Wie können wir Bildungs- und Erziehungspartnerschaften gut gestalten?

Beschluss der 55. Landesdelegiertenversammlung des BLLV vom 18.-20. Mai 2023

Die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus rückt, nicht zuletzt durch die gesellschaftlichen Herausforderungen der momentan zu bewältigenden Situation, immer mehr in den Fokus gelingender Bildungsarbeit. Das Aufgabenspektrum von Schule und damit der Lehrerinnen und Lehrer hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Integration, Inklusion, Ganztag, Digitalisierung, individuelle Förderung gehören zum Schulalltag. Die Bewältigung dieser Herausforderungen ist letztlich jedoch nicht nur Aufgabe der Schulen, sondern eine gesamtgesellschaftliche. Schule besitzt eine zentrale Rolle in der Lebensbiographie von (jungen) Menschen, dennoch kann sie nicht alles alleine leisten. Schon gar nicht ohne entsprechende strukturelle oder ressourcenbezogene Anpassungen. Die Schule ist auch als Ort der Wertevermittlung die einzige Institution, die jedes Mitglied unserer Gesellschaft durchläuft. Auch deshalb ist eine gelungene Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von Schule und Eltern von herausragender Bedeutung.

Mit der gestiegenen Vielfalt an Aufgaben wächst nicht zuletzt der Kooperationsbedarf zwischen Elternhaus und Schule. Gründe hierfür sind unter anderem zunehmende Erwartungen an die Lehrerinnen und Lehrer, zunehmende Verhaltensauffälligkeiten bei den Schülerinnen und Schülern, zunehmende Verunsicherung auf Seiten der Eltern hinsichtlich Erziehungsfragen oder zunehmende Konflikte vor dem Hintergrund des Leistungsdrucks und der Notengebung. In diesem Zusammenhang wird immer deutlicher, dass der Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen nur gemeinsam im Rahmen einer guten und nachhaltigen Bildungs- und Erziehungspartnerschaft wirklich sichergestellt werden kann. Es reicht nicht, erst dann miteinander ins Gespräch zu kommen, wenn Probleme auftauchen.

Konflikte treten häufig an den Übergängen im Schulsystem auf

Viele dieser Probleme entstehen nicht aufgrund einer fehlenden Kooperationsbereitschaft von Seiten der Lehrkräfte oder der Eltern, sondern haben systemische Gründe. Dies zeigt sich darin, dass Konflikte häufig an den Übergängen im Schulsystem auftreten. In hoch selektiven Schulsystemen wie in Bayern, wird Leistung in erster Linie als Grundlage für Klassifizierungen und Ausleseentscheidungen verstanden. Es erfüllt daher in erster Linie die Funktion, Lebenschancen zuzuweisen. Und diese Lebenschancen werden formal insbesondere an den Übergängen zugewiesen, was den Leistungsdruck gerade an diesen Stellen erhöht.

Auch wenn die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Eltern meist vertrauensvoll und auf Augenhöhe abläuft, werden Eltern bislang insgesamt noch zu wenig in den Bildungs- und Erziehungsprozess in der Schule mit eingebunden. Andererseits erhalten Lehrerinnen und Lehrer wenig bis kaum Einblick in die familiäre Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Insbesondere bei Schülerinnen und Schülern mit niedrigeren schulischen Leistungen und besonderen Problemlagen sowie bei Eltern aus bildungsferneren Milieus gestaltet sich dieser Austausch oftmals schwierig.

Im Hinblick auf Bildungsgerechtigkeit wurde zuletzt durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie die hohe Verantwortung der Schulen deutlich. Eine erfolgreiche Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Schule muss ein prioritäres Ziel der schulischen Bildungsarbeit sein. Den Bildungsauftrag ernst zu nehmen bedeutet aber auch und insbesondere dann Schülerinnen und Schüler in ihrer Entwicklung zu begleiten, wenn es nicht gelingt, eine entsprechende Partnerschaft zwischen Schule und Eltern herzustellen. Familien dürfen mit ihren Herausforderungen nicht alleine gelassen werden und Kinder und Jugendliche dürfen keinen Nachteil in ihrer Bildungsbiografie erhalten, nur weil eine Partnerschaft zwischen Eltern und Schule nicht gelingt. Schulische Bildung sollte idealerweise mit den Eltern gemeinsam gelingen, sie darf aber auch ohne den Eltern nicht scheitern.

Umfrage des BLLV

Eine vom BLLV im Februar durchgeführte >> Befragung zum Thema Zusammenarbeit mit den Eltern ergab, dass insbesondere Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede hier ein großes Hemmnis darstellen. Dies gilt es nach Ansicht aller an der Befragung teilgenommen Kolleginnen und Kollegen schnellstmöglich zu überwinden. Hierfür braucht es Zeit, Kommunikationsstrukturen, Unterstützung durch professionelles, externes Fachpersonal, Supervisionen, eine Kultur der Wertschätzung und der gegenseitigen Anerkennung u.v.m.

Dies bedeutet einen Perspektivwechsel zu vollziehen - sowohl auf Seiten der Lehrerinnen und Lehrer als auch der Eltern.

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Sinne einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Lehrkraft, Eltern und Kind fördert das gegenseitige Vertrauen, die Lernmotivation und schließlich auch den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Bildungs- und Erziehungspartnerschaften müssen etwas Selbstverständliches für alle Beteiligten werden.

Deshalb fordert der BLLV:

1. Mehr offizielle Zeitressourcen für die Kooperation mit den Eltern zur Verfügung zu stellen.

  • Um der Notwendigkeit kontinuierlicher Elternkooperation Nachdruck zu verleihen, muss diesem Bereich, so auch die Empfehlung der Kommission des Neunten Familienberichts der Bundesregierung, durch die Reduzierung des Lehrdeputats um eine Stunde Rechnung getragen werden.
  • Unter Berücksichtigung des momentanen Lehrermangels ist eine mögliche kurzfristige Lösung, den Kolleginnen und Kollegen mehr Eigenverantwortung und Freiräume zu geben, beispielsweise durch die Reduzierung des verpflichtenden und rechtlich relevanten Schriftwesens.

2. Multiprofessionelle Teams für die Elternkooperation müssen selbstverständlich werden.

  • Es ist eine Stärke von Lehrerinnen und Lehrern, sich Hilfe und Unterstützung durch Dritte einzuholen. Multiprofessionelle Teams sind ein zentraler Baustein für die passgenaue Förderung von Kindern und ihren Familien. Im Kontext der Elternkooperation brauchen Lehrerinnen und Lehrer ausreichend personelle Unterstützungsangebote, beispielsweise in Form von Dolmetscherinnen und Dolmetschern, auf die sie im Schulalltag niedrigschwellig und zeitnah zurückgreifen können.

3. Schulentwicklungsprozesse dahingehend zu unterstützen, dass Eltern sich als ein aktives Mitglied der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft erfahren können bzw. müssen.

  • Die Eltern müssen in den Prozess der Schulentwicklung in die für sie relevanten Bereiche miteinbezogen werden. Diesem Prozess muss Raum und Zeit gegeben werden, um passgenaue und nachhaltige Konzepte zu erarbeiten, die die Belange aller Beteiligten mitberücksichtigen.
  • Hierbei kann externe Unterstützung durch Spezialisten, wie Schulentwicklungsberater und -moderatoren sehr hilfreich sein. Die Weiterentwicklung und der Ausbau des KESCH-Angebots (Kooperation Eltern – Schule) ist eine Möglichkeit zur nachhaltigen Etablierung gelingender Elternkooperationen, insbesondere in Form einer aufsuchenden Arbeit zur Professionalisierung der Bildungs- und Erziehungspartnerschaften in Schulen.
  • Mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten für Eltern sollten zudem auch rechtlich im Sinne einer transparenten und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern verankert werden.

4. Schulen müssen ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag mit – aber wenn nicht möglich – auch ohne das Engagement der Eltern bestmöglich erfüllen können

5. Die verpflichtende Aus- und Weiterbildung im Bereich der Bildungs- und Erziehungspartnerschaften in allen drei Phasen der Lehrerbildung.

  • Expertise im Umgang mit Eltern darf kein Zufall sein. Bereits ab der ersten Phase der Lehrerbildung muss das Rollenverständnis der Lehrkraft reflektiert und das Bewusstsein für die Rolle der Eltern als wichtiger Partner für den Bildungs- und Erziehungsprozess der Kinder geschärft werden.
  • Eine Professionalisierung in den Bereichen Gesprächsführung und Beratung im Rahmen einer zielführenden Feedbackkultur ist hierzu dringend notwendig, wie sie beispielsweise im Projekt >> BERA („Beratung im schulischen Kontext“) der Universität Bamberg praktiziert wird.