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Traumschiff Partizipation

Vor Wahlen ist viel die Rede von Demokratie, Teilhabe, Mitwirkung. Für den BLLV sind diese Themen aber schon immer die bestimmenden. Themen, die man nicht mal eben abhakt. Was man aus eigener Initiative bewirken kann, hat die BLLV-Präsidentin früher als Schulleiterin erlebt – und ist jetzt stolz auf einen Nachwuchs im Verband, der vorführt, wie Innovation und Mitwikung zusammengehen.

Sie hatten da so eine Idee. Ein Schiff im Pausenhof wollten sie haben, die Schülerinnen und Schüler. Weit und breit kein Wasser, aber egal. So ein Schiff, gezimmert aus richtigen Holzplanken, das wäre doch toll, um Auf-hoher-See zu spielen. Segel setzen, den Horizont durchs Fernrohr absuchen, verwegene Kommandos rufen, unter Deck gehen, wenn ringsum die Gischt sprüht. Und was sagt man da nun als Schulleiterin? „Na, dann geht mal zum Bauhof und lasst euch eins bauen“?

Natürlich habe ich als Rektorin meiner Grund- und Mittelschule damals gemeinsam mit meinem Kollegium den Wind genutzt, den die Kinder im Rücken hatten. In allen Gremien sind wir mit der Idee aufgefahren. Haben Begeisterung geweckt und natürlich auch skeptische Blicke geerntet. Es erinnerte schon ein bisschen an Saint-Exupéry: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, fange nicht an Holz zu sammeln, Planken zu sägen und die Arbeit zu verteilen, sondern erwecke in der Brust der Männer die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer.“

Aber wenn die Idee überall angekommen ist, geht es halt doch ans konkrete Planen: Konzeption eines neuen Pausenhofs. Ja, aber wie macht man das eigentlich, einen Pausenhof neu gestalten? Und das Schiff erst: Wie groß kann es sein, wie soll es eigentlich ausschauen? Wer kann einen Entwurf zeichnen? Was für Bretter brauchen wir? Wer hat den Hut auf bei Planung und Montage? Und woher bekommen wir die Kohle?

Ich erzähle diese Geschichte nicht zum ersten Mal. Aber wenn ich sie diesmal erzähle, dann, weil alles in ihr drin steckt, was Demokratie und Partizipation betrifft. Also das Thema, das uns nicht nur in den Tagen der Landtagswahl umtreiben sollte. All die Fragen waren ungemein wertvoll für den Prozess, der unser Schulleben prägte. Über Monate hinweg wuchs eine Gemeinschaft parallel zum Schiff. Und nicht wir Lehrerinnen und Lehrer haben die ersten Skizzen angefertigt. Nicht wir sind in den Gemeinderat
gegangen. Nicht wir haben die Gespräche mit Firmen geführt, die uns unterstützen könnten. Nein: Sie haben das selbst in die Hand genommen, die Schülerinnen und Schüler dieser Mittelschule. Und das bis hin zu ihrem Auftritt im Gemeinderat. Und dann wurde ihr
Traumschiff Realität.

Partizipation muss nachhaltig sein, die gesamte Schule durchdringen, ja, das gesamte Schulsystem. Die alte Top-Down-Logik gehört endlich vom Kopf auf die Füße gestellt. Und das betrifft längst nicht nur die Schüler, sondern auch das Kollegium. Daher ein zweites Beispiel. Wir alle kennen die zermürbende Realität stundenlanger Gesamtkonferenzen. Verlesen und Deuten von Kultusministeriellen Schreiben, Vorträge einzelner Kollegen, die sich gerne reden hören, zähe Abstimmungsprozesse. Und Schulleiterinnen, die ihre Power-Point-Präsentationen ablesen, damit ja nix vergessen wird.

Für mein Kollegium von fast 100 Leuten war die Frage: Wie können wir unsere Zeit sinnvoll investieren? Wie lässt sich Schule eigenverantwortlich gestalten? Der Vorschlag hieß: delegierter Verantwortungsprozess. Erfahrungen mit diesem Führungsinstrument hatten die wenigsten. So was war nirgendwo vorgeschrieben, wir hätten es also bleiben lassen können. Aber nein! 16 Arbeitsgruppen fanden sich zusammen. Mit Lehrerinnen und Lehrern, externen Expertinnen und Experten, Schülerinnen und Schülern, Eltern und allen, die zu einem Thema beitragen konnten. Nicht verpflichtend für alle. So wuchs die Lust auf die Gestaltung von Schule. So entstanden immer neue Projekte, kamen themenorientiert immer neue Arbeitsweisen ins Leben. Alle waren sie in ein, zwei, manche gar in mehreren Arbeitsgruppen. Freiwillig!

Und die Schulleitung? Hatte schon den Überblick. Auch sie war im Team organisiert und überall dabei. Gestaltet haben aber diejenigen, für die das alles gedacht war: Die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer. Delegierte Verantwortung, das war allen schnell klar, bedeutet: Partizipation. Mitbestimmung. Selbstwirksamkeit. Lebensfreude. Sicher auch Anstrengung und phasenweise Unsicherheit. Aber so macht Schule Spaß!

Was mich heute als BLLV-Präsidentin glücklich macht: Wir können solche Strukturen auch in unserem Verband leben. Ich habe es mit hochmotivierten Menschen zu tun, die sich für das große Ganze engagieren wollen. Die Bock haben, auf einem Schiff zu segeln und deswegen schauen, wie man eins bauen kann. Ganz besonders freut mich in dieser Hinsicht die junge Generation. Man muss ja nur mal dabei sein, wie die Studierenden auf einem Team-Wochenende arbeiten. Wie motiviert und verantwortungsbewusst sie im Ausland Praktika absolvieren und ihre Erfahrungen in den BLLV tragen.

Sie engagieren sich, weil sie wissen, wie wichtig Bildung ist. Sie machen es, wenn man sie machen lässt. Und wenn sie Gehör finden. Wie cool kam das rüber, als unsere Jungen auf ihrer LDV vor den Augen des Kultusministers das Bildungssystem zum Einsturz brachten und ein neues aufbauten (s. S. 54). Die Studierenden und die Jungen arbeiten innovativ zusammen. Und gleichzeitig erlebe ich sie voller Achtung für das, was die Älteren im BLLV schon an Zukunftsweisendem aufgebaut haben. Wir alle, von den Studierenden bis zu den Pensionisten, halten gemeinsam Kurs auf die Bildung von morgen. Das macht mich stolz. Das macht mir Mut. So kann Demokratie funktionieren.

Artikel aus der bayerischen schule #5/2023



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