Allzu häufig werden solche Aktionen nur von einer Hand voll Schüler und wenigen Lehrkräften getragen – Nachhaltigkeit sieht anders aus
Hinter all diesen Initiativen stecken ehrbare Motive. Aber: Allzu häufig werden solche Aktionen nur von einer Hand voll Schüler und wenigen Lehrkräften getragen. In der täglichen Hektik des schulischen Betriebs drohen all diese wunderbaren Projekte unterzugehen. Nachhaltigkeit sieht anders aus.
Zunehmend sollen alle Anliegen, die an Schulen herangetragen werden, durch Aktionen und Projekte erledigt werden. Nach dem Motto: Projekt durchgeführt, Haken gesetzt.
Projektflut bedroht das Tagesgeschäft von Schule
Dies liegt natürlich nicht zuletzt an der Flut von Themen, die täglich aus der Gesellschaft an Schulen delegiert werden. Häufig hört man deshalb in den Lehrerzimmern die Klage, man komme angesichts all der Aktionen und Initiativen gar nicht mehr zum eigentlichen Kerngeschäft. Vor allem die Politik verfährt gern nach dem Motto: „Für jedes Thema eine neue Initiative“. Das gibt gute Presse, schöne Fotos und erweckt bei den Wählern den Eindruck, dass sich etwas tut. Aber wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass damit der Kern von Schule berührt wird.
Kern von Schule ist, was Tag für Tag gelebt wird
Kern von Schule ist, was Tag für Tag gelebt wird, in jeder Klasse, an jeder Schule. Und diesen Kern bildet nach wie vor die Vermittlung fachlicher Inhalte und deren Überprüfung und Zertifizierung in viel zu vielen Tests, da täuschen alle Sonntagsreden nicht darüber hinweg! Entscheidend ist, was in unseren Schulen von Montag in der Früh bis Freitagnachmittag passiert.
Wenn der Kultusminister es also tatsächlich ernst meint mit dem Anspruch, Demokratiepädagogik in das Zentrum des schulischen Bildungsauftrags zu stellen, braucht es einen breiteren und vor allem tieferen Ansatz. Dann reicht es nicht, Broschüren zu drucken, Projekttage zu veranstalten und Plaketten zu vergeben.
Die Online-Plattform für politische Bildung geht hier in die richtige Richtung: Sie unterbreitet Angebote für die konkrete Umsetzung in allen möglichen Bereichen von Schule. Doch das alleine reicht eben noch lange nicht. Wir brauchen andere Strukturen und andere Schwerpunkte, ja wir brauchen eine andere Sicht auf Schule und Unterricht.
Der BLLV hat hierfür sechs Handlungsfelder definiert, in denen Weichenstellungen erfolgen müssen:
I. Aufwertung der Bedeutung des Bildungsziels Demokratie
In einer stark auf das Erlernen und die Reproduktion von Fachinhalten sowie auf die Benotung und Bewertung der Schülerinnen und Schüler ausgerichteten Schule drohen die überfachlichen Lern- und Bildungsziele in den Hintergrund zu geraten. Aber diese müssen erheblich mehr Gewicht im Schulalltag bekommen. Deshalb fordert der BLLV deutlich mehr Zeit für demokratiepädagogische Prozesse! Denn Bildung ist viel mehr als fachliches Wissen!
II. Stärkung der politischen Bildung als Grundlage für das Verstehen komplexer Sachverhalte
Wir brauchen mehr Stunden für die Fächer politischer Bildung in allen Schularten. Es kann nicht sein, dass Bayern hier das Schlusslicht unter allen Bundesländern bildet!
III. Stärkung der politischen Medienkompetenz
Die neuen Medien sind heute zentraler Teil der demokratischen Meinungsbildung. Sie erleichtern gesellschaftliche Partizipation. Andererseits werden durch sie extremistisches und rassistisches Gedankengut und Fake News verbreitet. Deshalb gewinnt die Fähigkeit zur kritischen Bewertung von Inhalten im Netz eine enorme Bedeutung. Digitale Bildung bedeutet eben wesentlich mehr als Programmieren und technische Fähigkeiten!
IV. Mehr Partizipation in einer demokratischen Schule
Gute Schulen sind demokratische Schulen. Deshalb muss auch an jeder einzelnen Schule mehr Demokratie gewagt werden. Dazu braucht zum einen die Einzelschule selbst deutlich mehr Freiheit und Gestaltungsraum. Zum anderen müssen innerhalb der Schule alle Beteiligten - also Lehrer, Eltern und Schüler – mehr Mitbestimmungsrechte bekommen. Sie müssen mit entscheiden können bei allen grundlegenden Fragen der Schulentwicklung und -organisation ebenso wie bei der Auswahl der Leitungskräfte.
V. Demokratischer Unterricht
Demokratie ist mehr als ein Organisationsprinzip staatlicher Institutionen. Sie ist eine Lebensform, die den Umgang miteinander trägt. Deshalb muss in einer demokratischen Schule auch der Unterricht geprägt sein durch die Prinzipien der Demokratie. Natürlich haben Lehrkräfte und Schüler im Unterricht völlig verschiedene Rollen. Lehrkräfte sind Experten für Inhalte und Methoden des Lernens. Vollkommene Gleichheit zwischen ihnen und den Schülern kann es also nicht geben. Aber ihre Beziehung muss geprägt sein von einem Geist des kooperativen Miteinanders, von gegenseitigem Respekt und Anerkennung.
Konkret bedeutet das: Schülerinnen und Schüler müssen über Inhalte und Methoden des Unterrichts mitbestimmen dürfen. Dadurch verliert die Expertenrolle der Lehrkraft nicht an Bedeutung. Im Gegenteil: Sie gewinnt dadurch an Legitimation. Genauso muss auch die Rückmeldekultur auf Austausch und Verständigung gerichtet sein. Dazu gehört die Bereitschaft der Lehrkraft, sich dem kritischen Feedback der Schüler zu stellen und als Chance zur eigenen Weiterentwicklung zu begreifen.
VI. Demokratiepädagogik in der Lehrerbildung
Eine demokratische Schule bedingt einen demokratischen Unterrichtsstil und ein politisches Bewusstsein der unterrichtenden Lehrkräfte. Dies erfordert ein verändertes Lehrerbild, das bereits in der Lehrerbildung grundgelegt werden muss. Dazu muss Lehrerbildung selbst geprägt sein von demokratischem Geist! Demokratie muss an unseren Schulen mehr sein als ein Lerngegenstand unter vielen. Sie muss zur selbstverständlichen Lebensform im alltäglichen Miteinander werden, wirklich den Kern von Schule bilden. Denn eine demokratische Gesellschaft braucht eine Schule der Demokratie!