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Akzente - 2/2020 Themen

Wir sind es leid

Durch jahrelanges Leugnen der Symptome haben die Verantwortlichen in Verwaltung und Regierung die Krise heraufbeschworen, die jetzt Lehrerinnen und Lehrer lösen sollen. Politischer Kommentar von Simone Fleischmann.

Der damalige BLLV-Präsident Klaus Wenzel forderte 2011 ein Notprogramm für Bayerns Schulen. Er schrieb: „Mit Beginn des Unterrichtsjahres 2011/2012 werden wir eine ganz, ganzschwierige Unterrichtssituation haben. Besonders an den Grundschulen erwarten wir Engpässe. Insgesamt sind sogar mindestens 20.000 neue Lehrer nötig, wenn man die Ziele von Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU), wie etwa den Ausbau der Ganztagsschulen oder die Verringerung von Unterrichtsausfällen, erreichen will.“

Die Reaktion aus dem Kultusministerium und der damaligen Regierungspartei war Häme, Spott und scharfe Kritik. Die Notlage, in der wir uns jetzt befinden, zeichnet sich seit Jahren ab. Sie ist nicht über uns gekommen wie ein unabwendbares Schicksal. Blind und ignorant, wer sie nichtsehen wollte. Die Anforderungen und Erwartungen an Schule sind schon in den 80er Jahren stark gestiegen, seitdem wird personell auf Kante genäht. Es kann nicht sein, dass wir Lehrerinnen und Lehrer das ausbaden.

Über Jahre taub gestellt

Als ich am 7. Januar das volle Notprogramm des Kultusministeriums las, wurde ich wütend. Weil man sich in Politik und Kultusverwaltung über Jahre taub gestellt hat. Weil man die ganz offensichtlichen Anzeichen für die jetzige Misere schlichtweg geleugnet und alles schön geredet hat. Weil man am Salvatorplatz und im Maximilianeum nicht die Realität wahrhaben will, sondern sie überheblich und selbstgefällig leugnet. Wütend wurde ich auch, weil diese Art von Politik das Vertrauen in Staat und Demokratie nachhaltig beschädigt, denn wer kann noch einer Verwaltung und einer Politik trauen, die durch beharrliches Wegsehen die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel setzt?

Und weil wir die dringend nötigen pädagogischen Verbesserungen von Inklusion über Ganztag bis hin zur individuellen Förderung bis auf Weiteres ad acta legen müssen – vielleicht sogar für Jahre. Wir Lehrerinnen und Lehrer sollen die Suppe auslöffeln, in einer Situation, die so verfahren ist, dass es keine schnellen Lösungen gibt. Besonders schmerzt es zu sehen, wie die vielen engagiertenälteren Kolleginnen und Kollegen angesichts der Anhebungder Antragsaltersgrenze und der Streichung der Teilzeitmöglichkeiten buchstäblich verzweifeln.

Wir fahren ein Notprogramm

Es herrscht Notstand an Bayerns Schulen und er wird noch schlimmer werden. Wir fahren ein Notprogramm in einer Zeit, in der die Schule und ihre Lehrerinnen und Lehrer alles tun müssen, um die Grundlagen dieser Gesellschaft zu sichern. Wie soll das gut gehen? Wir haben geredet und geredet. Wir haben gewarnt und gewarnt. Wir haben gerackert und gerackert. Und Politik und Verwaltung haben es ignoriert. Und jetzt? Wir zeigen unsere Wut in vielfältiger Form. Das werden wir auch weiterhin tun. Und dennoch: Diese Wut kann nicht das letzte Wort sein.

Nicht nur wir Lehrerinnen und Lehrer sind an unsere Belastungsgrenzen gekommen. Das gesamte System Schule steckt in einer tiefen Krise: Facharbeitermangel, Akademisierung, Digitalisierung, Persönlichkeitsprobleme von immer mehr Kindern – das sind ein paar der Themen, mit denen wir uns dringend auseinandersetzen müssen. Ich warne davor, wieder alles schön zu reden und nichts zu tun. Wann, wenn nicht jetzt, sollte man eine wirklich langfristige Planung auf den Weg bringen? Das tut man, indem man Lehrerberuf und Lehrerausbildung attraktiver macht. Bildung ist von zentraler Bedeutung in einer unsicher gewordenen Gesellschaft, gerade deshalb brauchen wir ein pädagogisches Verständnis von Schule. Wir Lehrerinnen und Lehrer im BLLV werden nicht aufhören, dies einzufordern. // Simone Fleischmann

Artikel aus der bayerischen schule #2 2020

Weitere Informationen

BLLV-Kampagne: Zeit für Bildung



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