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Mensch versus Maschine - oder Mensch, Nano!

In Shanghai bekam die BLLV-Präsidentin einst einen Vorgeschmack auf die schöne, neue Welt der lernenden Maschinen. In einem bayerischen Ausbildungsbetrieb blickte sie neulich in die Zukunft. Durch eine VR-Brille. Eine Vision, die sie nicht nur begeistert hat.

„Schön, dass du da bist!“ Dazu ein Lächeln, ein Augenzwinkern,eine einladende Geste. So wird jedes einzelne Kind willkommen geheißen. Die Vier- und Fünfjährigen gickeln. Sie hängen ihre Mäntel an die Haken und betreten den Gruppenraum. Nicht eine Erzieherin hat die Kinder bei ihrer Ankunft in der Tagesstätte derart zugewandt begrüßt, sondern der niedliche, weiße Roboter „Nano“.

Erlebt habe ich diese Szene als Referentin auf einer Weiterbildung für Schulleiterinnen und Schulleiter in Shanghai.Noch heute spüre ich meine Beklommenheit angesichts dieser Begegnung von Mensch und Maschine. Ich sagte mir damals, naja, das ist eben China, so etwas wird bei uns in Deutschland nie kommen. Hier bei uns geht es doch um Menschlichkeit, um Erziehung und Bildung nicht nur mit Kopf und Hand. Andererseits: Die Kinder reagierten hoch erfreut.

Ich hätte Nano damals sogar mit an meine Schule in Poing nehmen können: Ein paar Tage später, auf einer Bildungsmesse,stand er zum Verkauf. Ich kam mit den Entwicklern ins Gespräch.Sie schwärmten: Die verarbeitete KI könne die individuelle Gefühlslage eines Kindes noch genauer erfassen als ein Mensch, sie analysieren und passgenau reagieren. Alles eine Frage der Programmierung.

Und jetzt? Ich habe noch nicht gehört, dass bei uns in Bayern Nanos statt Nannys aus Fleisch und Blut Kinder betreuen. Allerdings hatte ich neulich wieder so einen unheimlichen Moment. Beim Besuch in einem Ausbildungsbetrieb sah ich Fertigungsstraßen und Maschinen ganz genau und super plastisch – durch eine VR-Brille. Es war echt beeindruckend. Nur nicht beeindruckend echt. Im anschließenden Gespräch ging es um die Welten, die solche Technologie öffnen kann – oder nicht.

Vor meinem geistigen Auge erschien ein Klassenzimmer mit Kindern drin, die alle solche Brillen aufhaben. Heimat- und Sachkunde. Schwuppdiwupp ist jedes von ihnen im Wald. Sieht Eiche und Buche, Moos und Farn, lauscht dem Kuckuck und dem Kleiber. Vielleicht duftet es sogar nach Laub. Virtuelles Waldbaden. Die Welt nicht mehr in echt erleben, sondern durch die Brille smarter Programmierer – ist das die Zukunft unserer Ausbildung und Bildung? Möglich ist das alles ja schon jetzt. Aber irgendwas in mir sträubt sich.

Durch welche Brille nehmen wir die Welt da wirklich wahr? Klar, als Lehrerin lasse ich sie mir gerne aufsetzen, damit ich aus eigener Anschauung weiß, was ich da im Unterricht vielleicht einmal anwende und wie. Und damit ich aus eigener Erfahrung mit den Schülerinnen und Schülern drüber reden kann, was echt ist und was nicht.

Ich habe aber erlebt, dass meine Kinder damals in Poing auch erfreut waren, als ich sie am Schultor einzeln und persönlich begrüßt habe. Ich. Simone. Nicht ein Grüß-Gott-Automat. Immer wieder mal höre ich, dass sich Kinder und auch Kolleginnen und Kollegen noch heute gerne daran erinnern. Hätte nicht auch ein Nano die Begrüßung übernehmen können? Dann hätte ich schon mal die Statistik ausgefüllt, den Fragebogen fürs Schulamt beantwortet und Akten sortiert. Wäre das dann Zeitgewinn gewesen? Personalgewinn?

Natürlich wollen wir beide Welten, die echte und die virtuelle. Die großen technologischen Entwicklungen sind sowieso nicht mehr aufzuhalten. Bang würde mir nur werden, wenn wir irgendwann den Wald vor lauter virtuellen Bäumen gar nicht mehr sehen würden. Und sollte eines Tages doch auch an unseren Schulpforten ein Nano Winke-Winke machen, dann will ich unbedingt: dass er Nummer zwei bleibt und wir Menschen Nummer eins. Weil: Ein Herz hat der nicht.

Simone Fleischmann, BLLV-Präsidentin

>> Übersicht einzelner Artikel der bayerischen schule #1/2024



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