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Gender-sensible Sprache Startseite Topmeldung

Lehrerinnen und Lehrer, Lehrer_innen, Lehrer:innen, Lehrer*innen oder halt doch einfach nur Lehrkräfte?

Es scheint ein nie endendes Thema zu sein und das liegt wohl auch in der Natur der Sache, denn es geht um Sprache und Sprache verändert sich seit jeher. „Gendern“ – für viele bereits ein Trigger-Wort.

Soll man überhaupt gendern? Wie gendert man eigentlich „richtig“? Worum geht es hier eigentlich? Dazu gibt es viele Meinungen. Ein Versuch der Einordnung.

Inhaltsübersicht


Die Faktenlage: Eine hochemotionale Debatte

Die Debatte rund ums Gendern ist nun bereits seit Jahren im Gange und wird oft hochemotional geführt. Viele kennen das Thema und – wie üblich bei gesellschaftlich relevanten Themen – hat auch fast jede Person eine Meinung dazu. Laut repräsentativer forsa-Umfrage (Juli 2023, >> siehe hier) stören sich 73 % der Deutschen an einer geschlechtersensiblen Sprache, wenn dabei auf Sonderzeichen (z.B. Unterstich, Doppelpunkt oder Sternchen) zurückgegriffen wird. Lediglich 22 Prozent der Befragten befürworten eine solche Nutzung der Sprache. Je nach sozialem und politischem Hintergrund schwanken die Zustimmungs- und Ablehnungswerte sehr stark. Die häufig beobachtbare Emotionalität bei dem Thema macht die inhaltliche Auseinandersetzung damit nicht unbedingt einfacher. Einige relevante wissenschaftliche Erkenntnisse der Natur- und Sozialwissenschaften in diesem Feld sind nur Wenigen bekannt, weil es zum einen ein verhältnismäßig junges Forschungsgebiet ist und zum anderen, weil der Themenkomplex „Gender“ in den Bildungswegen der meisten Menschen nie Thema war.

Warum eigentlich gendern?

Gendern ist heute unter anderem ein so präsentes Thema, weil die Wissenschaft (Natur- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften) heute der Ansicht ist, dass eine Festlegung auf zwei Geschlechter (männlich, weiblich) zwar hinsichtlich der natürlichen Fortpflanzung des Menschen zielführend ist, aber im Hinblick auf die biologische Realität des menschlichen Körpers in Kombination mit sozialen, individuellen und gesellschaftlichen Realitäten, Bedürfnissen und Zuordnungen nicht immer ausreicht. Ein zweiter Grund für die Prominenz des Themas in der öffentlichen Diskussion sind der starke Wunsch und die entsprechend vorgebrachten Forderungen bestimmter Bevölkerungsgruppen, diese Realität auch in der Sprache stärker abzubilden und einen Sprachgebrauch zu finden, der alle Menschen berücksichtigt und einschließt.

Biologisches Geschlecht

Das biologische Geschlecht ergibt in seiner Ausprägung von primären, sekundären und tertiären Geschlechtsmerkmalen ein breites Spektrum an Phänotypen (= das Erscheinungsbild eines dazugehörigen Genotyps, d.h. der DNA eines Menschen), das von zahlreichen körperlichen und genetischen Variationen geprägt ist. Insbesondere intergeschlechtliche Menschen können sowohl hinsichtlich ihrer DNA als auch hinsichtlich ihrer Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig den zwei biologisch am häufigsten vorkommenden Geschlechtertypen ‚männlich‘ (mit Genotyp 46,XY) oder ‚weiblich‘ (mit Genotyp 46,XX) zugeordnet werden. Auch aus diesem Grund ist es inzwischen möglich, den Geschlechtseintrag „divers“ neben „männlich“ und „weiblich“ amtlich erfassen zu lassen. Denn bei Weitem nicht jeder Mensch ist entweder ein Mann oder eine Frau – weder biologisch, noch sozial betrachtet.

Soziales Geschlecht

Neben dem biologischen Geschlecht (im Englischen „sex“) spielt auch das soziale Geschlecht (im Englischen: „gender“) eine wichtige Rolle in der Debatte. Was in der Gesellschaft als männlich und was als weiblich gilt und was überhaupt geschlechtlich interpretiert wird, ist in dieser Betrachtung nicht immer naturgegeben, sondern eine Frage der gesellschaftlichen Entwicklung und Kultur („doing gender“). Dies betrifft viele Bereiche des Alltags, z.B. Herren- und Damenabteilungen beim Einkaufen; bestimmte Farben (insbesondere Blau und Rosa), die mit einem Geschlecht in Verbindung gebracht werden; Verhaltensweisen, die einem Geschlecht typischerweise zugeschrieben werden (Frauen gelten dann z.B. als ‚emotional‘ und Männer als ‚rational‘) etc. Viele Menschen können sich aus biologischen oder sozialen Gründen mit den in der Gesellschaft vorgelebten Geschlechterrollen (Mann und Frau) nicht identifizieren. Dies kann dazu führen, dass das biologische Geschlecht mit dem sozialen Geschlecht nicht übereinstimmt (= Transgeschlechtlichkeit) oder dass sie sich als nicht-binär (d.h. weder Mann, noch Frau) identifizieren (z.B. intergeschlechtliche Menschen).

Daneben gibt es in der Gesellschaft auch zahlreiche geschlechtsneutrale Bereiche sowie die Möglichkeit, Dinge von ihrer geschlechtlichen Konnotation zu befreien („undoing gender“). Beispielsweise können Toiletten nach Geschlecht (‚Herren‘, ‚Damen‘ und manchmal auch ‚Divers‘) beschildert werden, wie es vielerorts üblich ist, oder eben nicht, wie z.B. in den Zügen der Deutschen Bahn.

Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität

Neben dem biologischen und sozialen Geschlecht ist auch die sexuelle Orientierung Teil der Gender-Debatte, da Heterosexualität sozial und auch rechtlich gesehen lange Zeit als Norm und Normalität galt. Mit der Ehe für Alle wurde hier ein Signal von Seiten der Gesetzgebung gesendet, das in Richtung von mehr Gleichberechtigung wirken soll. Dennoch ist der Alltag für nicht-heterosexuelle Menschen an vielen Stellen mit Barrieren und Diskriminierungserfahrungen verbunden, was durch Zahlen ausreichend belegt ist. Beispielsweise ist die Gefahr für Depressionen und Suizid bei diesen Menschen im Vergleich zu heterosexuellen Menschen um ein Vielfaches höher.

Gemeinsam ergeben das Zusammenspiel aus biologischem Geschlecht, sozialem Geschlecht und der sexuellen Orientierung dann die Geschlechtsidentität eines Menschen als Teil der Gesamtidentität. Menschen, die ihre eigene individuelle Geschlechtsidentität möglichst genau definieren möchten, suchen dafür nach angemessenen sprachlichen Möglichkeiten, z.B. „Ich bin ein heterosexueller cis-Mann“ oder „Ich bin ein heterosexueller Trans-Mann“ oder „Ich bin eine bisexuelle cis-Frau“ oder „Ich bin non-binär und das Geschlecht eines anderen Menschen spielt für mich keine Rolle“.

Heteronormativität

Da die Sprache und auch der gesellschaftliche Alltag sehr stark an der Zweigeschlechtlichkeit (Mann und Frau) und primär heterosexuell orientiert sind, können es Menschen, die davon abweichen in Alltagssituationen schwerer haben als heterosexuelle Männer oder Frauen. Man spricht hier von Heteronormativität, d.h. die Einteilung in genau zwei Geschlechter, in der Heterosexualität als gesellschaftlicher Maßstab und als normal gilt und Abweichungen davon als problematisch oder gar ‚falsch‘ gelten. Im Alltag und besonders in der Sprache zeigt sich diese Heteronormativität häufig (z.B., wenn bei der Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ genutzt wird oder wenn der Begriff „schwul“ als Schimpfwort genutzt wird).

Menschen, die vom heteronormativen Gesellschaftsbild abweichen, betonen, dass ihre Identität im Rahmen des im Grundgesetz verankerten Rechts auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit (GG, Art 2, Abs. 1) im gesellschaftlichen Alltag berücksichtigt werden soll und erwarten von ihren Mitmenschen deshalb auch, dass sich diese mit dem Themenkomplex und der Gender-Debatte auseinanderzusetzen.

Niemand möchte abgewertet werden

Was für die eine Person eine unangemessene Sprache ist, gehört für die andere Person zur eigenen Identität. Manche Menschen, denen eine geschlechtersensible Sprache wichtig ist, lehnen die Nutzung des generischen Maskulinums (d.h. die grammatikalisch männliche Form als Überbegriff für alle Personen einer Gruppe, z.B. der Begriff „Lehrer“ für alle Lehrkräfte) aus verschiedensten Gründen ab und betrachten diese als Provokation.

Andererseits ist die Nutzung von Sonderzeichen oder einer veränderten Aussprache von Begriffen (z.B. ‚Gender-Pause‘ bzw. Glottisschlag bei der Aussprache von Lehrer*innen) für Personen, die ihre gewohnte Alltagssprache bevorzugen oder ein heteronormativ geprägtes Weltbild haben, ebenso ein Problem. Wir haben es also mit verschiedenen Anliegen in der Bevölkerung zu tun, die jeweils sehr unterschiedliche Gründe für ihre Anliegen haben.

Es geht für beide Seiten um Identität

Ersteren geht es um eine Veränderung von Sprache im Sinne einer besseren Sichtbarmachung anderer Geschlechter (neben der männlichen Form auch die weibliche Form sowie weitere Ausprägungen der Kategorie Geschlecht, die aus wissenschaftlicher Sicht eindeutig existieren) bzw. um ein inklusiveres Sprechen, das alle mitnehmen soll. Mit der Sprache kommt hier zugleich auch eine bestimmte Sicht auf die Welt und ein politisches Anliegen zum Ausdruck.

Letzteren geht es meist um den Erhalt der gewohnten Sprache, die als richtig wahrgenommen wird. Veränderungen der Sprache beispielsweise durch Sonderzeichen werden dann unter anderem als grammatikalisch falsch, kompliziert, den Sprech- und Lesefluss störend oder als unästhetisch wahrgenommen. Für beide Seiten stellt die jeweilige Alternative eine Abwertung der eigenen Identität dar. Darüber sollte man sich prinzipiell im Klaren sein, bevor man in Streit gerät.

Gendern wird immer üblicher

Parallel zu dieser Konfliktlinie wird das Gendern auch mit Sonderzeichen bereits vielerorts praktiziert. An Universitäten ist das Gendern vermutlich aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen in diesem Bereich (eine recht umfangreiche Übersicht finden Sie >> hier) und dem dortigen soziokulturellen Umfeld bereits häufig Standard, insbesondere in den Sozialwissenschaften. Bei Weitem nicht alle, aber auch manche Organisationen wie Parteien, Unternehmen oder Medien gendern bereits mit Sonderzeichen. Dass über das Gendern so hitzig gestritten wird, liegt damit auch daran, dass es sich vielerorts bereits durchgesetzt hat. Umso üblicher es wird, desto problematischer wird es oft empfunden, nicht zu gendern. So kommt es zu Debatten um die Berechtigung, Art und Angemessenheit einer Umsetzung geschlechtersensibler Sprache.

Aladin El-Mafaalani bezeichnet diese Dynamik im Kontext der Integration und der zunehmend offenen Gesellschaft auch als Integrationsparadox: Je offener und vielfältiger unsere Gesellschaft wird und je besser alle Menschen integriert werden, desto mehr Konflikte gibt es, weil metaphorisch gesprochen eben immer mehr Menschen gemeinsam an einem Tisch sitzen und für ihre Interessen eintreten. Dieses Paradox ist auf ähnliche Art und Weise auch im Bereich der geschlechtersensiblen Sprache zu beobachten.

Reiz-Thema "Gender-Pflicht"

Reiz-Thema ist neben dem Gendern im Alltag auch die Frage nach einer oft als ‚Gender-Pflicht‘ empfundenen Anspruchshaltung bestimmter Gruppen. Dabei geht es jedoch nicht um das Gendern im Alltag, sondern um die Vorgaben für amtliche Texte. Im Alltag kann jeder Mensch sprechen, wie es ihm recht ist, solange es sich dabei nicht um strafbare Äußerungen handelt (Beleidigung, Volksverhetzung etc.). Darum geht es bei der Frage nach einer empfundenen ‚Gender-Pflicht‘ aber oft nicht. Oft geht es um eine als übersteigert und übergeneralisiert empfundene Anspruchshaltung an die Sprache bestimmter Gruppen. Behörden müssen sich beim Formulieren von Texten stets nach existierenden Vorgaben richten. Allein für Anreden und Anschriften beispielsweise in Briefen und E-Mails gibt es von Seiten des Bundesinnenministeriums bereits seit 1975 einen Ratgeber, der 173 Seiten umfasst und immer wieder überarbeitet und aktualisiert wird (>> hier). Darin sind unzählige Ämter und Personengruppen, teilweise bundeslandspezifisch gelistet, um nachsehen zu können, wie diese korrekt angesprochen oder angeschrieben werden.

Sprachliche Regeln und Pflichten sind also keine Neuheit, aber im Falle des Genderns stellt sich dies laut aktuellen Umfragen für viele Menschen als besonders schwierig dar: Laut oben genannter forsa-Umfrage lehnen 75 % eine solche Pflicht für die öffentliche Verwaltung ab, 22 % befürworten diese. Weniger klar sieht es bezüglich eines ausdrücklichen Verbots einer entsprechenden Sprachverwendung aus: 48 % halten entsprechende Verbotsregelungen für richtig, 46 % halten diese für falsch.

Deutsche Rechtschreibung

Einer der zentralen Streitpunkte rund ums Gendern ist die Frage nach der korrekten deutschen Sprache. Dass sich Sprache in einem ständigen Wandel befindet, wird dabei im Grunde von niemandem ernsthaft bestritten. Betrachtet man deutsche Texte, die ein paar Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alt sind, dann lässt sich eine klare Veränderung der Sprache in vielerlei Hinsicht erkennen. Neue Wörter entstehen und ‚alte‘ verschwinden, Schreibweisen ändern sich, grammatikalische Regeln ändern sich. Personen, die das Gendern auch mit Sonderzeichen befürworten, machen auf diesen Umstand aufmerksam und begründen damit auch eine Abweichung von ‚offiziellen‘ Regeln. Jedoch gibt es zu einem bestimmten Zeitpunkt durchaus sprachliche Normen, wie beispielsweise die aktuelle deutsche Rechtschreibung. Denn Schreibweisen wie Ärzt_innen, Ärtz:innen oder Ärzt*innen sind aus Sicht des Amtlichen Regelwerks des Rats für deutsche Rechtschreibung genau genommen grammatikalisch falsch bzw. ungeklärt. Sind wissenschaftliche Arbeiten, die auf solche Schreibweisen zurückgreifen, demnach voller Rechtschreibfehler? Das ist wohl eine Frage der Perspektive.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung diskutiert das Thema Gender seit geraumer Zeit und ringt nach Lösungen hinsichtlich der Frage der Nutzung von Sonderzeichen zum geschlechtersensiblen Schreiben und Sprechen. BLLV-Ehrenmitglied Ludwig Eckinger ist selbst Mitglied dieses Rats und fasst den aktuellen Stand der Debatte wie folgt zusammen:

"Gendern – oder was?" - Anmerkungen eines Rechtschreibrats, Von Ludwig Eckinger *

Aufgabe des Rats für deutsche Rechtschreibung

Der Rat hat die Aufgabe, die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks (Regeln und Wörterverzeichnis) im unerlässlichen Umfang weiterzuentwickeln. Dazu gehören insbesondere die ständige Beobachtung der Schreibentwicklung, die Klärung von Zweifelsfällen der Rechtschreibung und die Erarbeitung und wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache.

Er ist ein zwischenstaatliches, also internationales Gremium von Expertinnen und Experten. Er wird getragen von der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Österreich, der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und dem Fürstentum Liechtenstein. Luxemburg ist mit beratender Stimme vertreten.

Die Mitglieder des Rats für deutsche Rechtschreibung sind ehrenamtlich tätig. Sie üben Berufe aus, die sie in besonderem Maße für diese Arbeit qualifizieren: Neben fachlich ausgewiesenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind im Rat Sprachpraktikerinnen und Sprachpraktiker aus dem Verlagswesen, der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, aus dem pädagogischen sowie dem journalistischen und schriftstellerischen Bereich vertreten.  (https://www.rechtschreibrat.com/ueber-den-rat/)

Der Rat kommt zu regelmäßigen Sitzungen zusammen, er bildet aus seinen Mitgliedern Arbeitsgruppen, die Vorschläge und Empfehlungen erarbeiten.

Die Arbeitsgruppe „Geschlechtergerechte Schreibung“ hat kürzlich einen Ergebnisvorschlag präsentiert, der zur Anhörung bis Mitte Oktober ausgeschrieben ist. 

Anhörungsverfahren nach der 4. Amtsperiode

Der Rat hat in der zu Ende gehenden Amtsperiode aufgrund der kontinuierlichen Beobachtung der Schreibentwicklung Modifikationen im Amtlichen Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung erarbeitet. Er ist nach seinem von den deutschsprachigen Ländern beschlossenen Statut verpflichtet, zu solchen Vorschlägen vor Übermittlung an die staatlichen Stellen eine Anhörung vorzunehmen.

Die Vorschläge beziehen sich auf eine grundlegende Neuerarbeitung des Amtlichen Wörterverzeichnisses, die daraus folgenden Anpassungen des Regelwerks, eine Neubearbeitung des Kapitels Zeichensetzung zur Systematisierung, Straffung und Vereinfachung der Regeln und der Terminologie sowie die Einfügung eines Abschnitts Sonderzeichen in das Amtliche Regelwerk.

Die lange Zeit umstrittene Rechtschreibreform fand nach heftigem Widerstand zu einem Konsens, der die Debatte um das Für und Wider befriedet hat.

Allerdings hat der Streit um das „Gendern“ der deutschen Sprache zugenommen. Mittlerweile übernehmen auch politische Stellen wie u.a. die Bundesregierung sowie einflussreiche Medien und die Wirtschaft Formen der deutschen Rechtschreibung, die der Gleichstellung der Geschlechter (männlich, weiblich, divers) dienen wollen. Dabei etabliert sich aktuell der Doppelpunkt  - wie in „Lehrer:in“ -  als ein Schriftzeichen, das den gesellschaftspolitischen Anspruch einer geschlechterneutralen Schrift der deutschen Sprache umsetzen soll. 

Vor diesem Hintergrund hat der Rat für deutsche Rechtschreibung in seiner Sitzung am 14.07.23 in Eupen (Belgien) eine Ergänzung des Amtlichen Regelwerks für die deutsche Rechtschreibung beschlossen, die nach öffentlicher Anhörung den staatlichen Stellen zur Zustimmung vorgelegt werden wird:

Sonderzeichen

Als Sonderzeichen gelten typografische Zeichen wie etwa das Paragrafenzeichen (§), das Prozentzeichen (%) oder das kaufmännische Und (&). Diese gehören nicht zu den Satz- oder Wortzeichen und daher auch nicht zur Interpunktion im engeren Sinne. Sie sind durch einen eindeutigen formalen Status, etwa eine vordefinierte Stellung  im Satz, in einer Auflistung u.a. gekennzeichnet (so z.B. §) vor der Paragrafenziffer (§ 2 BGB).  Auch die Verwendung von Sonderzeichen unterliegt Regeln: Typografische Regeln haben z.T. den Status von Konventionen, z.T. sind sie als DIN- oder anderweitige Normen durch das Deutsche Institut für Normung (DIN), die ÖNORMEN oder die Schweizerische Normen-Vereinigung /SNV) festgelegt.

Zunehmend werden bei Personenbezeichnungen orthografische Zeichen wie der Doppelpunkt (:) – allerdings ohne ein folgendes Leerzeichen (Bürger:innen) – oder Sonderzeichen wie Asterisk (*), Unterstrich (_) oder andere Zeichen im Wortinneren verwendet. Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie. Sie sollen eine über die formalsprachliche Funktion hinausgehende metasprachliche Bedeutung zur Kennzeichnung aller Geschlechtsidentitäten – männlich, weiblich, divers –vermitteln: die Schüler:innen, die Kolleg*innen. Sie gehen damit über Verkürzungsformen wie Bürger-/innen, die vom Amtlichen Regelwerk bereits erfasst werden, hinaus.

Die Besonderheit der Wortbinnenzeichen zur Kennzeichnung einer geschlechterübergreifenden Bedeutung liegt darin, dass sie auf die orthografisch korrekte Schreibung von Wörtern unmittelbar einwirken. Diese Eigenschaft teilen sie mit einigen Satz- bzw. Wortzeichen (wortinterne Klammern, Apostroph, Bindestrich, Anführungszeichen), deren wortinterne Verwendung im Amtlichen Regelwerk beschrieben wird. Bei den Sonderzeichen mit Geschlechterbezug soll jedoch eine metasprachliche Bedeutung transportiert werden. Ihre Setzung kann in verschiedenen Fällen zu grammatischen Folgeproblemen führen, die noch nicht geklärt sind, z.B. in syntaktischen Zusammenhängen zur Mehrfachnennung von Artikeln oder Pronomen (der*die Präsident*in).

Die Entwicklung des Gesamtbereichs ist noch nicht abgeschlossen und wird vom Rat für deutsche Rechtschreibung weiter beobachtet werden.

Gendern

Schon in seiner Sitzung am 26.3.21 hat der Rat seine Auffassung bekräftigt, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen. Eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann.

Das Amtliche Regelwerk gilt für Schulen sowie für Verwaltung und Rechtspflege.

Die vom Rat schon am 16.11.18 beschlossenen Kriterien geschlechtersensibler Schreibung sollen

  • sachlich korrekt sein,
  • verständlich und lesbar sein,
  • vorlesbar sein,
  • Rechtssicherheit und Eindeutigkeit gewährleisten,
  • Übertragbar sein im Hinblick auf deutschsprachige Länder mit mehreren Amts- und     Minderheitensprachen,
  • für die Lesenden bzw. Hörenden die Möglichkeit zur Konzentration auf die wesentlichen Sachverhalte und Kerninformationen sicherstellen,
  • das Erlernen der geschriebenen deutschen Sprache nicht erschweren.

* Dr. Ludwig Eckinger vertritt seit 2005 die Spitzenorganisationen DGB und dbb und damit alle Lehrerorganisationen  im Rat für deutsche Rechtschreibung.

"Gendern im Deutschunterricht – Wie gehe ich als Lehrkraft damit um?" – ein Kommentar von Simone Fleischmann

Auf unserer 55. Landesdelegiertenversammlung stimmten die Delegierten mit einer großen Mehrheit dafür, dass der BLLV sich für eine geschlechtersensible Sprache einsetzen soll. Eine klare Position und eine klare Haltung. Sprache soll nicht verletzen und soll alle Menschen einbinden und sichtbar machen, deshalb müssen wir lernen, Sprache auch geschlechtersensibel zu nutzen. Dabei geht es weniger um Verbote oder Vorschriften, sondern vielmehr um Sensibilität und Offenheit im Umgang mit der Sprache und miteinander. Alles schön und gut, aber was heißt das denn jetzt für Frau Müller in der 3a oder 7c im Deutschunterricht? Ist die Verwendung von Sonderzeichen zum Gendern nun richtig oder falsch?

Sensibilität und Offenheit

Wenn ein Kind in einer Haus- oder Schulaufgabe mit Sonderzeichen gendert, dann ist dies zunächst einmal ein wunderbarer Anlass, um über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. Vermutlich gibt es Gründe dafür, dass das Kind so geschrieben oder gesprochen hat. Einen besseren Einstieg kann es ja kaum geben. Eine solche Verwendung der Sprache mit dem Verweis auf das Amtliche Regelwerk ohne weitere Thematisierung einfach als falsch abzutun, würde einer Sensibilität und Offenheit für dieses Thema widersprechen, denn auch der Rat für deutsche Rechtschreibung spricht sich explizit für eine geschlechtersensible Sprache aus und weist darauf hin, dass die Frage der Nutzung der Sonderzeichen noch nicht geklärt ist.

Als Lehrkräfte haben wir die Verantwortung, die Kompetenzen der Kinder nach aktuellem Stand der Wissenschaft und den Vorgaben der Lehrpläne korrekt zu entwickeln. Es ist deshalb wichtig, auf die aktuelle Sachlage hinzuweisen, d.h. den Umstand, dass die Nutzung von Sonderzeichen zum Gendern Auswirkungen auf die deutsche Sprache hat, die aus fachlicher Sicht noch nicht geklärt sind und deshalb von offizieller Seite auch nicht als korrekt gelten. Einen Punktabzug muss das aber nicht bedeuten, dies liegt im pädagogischen Ermessen der Lehrkraft. Genauso bewertete auch kürzlich erst der Bayerische Kultusminister Prof. Dr. Michael Piazolo die Sachlage (>> siehe hier). Demnach sollen entsprechende Textstellen zwar markiert, aber nicht als Rechtschreibfehler gewertet werden.

Beitrag zur Mündigkeit

Die Auswirkungen der Nutzung von Sonderzeichen auf die Sprache können anhand von Beispielen (z.B. die Wörter Ärzt*in oder Pädagog*in) wunderbar in den Unterricht integriert werden. So entwickeln die Kinder ein tieferes Verständnis für die deutsche Sprache und lernen zudem, dass sich diese im Wandel befindet und auch Abweichungen von offiziellen Regeln in manchen Fällen durchaus eine Option sind. Ein wertvoller Beitrag zur Mündigkeit.

Eröffnet man diesen Raum nicht, dann könnte dies geradezu skurril werden, falls das Kind beispielsweise eines Tages studiert oder in einer Organisation tätig ist, in der grundsätzlich mit Sonderzeichen gegendert wird: Was in der Schule falsch war, ist an der Universität oder in der Arbeit plötzlich richtig? Das kann es ja nun auch nicht sein.

Pädagogischen Spielraum nutzen

Es gibt ganz klar einen pädagogischen Spielraum, um sowohl inhaltlich über das Thema ins Gespräch zu kommen als auch hinsichtlich der Beurteilung von Sprache und Texten. Ist der Text ansonsten insgesamt sprachlich und grammatikalisch korrekt, dann zeigt die Verwendung von Sonderzeichen zum Gendern, dass das Kind bereits fähig ist, über die formal betrachtet korrekt gelernte Rechtschreibung hinaus kreativ und bewusst zu formulieren – eine herausragende Leistung.

Gleichzeitig sollte ein Gendern mit Sonderzeichen jedoch nach aktuellem Stand im Unterricht von Seiten der Lehrkraft keinesfalls verpflichtend eingefordert werden. Ein Grund für Punktabzüge ist es aber genauso wenig.

Mehr zum Thema Gender:

Der Junge BLLV zum Thema

Franziska Gramsamer und Alexander Hecht, Vorstände des Jungen BLLV, begrüßen die Darstellung der komplexen Faktenlage und die Diskussion im BLLV, der sich gemäß seiner konstruktiven Sicht auf gesellschaftliches Zusammenleben um eine angemessene Sprache bemüht:

"Wir finden die Einordnung gelungen! Gleichberechtigung geht uns alle an und wir machen es einfach."

 



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