Pressefotos Simone Fleischmann 2024
Süddeutsche Zeitung vom 6. Mai 2025 Startseite
Lernentwicklungsgespräch Leistungsdruck Leistungsrückmeldung

"Wie wird Leistung geprüft und was verstehen wir eigentlich unter Leistung?" - Diskussion um Prüfungsformate

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann, warum Stegreifaufgaben Kinder und Jugendliche unnötig unter Druck setzen, warum Druck nicht gleich Leistung ist und was kompetenzorientiertes Lernen bedeutet.

In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erläutern BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann und Manuela Pietraß, Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Medienbildung an der Universität der Bundeswehr München, ihre Position zu Stegreifaufgaben und Prüfungsdruck. Simone Fleischmann fordert die Abschaffung von Exen, Manuela Pietraß findet das Prüfungsformat weiterhin sinnvoll. Aber bei der Frage, welche Formen von Lernen und Leistung den modernen Anforderungen entsprechen, sind sich beide einig. 

Angst vor schlechten Noten

Das Problem mit Stegreifaufgaben ist vor allem, dass diese häufig unangekündigt stattfinden. „Die eigentliche Frage dahinter ist doch, wie wird Leistung geprüft und was verstehen wir eigentlich unter Leistung? Wann ist ein Mensch am besten in der Lage, gute Leistungen zu bringen?", so BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Dabei bezieht sie sich auf das gesellschaftlich verbreitete Verständnis Man muss halt auch mal auf die Nase fallen und mal weinen, dann ist man motivierter – Leistung muss eben auch mal wehtun“. Aber es gibt Kinder, die in solchen Momenten niemanden haben, der für sie da ist und sie unterstützt. „Meinen Sie wirklich, dass sich dieses Kind ohne Unterstützung durch diese schlechte Note selbst motivieren kann? Wir wollen uns als BLLV auch um diese Kinder kümmern, die keine Lobby haben", erklärt Fleischmann in der SZ. Auch wenn einige bayerische Gymnasien bereits beschlossen haben, auf Exen zu verzichten, sei in Sachen Bildungsgerechtigkeit kein Land so schlecht aufgestellt wie Bayern. 

Es gibt viel mehr als nur “Exen” und Schulaufgaben

Ähnlich sieht das auch Manuela Pietraß. Sie beschreibt, dass benachteiligte Ausgangspositionen bei Kindern ein Problem darstellen und Lehrerinnen und Lehrer überfordert seien, dies aufzufangen. Hinsichtlich der Abschaffung von Exen sagt sie allerdings: Wenn wir die Prüfungsformate entdifferenzieren, dann erreichen wir vielleicht, dass die Kinder keine Angst mehr vor Exen haben, aber dafür werden ja andere Prüfungsformate in ihrer Bedeutung aufgeladen. Dadurch, dass wir ein Prüfungsformat abschaffen, bekommen wir nicht die Angst aus den Schulen und auch nicht die Benachteiligung.“

Dass es allerdings auch vielfältige Prüfungsformate jenseits klassischer Stegreifaufgaben und Schulaufgaben gibt, die Kinder und Jugendliche in die Verantwortung nehmen, einen umfassenden Eindruck der Leistungen der Kinder vermitteln und Möglichkeiten zu selbstbestimmtem Lernen schaffen, wird aus Sicht des BLLV oft zu wenig berücksichtigt oder ist auch oft noch zu wenig bekannt. Und diese Formate zeigen messbare Erfolge, wie vor allem die Schulen des Deutschen Schulpreises aber auch viele andere immer wieder beweisen.


Vielfältige Prüfungsmöglichkeiten und Transparenz als Schlüssel zum Erfolg

Deshalb spricht sich Simone Fleischmann in der SZ auch für unterschiedliche Prüfungsformen und vielfältiges Leistungsfeedback aus, „weil Kinder auf unterschiedlichen Wegen unterschiedlich gut sind" und unterschiedliche Kompetenzen haben – manche Schülerinnen und Schüler können frei sprechen, andere gut Lernen oder kreativ sein. Dabei vertritt sie allerdings die Meinung, dass die Vorbereitung entscheidend ist. 

Vor allem Kinder seien leistungsfähiger und können Aufgaben besser erfüllen, wenn sie sich gut vorbereiten können. Im Interview sagt Fleischmann der SZ gegenüber: „Ein Schlüssel zum Erfolg ist Transparenz über das, was ich von Schülerinnen und Schülern erwarte. Das heißt, ich sage als Lehrerin klar, was ich erwarte, und daran richte ich dann mein Feedback aus. Da plädiere ich übrigens auch für Vielfalt – Noten alleine machen uns nicht glücklich. […] Leistung zu erbringen ist enorm wichtig für uns als BLLV. Aber dass ein Lehrer ein Kind „erwischen“ will mit einer Ex, um es in irgendeiner Weise herunterregulieren zu können, das möchte ich in keiner Schule mehr."

Kompetenzorientiertes Lernen

Im Gegensatz zum “bulimischen Lernen”, also dem schnellen Aneignen von Wissen und dem schnellen wieder Vergessen, fordern Simone Fleischmann und der BLLV eine Orientierung an einem modernen Lern- und Leistungsbegriff: dem kompetenzorientierten Lernen, das so auch in allen Lehrplänen verankert ist. Ziel sei es, dass Kinder nicht nur auswendig gelernte Inhalte abrufen, sondern mit dem, was sie wissen, auch kompetent umgehen. Dabei sind unter anderem folgende Aspekte zu berücksichtigen: „Wie stelle ich die richtige Frage? Wie kann ich das Gelernte zueinander bringen”, so die BLLV-Präsidentin. Dies umzusetzen, ist schließlich auch Aufgabe der Schulleitungen sowie der Lehrerinnen und Lehrer. „Wir sind dafür verantwortlich, dass in den Leistungserhebungen die unterschiedlichen Niveaus eingehalten werden müssen, Reproduktion, Reorganisation und Transfer. […] Wenn die Stufen eingehalten sind, ist es eine gute Schulaufgabe. Da steckt einiges an Didaktik dahinter."

Ein weitere Maßnahme hin zu modernem Lernen und Leistungsfeedback sind beispielsweise Lernentwicklungsgespräche im Dialog mit Eltern und Kindern, wie es sie an Grundschulen gibt – ein Format zur Rückmeldung von Leistungen, Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung. „Ich glaube, wir sind da gerade auf der Strecke. Das Format wird sehr gut angenommen. Viele Kolleginnen und Kollegen entscheiden sich genau dazu: Wie melden wir Leistung zurück? Wie fragen wir ein Kind, wie es sich einschätzt? Wie schätzen Eltern und Lehrkräfte das Kind ein? Dann versuchen sie Schwächen und Stärken so zu beschreiben, dass das Kind weiß, wo eine Weiterentwicklung gefragt ist. Das ist ein sehr elaborierter Begriff von Lernen und Leistungsfeedback”, betont Simone Fleischmann.