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FEI: Flexibel, effizient und intelligent fördern

Was der BLLV unter dem freiwilligen, individuellen Förderjahr in Corona-Zeiten versteht.

FEI: die BLLV-Expertise zur Bildungsfinanzierung im Rahmen „Zeit für Bildung“ titelte so. Flexibel, effizient und intelligent soll die Bildung in Bayern ausgestattet sein. Nicht mit der Gießkanne ausschütten, sondern auf 10 Handlungsfeldern individuell anpassen. Das ist die BLLV-Vorstellung einer gerechten Bildungsfinanzierung.

Und was verstehen wir „fei“ nun unter gerechter Förderung? Was ist denn eigentlich der Charme eines freiwilligen, individuellen Förderjahres? Was für ein Förderverständnis steckt dahinter? Was will der BLLV hiermit auf den Weg bringen? Jetzt in Zeiten von Corona und danach …

Momentan befinden wir uns in einer Ausnahmesituation. Das laufende Schuljahr war durch und durch von der Corona-Pandemie und den vielen unterschiedlichen und neuen Organisationsformen von Unterricht geprägt. Dadurch wurden bereits vorhandene Probleme und Stolpersteine im Bildungswesen noch weiter verschärft und wie in einem Brennglas fokussiert.

Hinzu kommt, dass gegenwärtig zwei große Krisen im Bildungssystem aufeinanderprallen: Der gravierende Lehrermangel und die Corona-Pandemie. Und: auch die Digitalisierung wurde jahrelang verschlafen. Das fällt uns noch dazu auf die Füße.

Eines ist klar: Vieles wurde in dieser Zeit von allen Beteiligten geleistet. Mehr, als oftmals für möglich gehalten wurde, wurde schnell, professionell, vor Ort und im Team ins Feld gesetzt.

Trotzdem haben wir – und viele Schülerinnen und Schüler und Eltern – den Eindruck, dass all das nicht reicht! Es war kein normales Schuljahr und auch das nächste Schuljahr kann deshalb kein normales werden. Viele Schülerinnen und Schüler stehen vor großen Herausforderungen. Die Heterogenität der Anforderungen in den Klassen hat nochmals zugenommen. Die Bildungsungerechtigkeit hat sich nochmals verschärft und die schwachen und starken Schüler fielen oftmals mit ihren individuellen Ansprüchen hinten runter.

Aber: Besondere Situationen erfordern besondere Lösungen! Ungleiches muss ungleich behandelt werden: wenn schon nicht in der Vergangenheit, dann doch jetzt!

Deshalb fordert der BLLV unter anderem ein passgenaues individuelles Förderjahr für das Schuljahr 2021/22 und noch mehr.

Fakt ist: Wir haben eine extrem heterogene Situation bei den Schülerinnen und Schülern vor Ort

Manche Schülerinnen und Schüler konnten von den unterschiedlichen Modellen des Unterrichts in Coronazeiten (Distanzunterricht, Wechselunterricht, digitalem Unterricht, hybridem Unterricht) aus verschiedensten Gründen nicht oder kaum profitieren. Andere konnten zwar dem Unterricht folgen, litten aber z.B. unter der sozialen Isolation mit all den Folgen auf deren psychische Entwicklung. Es braucht deshalb jetzt, mehr als je zuvor, passgenaue Angebote für unsere Kinder und Jugendlichen, die die speziellen Bedarfe berücksichtigen. Angebote braucht es für alle Schülerinnen und Schüler, aber ganz besonders muss hierbei auf benachteiligte und abgehängte Kinder und Jugendliche geachtet werden. BLLV-Position: „Kinder in Not“ (>> hier)

Wir fragen: Wollen wir Leistungsdruck oder Chancengerechtigkeit?

Wir halten fest: Beides funktioniert nicht!

In einer Zeit, in der lernwirksamer Unterricht häufig gar nicht möglich ist und vieles von der individuellen Situation der Schule, den Lehrerinnen und Lehrern und den Familien vor Ort abhängt, ist ein Lernen und Prüfen im Gleichschritt pädagogisch höchst fragwürdig und verschärft zudem soziale Ungleichheiten. Statt Leistungs- und Notendruck braucht es nun einen Fokus auf individuelle Lernstandsdiagnostik und Lernentwicklung. Weniger Zeit fürs Prüfen und Bewerten, mehr Zeit fürs Lernen: so lautet die BLLV-Devise. Selbstverständlich darf das freiwillige und stark individuell fokussierte Wiederholen oder das Vorrücken auf Probe keinerlei negative Folgen auf den weiteren Bildungsverlauf des Einzelnen haben. Auch dieses Schuljahr darf nicht auf die maximale Schulzeit angerechnet werden. Fairness heißt: den Schülerinnen und Schülern jetzt individuell und intelligent entgegenkommen.

Gefragt ist: Pragmatismus!

Es ist leider nicht die Zeit, lange über neue Programme und Konzepte nachzudenken, denn es braucht Lösungen für das Hier und Jetzt. Und die gibt es! Mut ist die Voraussetzung und das Abschneiden von „alten, traditionellen Zöpfen“ das Prinzip. In Krisenzeiten wie diesen brauchen die Schulen vor Ort viel Eigenverantwortlichkeit für ihr Handeln, Vertrauen in deren Kompetenzen und solide Unterstützungssysteme in Form von hilfreichen Angeboten, Infrastruktur und Ressourcen.

Studierende, interessierte und engagierte Menschen aus der Kreativbranche, motivierte Personen, die vor Ort unterstützen können und wollen, müssen dies auch dürfen und entsprechend vergütet werden. Schulen brauchen hier Handlungsfreiraum. Die Zusammenarbeit mit Unternehmen, wie Verlagen, IT-Dienstleistern und anderen muss in einer solchen Zeit erleichtert werden, insbesondere durch die Bereitstellung entsprechender Ressourcen. Außerdem braucht es nicht nur innerschulisch, sondern vor allem auch über die Einzelschule hinaus kollaborative Netzwerkstrukturen, um ein effizienteres Arbeiten vor Ort möglich zu machen. Vor Ort: das ist das Zauberwort. Das funktioniert aber nur, wenn Verantwortung tatsächlich delegiert wird, wenn echtes Vertrauen herrscht und Spielräume wirklich genutzt werden dürfen. Dazu müssen sich alle bekennen!

Was es braucht: Der Blick allein auf das kommende Schuljahr ist zu kurz gedacht!

Viele der genannten Probleme gab es auch schon vor Corona und viele der Herausforderungen von heute werden uns noch lange nach Corona begleiten. Es reicht deshalb nicht, nur auf das laufende Schuljahr, die Ferien und das nächste Schuljahr zu blicken. Bildungspolitik musste schon immer langfristig denken und planen, das gilt ganz besonders in einer von Krisen geprägten Zeit.

Kurzfristig ist die Freigabe des Schüler- und Elternwillens in engem Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern der sinnvollste Weg, dieses Schuljahr zu entstressen und fairer zu machen, sodass alle Beteiligten ihren Fokus einzig und allein auf die (Lern-)Entwicklungsförderung der Kinder und Jugendlichen legen können. Zusätzlich kann den Familien auch noch im kommenden Schuljahr das Angebot gemacht werden, in enger Absprache mit den Lehrerinnen und Lehrern Ihre Entscheidung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nachträglich auf freiwilliger Basis zu korrigieren. Außerdem braucht es für das laufende Schuljahr, für die Ferien und für das kommende Schuljahr Zeit, Personal und Ressourcen für individuelle Förderangebote. Ein Pakt ist gefragt: ein echter Förderpakt – mit vielen multiprofessionellen Teams und zahlreichen Partnern. Wir Lehrerinnen und Lehrer sind die Profis für die Diagnose der Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler – zur passgenauen Förderung braucht es aber zusätzliches Personal! Dringend: jetzt und in Zukunft.

 Es braucht neben diesen kurzfristigen Lösungen für die akuten Probleme aber auch langfristige Perspektiven für die nächsten Jahre. Insbesondere sind hier selbstverständlich mehr Lehrerinnen und Lehrer, mehr Fach- und Förderlehrerinnen und -lehrer, mehr Sozialarbeit an Schulen und insgesamt mehr multiprofessionelle Teamarbeit sowie langfristig angelegte Unterstützungssysteme und -programme essenziell.

Schließlich braucht es aber auch eine neue Form des Lernens, ein individualisiertes System zur Flexibilisierung der Lern- und Schulzeit der Schülerinnen und Schüler, beispielsweise in Form von Kompetenzmodulen und -entwicklung. Modulare, kompetenzorientierte und verständnisintensive Lernprozesse sind die Basis für erfolgreiche und zukunftsträchtige Schul- und Bildungskonzepte von heute und morgen.

Der BLLV fordert:

  • Die Freigabe des Schüler- und Elternwillens beim Übertritt in die nächste Jahrgangsstufe in engem Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern. Die Entscheidung darf keine negativen Konsequenzen auf die weitere Bildungsbiografie der Schülerinnen und Schüler haben und sollte zudem im Laufe des kommenden Schuljahres bis zu einer bestimmten Frist freiwillig modifizierbar sein.
  • Eine Erleichterung für Kooperationen mit externen Unternehmen und Organisationen (Verlage, Lernapps, Betriebe, …) zur Unterstützung der Schulen vor Ort. Ziel muss es sein, gemeinsam schnelle und sinnvolle Lösungen für die akuten Probleme vor Ort zu finden.
  • Den Aufbau kollaborativer Netzwerkstrukturen in und über die Einzelschulen hinaus. In einer Zeit wie dieser sollte keine Arbeit doppelt und dreifach gemacht werden, sondern Schulleitungen sowie Lehrerinnen und Lehrer in einer Kultur des Teilens miteinander Bildung gestalten.
  • Umfangreiche Förderangebote auch in den Schulferien, durchgeführt von bezahlten Drittkräften. In Frage kommen hierbei insbesondere Lehramtsstudierende (z.B. als angerechnetes Schulpraktikum), Personen aus der Kreativbranche (z.B. in Zusammenarbeit mit den Kulturreferaten), pensionierte Lehrerinnen und Lehrer, aber auch weitere geeignete Personen, die sich vor Ort zur Verfügung stellen. Schulen vor Ort müssen die hierfür notwendigen finanziellen Ressourcen bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt und die Möglichkeit bekommen, das notwendige Personal auch selbst ohne große bürokratische Hemmnisse einzustellen und  zu führen.
  • Eine breite Palette an Förderangeboten sowohl im Bereich der sozial-emotionalen Kompetenzen als auch im Bereich der kognitiv-fachlichen Kompetenzen. Hierzu braucht es, orientiert an bewährten Konzepten, geeignetes zusätzliches Personal, Zeit und Ressourcen, damit diese Angebote in diesem Schuljahr, in den Ferien sowie im nächsten Schuljahr (und den darauf folgenden) auch umgesetzt werden können.
  • Ressourcen finanzieller und personeller Art zur bedarfsorientierten individuellen Förderung, passgenau für die Schule vor Ort. Hilfreich wäre hierzu eine Sammlung und der Ausbau möglicher Förderangebote (z.B. Tutoren- & Mentoringprogramme, wie das Chancenwerk, Teach First, Rock Your Life, Sofatutor oder EduCoach), aus der konkrete Angebote ausgewählt werden können.
  • Qualitätsvolle Ganztagsangebote insbesondere für benachteiligten Kinder und Jugendliche. Wünschenswert wäre hierbei zur Umsetzung die Berücksichtigung sozioökonomischer Faktoren, beispielsweise in Form eines Sozialindexes, wie es in anderen Bundesländern bereits vielerorts üblich ist.
  • Mehr Zeit für passgenaue individuelle Förderung durch zusätzliches Personal Lehrerinnen und Lehrer, Förderlehrerinnen und -lehrer, DeutschPLUS/DaZ, Schulpsychologinnen und -psychologen, MSD, multiprofessionelle Teams, …
  • Langfristig individuelle Lern- und Schulzeiten für die Schülerinnen und Schüler durch ein modularisiertes System. Lernen und Prüfen im Gleichschritt muss der Vergangenheit angehören. Kompetenzorientierung bedeutet auch, den Blick auf individuelle Lernwege zu werfen und hier individuelle Pfade zu ermöglichen. Schulen, die sich hier bereits auf den Weg gemacht haben (z.B. die Gemeinschaftsschule Wutöschingen), kamen auf dieser Basis auch deutlich besser durch die Corona-Pandemie.


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Corona Inklusion