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Was soll Schule eigentlich leisten? Jetzt? BR, RND, SAT.1 und SZ zum Thema "Demokratiepädagogik" Startseite Topmeldung
Politische Bildung Medienkompetenz

"Zu medienkritischen, toleranten Demokraten erziehen"

Dass eine Viertelstunde nicht reicht, um politische Bildung zu fördern ist klar - vor allem den Lehrkräften. Um demokratische Werte an Schulen zu leben, plädiert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann für eine größere Vision von Schule, weg vom Auswendiglernen.

Dass der Begriff "Verfassungviertelstunde" viele Fragezeichen aufwirft, sieht BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann an den zahlreichen Medienanfragen, die sie zuletzt erreichten. Im Interview mit SAT.1 Bayern erklärt Fleischmann die Skepsis der Lehrkräfte: „Hier ist etwas im Ansatz gut erkannt, aber es braucht insgesamt deutlich mehr politische Bildung in den Lehrplänen und Stundentafeln, denn dabei ist Bayern ziemlich hinten dran“. Entscheidend beim Thema poltischen Bildung sei, Stellen mit professionellen Pädagoginnen und Pädagogen zu besetzen, das gilt besonders auch für einen Bereich der politschen Bildung, den der Koalitionsvertrag mit der sogenannten „Verfassungsviertelstunde“ abzudecken versucht. Sensible Pädagogik brauche keine Stoppuhr. Strenge Formate seien daher eher kontraproduktiv.

Bildung viel größer denken

Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, fordert Simone Fleischmann mehr Zeit für aktuelle Themen im Unterricht. Denn politsche Bildung und Demokratiepädagogik brauche in Zeiten von Nahost-Konflikt, Bombendrohungen und Lehrkräftemangel mehr Freiheiten in der Unterrichtsgestaltung. "Schule ist ein Spiegel der Welt und Krisen und Konflikte kommen auch in den Klassenzimmer an" so Fleischmann zur aktuellen Lage an den Schulen.

Die Süddeutsche Zeitung stellte in einem Artikel "Wie mehr Demokratie in die Schulen kommt" vom 14. November die Frage, welche Fächer gekürzt werden, wenn die politsche Bildung mehr Raum bekommen solle. Die BLLV-Präsidentin sieht in der Skepsis gegenüber der "Verfassungsviertelstunde" ein viel grundsätzlicheres Thema: "Wir müssen Schule größer denken, weg vom Auswendiglernen und hin zu gelebter Demokratie." Wie das geht, wissen Lehrerinnen und Lehrer: Professionelle Wertebildung bedeutet, die Themen, die ohnehin im Klassenzimmer präsent sind, sensibel pädagogisch zu begleiten, sagt Simone Fleischmann im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Es liegt doch auf der Hand, dass wir Lehrkräfte die großen gesellschaftlichen Spaltungen, die Radikalisierung und den Antisemitismus in die Mitte des Unterrichts stellen. Das tun wir so oder so – egal, ob mit Verfassungsviertelstunde oder nicht.“

Kultusministerium: "Verfassungsviertelstunde soll nicht zu Lasten anderer Fächer gehen"

Im Detail sind in der Umsetzung der angekündigten Verfassungsviertelstunde noch viele Fragen offen und wird daher noch einige Zeit auf sich warten lassen. "Das Konzept soll im Verlauf des Schuljahres 2023/2024 erarbeitet werden", teilte ein Sprecher des Kultusministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit. Eine Erprobung werde ab dem Schuljahr 2024/2025 angestrebt. Eines stellte das Kultusministerium aber im Gespräch mit der dpa bereits klar: Eine Verkürzung des übrigen Unterrichts werde es nicht geben. Die konkrete Ausgestaltung erfolge gemeinsam mit den Vertretern von Schulen und Verbänden.

Befürchtungen, dass die Verfassungsviertelstunde im Alltag etwa wegen Lehrkräftemangels häufig ausfallen werde, teilt das Ministerium nicht. Die Umsetzung solle laut dpa "nicht an einige wenige 'Spezialisten' delegiert werden", sagte der Ministeriumssprecher. Ziel sei vielmehr, dass Lehrkräfte aller Fächer im Rahmen ihres Unterrichts die verschiedenen Verfassungswerte thematisierten. "Bei einem offenen, flexiblen Konzept kann die Verfassungsviertelstunde auch dann umgesetzt werden, wenn eine Lehrkraft wegen Erkrankung ausfällt."

Verfassungsviertelstunde soll kein Fremdkörper im Schulalltag sein

Ziel sei auch keine Verkürzung von Unterrichtsstunden, "sondern eine harmonische und flexible Einbettung" in das Fächerspektrum der einzelnen Schularten, hieß es weiter. "Die gültigen Lehrpläne bieten in zahlreichen Fächern die Gelegenheit, entsprechend der verankerten fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungsziele regelmäßig auf Grund- und Menschenrechte und die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzugehen und hierbei einzelne Verfassungswerte besonders herauszugreifen", sagte der Sprecher.

Werte wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Achtung der Menschenrechte und Kinderrechte, die Glaubens- und Gewissensfreiheit oder der Schutz von Minderheiten, Meinungs- und Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit könnten etwa in den Fächern Religion, Deutsch, den Fremdsprachen oder in den Leitfächern der Politischen Bildung wie Geschichte, Geografie, Wirtschaft und Recht sowie Politik und Gesellschaft aufgegriffen werden. Die Schülerinnen und Schüler sollten die Verfassungsviertelstunde nicht als Fremdkörper im Schultag erleben, sondern als spannende, schlaglichtartige Schwerpunktsetzung mit vielen aktuellen Bezügen.

Verfassungsviertelstunde bleibt in den Medien

Im Bericht vom 24. November "Verfassungsviertelstunde an Schulen: Was in Bayern geplant ist" greift der Bayerische Rundfunk das Thema erneut auf. Es wird über konkretere Pläne zur Umsetzung gesprochen. Details, wie so eine Verfassungsviertelstunde konkret aussehen soll, gibt es laut Kultusministerin noch nicht. Sie arbeite an der Ausgestaltung und sprach von einem "flexiblen, lebendigen und alltagsnahen Konzept. Dieses wolle sie laut BR in den kommenden Monaten mit Eltern, Lehrern, Schulleitungen und Verbänden ausarbeiten.

Zukunftsfähige Bildung braucht ganzheitliche Vision von Schule

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann sieht in der Debatte um die Verfassungsviertelstunde ganz klar, dass man längerfristig nicht darum herum kommen werde, sich tiefgreifendere Gedanken zu machen, wie Demokratie an Schulen gelebt und erlebt werden kann. Dazu gehöre auch ganz zentral, Schülerinnen und Schülern Medienkompetenz zu vermitteln. Was sind Fake News und wieso sagt der oder die Schülerin das jetzt? Einen guten Ansatz sieht die BLLV-Präsidentin in der White-Paper-Diskussion, die in Nordrhein-Westfalen angestoßen wurde. Dort habe man gute Erfahrungen gemacht und interessante Wege besprochen, wie Demokratie an Schulen gelebt werden soll.

Denn wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche fit zu machen für eine immer komplexer werdende Welt, die sie selbstbestimmt, verantwortlich und werteorientiert gestalten können sollen, dann ist es mit einer Verfassungsviertelstunde eben nicht getan: „Wenn man an die Schule von morgen denkt, kann man das nicht in einem Begriff beantworten“, kritisiert die BLLV-Präsidentin. Stattdessen braucht es Schulkonzepte auf der Höhe der erziehungswissenschaftlichen Forschung, stellt Simone Fleischmann klar: „Neben den Basiskompetenzen – lesen, rechnen, schreiben – brauchen wir Zukunftskompetenzen. Für mich sind das: Agilität, Resilienz, Umgang mit Krisen, Kreativität und Kommunikationsfähigkeit.“
 

Medienberichte

Aussagen von BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Gespräch mit der taz:


Zur Frage des angekündigten 15-Minuten Formats:

"Wir wollen ja auch, dass was in der Schule passiert. Wir müssen doch endlich mal Veränderungen zulassen. Wir brauchen aber keine starren 15 Minuten. Da stehen jetzt halt mal 15 Minuten auf dem Papier. Jetzt gilt es, das klug umzusetzen. Wie das dann genau ausgestaltet wird, wird sich zeigen."

Zum Auftrag von Schule:

Fleischmann regt an, die gesamte Gesellschaft solle die Frage, was Schule genau leisten soll, gemeinsam neu denken. Das sei die Voraussetzung, um auch Demokratiebildung vernünftig umsetzen zu können:

„Was soll dieses System Schule leisten? Was ist denn eigentlich der Auftrag von Schule?“

Die Bedingungen dafür seien aktuell günstig, sagt Fleichmann der taz. Schließlich gebe es eine neue Kultusministerin mit Gestaltungswillen.

In diesem Zusammenhang seien dann auch die Lehrpläne zu hinterfragen. Die taz fasst das wie folgt zusammen:

"Zunächst müsse man den Lehrplan entschlacken. Der sei aktuell definitiv zu voll. Sei das Wissenspensum, das die Lehrkräfte durchzupauken hätten, erst mal reduziert, gebe es auch mehr Freiraum für neue partizipative Unterrichtsformate, für politische Bildung. Vielleicht ja sogar mehr als eine Viertelstunde."
 




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