort wird er als gescheit, vielseitig gebildet, besonnen und taktvoll, sowie als zuverlässiger Lehrer beschrieben und mit der Note 1 bewertet.

Darauf ging er wieder für die Jahre 1905 und 1906 zurück nach Seesen, wobei er im Herbst 1906 für sechs Wochen an der Realschule in Ansbach als Aushilfe unterrichtete. Vom 1.1.1907 bis 15.7.1907 arbeitete er als Aushilfsassistent an einem Realgymnasium in München, darauf erhielt er dort eine Anstellung als Assistent. Er blieb bis zum 1.1.1909 an dieser Schule. Anschließend kehrte er wieder zurück ans Realgymnasium in Würzburg, an dem er bis zum 1.9.1913 als Gymnasiallehrer beschäftigt war. Von 1913 bis 1920 arbeitete er als Gymnasiallehrer an einem Realgymnasium in München.

Vom Februar 1917 bis zum Juli 1917 leistete er Kriegsdienst. „Er wurde im Lager Lechfeld […] zum Granatwerfer ausgebildet; wegen eines Ohrenleidens kam es jedoch nicht zu einem Fronteinsatz.“

Den größten Teil seiner Lehrtätigkeit verbrachte er an der Gisela-Oberrealschule in München. 1920 begann er dort als Studienrat und wurde 1929 zum Oberstudienrat befördert. Aus den Unterlagen geht hervor, dass Dr. Siegmund Rindskopf „ein sehr geschätzter Lehrer“ war und seine Seminarlehrtätigkeit, also die Ausbildung von Lehrern, sehr gut beurteilt wurde. Auch sein dienstliches und außerdienstliches Verhalten wird als tadellos bewertet.

Am 1.2.1920 zog er in die Siegfriedstraße 8/1 in München und lebte dort auch nach seiner Heirat am 20.2.1920 mit Hedwig Spear, geschiedene Kleinbauer. Sie ist am 18.7.1889 in Fürth geboren worden. Am 20.8.1920 kam die gemeinsame Tochter Johanna, genannt Hanna, in München zur Welt.

Von den Auswirkungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums war der Germanist zunächst nicht betroffen, weil er seit 1909 etatmäßiger bayrischer Staatsbeamter war und damit galt für ihn noch die Ausnahmeregelung für Beamte, die bereits vor 1914 ihren Dienst angetreten hatten. Das Gesetz diente den nationalsozialistischen Machthabern als Grundlage, jüdische Beamte aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen. Im Zuge dieses Gesetzes wurde auch die Parteizugehörigkeit betrachtet.

Rindskopf gehörte von 1907 bis 1909 dem Nationalistischen Verein München an. 1910 trat er der Fortschrittlichen Volkspartei bei, die nach ihrer Auflösung1918 in der Deutschen Demokratischen Partei aufging. Rindskopf blieb der Partei auch treu als sie sich 1931 zur Deutschen Staatspartei umbildete bis sie 1933 von den Nationalsozialisten verboten wurde. Ab dem 16.10.1933 lebte die Familie in der Clemensstraße 10/3.

Entlassung aus dem Beamtenverhältnis

Die „Rassenpolitik“ der Nationalsozialisten wirkte sich 1935 auf seine berufliche Karriere aus. Auf seinem Personalbogen von 1935 war vermerkt, dass er nicht für eine Beförderung geeignet wäre, weil er Jude sei. Am 8.10.1935 ging ein Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultur an das Giselagymnasium mit der Anordnung, dass Dr. Siegmund Rindskopf mit sofortiger Wirkung vom Dienst zu beurlauben sei. Seine Bezüge sollte er vorläufig noch erhalten. Am 16.12.1935 wurde aufgrund „§ 4 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935“ die endgültige Versetzung in den Ruhestand zum 31.12.1935 befohlen. Mit diesem Gesetz hatten die Nationalsozialisten die deutsche Bevölkerung in ein wertendes System eingeteilt. So galten Bürger, die „deutschen oder artverwandten Blutes“ waren, als Reichsbürger. Nur diese hatten volle politische Rechte. Deutsche jüdischer Konfession oder jüdischer Abstammung waren Staatsbürger, ihnen wurden die politischen Rechte genommen und die rechtliche Grundlage für den Entzug weiterer Befugnisse durch Verordnungen gelegt. Zuerst wurden nun alle Beamten aus dem Staatdienst entlassen, die aufgrund von Ausnahmeregelungen im Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums noch im Dienst waren. Denn dieses besagte, dass nur Reichsbürger Berufsbeamte sein konnten. Darunter fiel auch Dr. Siegmund Rindskopf.

Leben nach 1935

Nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst arbeitete er an der Fortbildungsschule, die der jüdischen Volksschule, Herzog-Rudolf-Straße 1, angegliedert war. Dort traf er auch Walter Geismar wieder, den er bereits in seiner Zeit als Lehrer an der Gisela-Oberrealschule unterrichtet hatte. Ab dem 1.7.1937 lebte die Familie in der Tengstraße 24/0, einem sogenannten Judenhaus.

Im Anschluss an die „Reichskristallnacht“ vom 9.11.1938 war Dr. Siegmund Rindskopf im Konzentrationslager Dachau inhaftiert bis 1.12.1938. Die jüdischen Häftlinge wurden im Konzentrationslager derart terrorisiert, dass viele nach nur wenigen Wochen das Lager fürs Leben gezeichnet verließen und alle, die es nur konnten, versuchten ins Ausland zu fliehen. In einem Brief an das Staatsministerium für Unterricht und Kultur bat Rindskopf am 15.12.1938 um eine Bestätigung seiner Lehrtätigkeit, vor allem als Seminarlehrer, in Form eines Zeugnisses. Dies sollte ihm helfen, einen Ruf an eine amerikanische Universität und einen Vorzug gegenüber anderen Antragsstellern zu erhalten. Denn er wusste, dass er ohne Bevorzugung „auf absehbare Zeit keine Aussicht“ auf Billigung seines Auswanderungsantrages bekommen würde. Am 24.12.1938 wurde ihm eine kurze nüchterne Bestätigung für seine Tätigkeit als Seminarlehrer geschickt, jedoch ohne Zeugnis und ohne Anerkennung seiner Qualifikation.

Seine Frau versuchte über Verwandte in den USA Kontakte herzustellen. Die Auswanderungsversuche blieben aber ohne Erfolg.

Am 25.10.1939 zog die Familie in die Leopoldstraße 42/3 ein. Zuletzt lebten sie in einem „Judenhaus“ in der Goethestraße 26/1. Vor der Deportation musste Dr. Siegmund Rindskopf im jüdischen Lager in Milbertshofen Zwangsarbeit verrichten. So musste er zunächst Zementsäcke beim Abladen mit Wasser bespritzen, um Staubbildung zu verhindern. Später hatte er das Glück, einen seiner ehemaligen Schüler wieder zu treffen, der ihn pro forma in seiner Kohlehandlung arbeiten ließ. Seine Tochter war ebenfalls als Zwangsarbeiterin verpflichtet und musste in der Flachsröste in Lohhof arbeiten.

Sein Leben endete wie das vieler Juden aus München in einem „Todeszug“ in den Osten. Dr. Siegmund Rindskopf wurde mit seiner Frau und seiner Tochter am 4. April 1942[lxvi] mit 771 anderen Menschen nach Piaski deportiert. Das ist das letzte Lebenszeichen von Dr. Siegmund Rindskopf.

Quellen

  • Gemeindearchiv Großlangheim: Sterbeeintrag von Koppel Rindskopf; Geburtsurkunde von Siegmund Rindskopf
  • Stadtarchiv Würzburg: Einwohnermeldebögen von Ludwig Rindskopf; Isaak Rindskopf, Moritz Rindskopf und Jeanette Rindskopf
  • Archiv Ludwig-Maximilians-Universität: Amtliches Verzeichnis des Personals der Lehrer, Beamten und Studierenden an der königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. Winter-Semester 1888/1889, Sommer-Semester 1899
  • ITS Bad Arolsen: KZ Dachau Zugangsbuch Rindskopf, Häftlingsnummer 19749
  • BayHStA MK 34287: Lebenslauf vom 8.9.1901; handgeschriebenes Dokument ohne Titel, Datum, Ort; Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultur vom 8.10.1935 und vom 19.12.1935; Personalnachweis 1931 und 1935; Brief von Dr. Siegmund Rindskopf an das Staatsministerium für Unterricht und Kultur in München, München, 15.Dezember 1938; Abdruck zu Nr. IX 75560, Bestätigung, München, den 24.Dezember 1938
  • Stadtarchiv München: Datenbank NS-Opfer/ Personen; Konzeptdruck vom 1.3.2012, Interview von Brigitte Schmidt und Walter Geismar, Victoria (AUS), Aufnahmedatum: 4.08.1998, Aufnahmeort: Stadtarchiv München  

 Literatur

  • Kammerer, Tobias: Facharbeit „Jüdische Schüler und Lehrer der Gisela-Oberrealschule“, Siegmund Rindskopf ein Lehrer an der Gisela-Oberrealschule
  • Karl, Willibald: Der Germanist Dr. Siegmund Rindskopf und seine Familie, in: Ilse Macek, ausgegrenzt-entrechtet-deportiert. Schwabing und Schwabinger Schicksale 1933-1945, Seite 220-226
  • Hanke, Peter: Zur Geschichte der Juden in München zwischen 1933 und 1945, Heft 3
  • Strnad, Maximilian: Zwischenstation „Judensiedlung“ Verfolgung und Deportation der jüdischen Münchner 1941-1945, Band 4

 

Verfasserin Lisa Hollerith

Mein Name ist Lisa Hollerith und ich bin Schülerin des Franz-Marc-Gymnasiums in Markt Schwaben. Im Rahmen meines W-Seminares „Namen statt Nummern“ habe ich ein Gedächtnisblatt über Dr. Siegmund Rindskopf verfasst. Dr. Siegmund Rindskopfs Schicksal ist kein Einzelfall in der Geschichte des Nationalsozialismus. Die Verfolgung und Ermordung durch das NS-Regime darf nicht vergessen werden und an die Opfer sollte erinnert werden, damit sich diese Gräueltaten nicht wiederholen. Ich hoffe, dass ich mit meiner biographischen Skizze Dr. Siegmund Rindskopf aus der anonymen Masse der Häftlinge hervorholen konnte.