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Stellenwert der Bildung erkannt – jetzt professionelle Umsetzung vor Ort ermöglichen!

Dass Bildung im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählen als zweiter von 22 Punkten genannt ist, begrüßt der BLLV. Damit sie gelingt, braucht es mehr Profis vor Ort sowie Vertrauen in pädagogische Expertise, betont Präsidentin Fleischmann.

Auf 90 Seiten haben CSU und Freie Wähler im neuen Koalitionsvertrag die politische Agenda der kommenden fünf Jahre festgeschrieben. „Wir sind froh, dass die Bildung ziemliche vorne dran steht“, analysiert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann das Papier in den BR24 Fernsehnachrichten. „22 Punkte gibt es, Punkt zwei davon ist Bildung und die Schule – das begrüßen wir“, kommentiert Fleischmann weiter.

Auch die versprochenen 9.000 neuen Stellen im Bildungsbereich sieht die BLLV-Präsidentin zunächst positiv: „Stellen sind wunderbar, das ist vorhandenes Geld. Wir sagen daher danke für alle Stellen, denn das ist ein Bekenntnis, dass Bildung eben Geld kostet“, so Simone Fleischmann im Tagesgespräch auf ARD alpha. Sie kündigte aber auch an, dass der BLLV genau hinschaut, was aus den Stellen dann konkret wird: „Stellen heißt Geld und nicht Köpfe. Wenn die Menschen dazu nicht zu finden sind, müssen wir sehr kritisch reflektieren, was uns die Stellen dann bringen“, warnt Fleischmann und stellt klar: „Wir lassen uns nicht mehr blenden!“

Zahlenspiele sollen heile Welt suggerieren

Die Erfahrung zeigt nämlich, dass Stellen im Zweifel auch mit nicht voll pädagogisch ausgebildetem Personal besetzt werden – und das geht zu Lasten der Bildungsqualität, für die sich der BLLV stark macht. „Wer kommt denn dann auf die Stelle, welche Menschen sind es, die jetzt dann Schule machen?“, fragt Fleischmann auf Bayern 2 und stellt klar: „Je weiter der Lehrermangel vor allem im Bereich der Mittelschulen fortschreitet, desto kritischer müssen wir hingucken: Wer besetzt die Stelle? Wie viele Profis gibt es?“

Dabei geht es auch darum, die Öffentlichkeit ehrlich zu informieren, mahnt die BLLV-Präsidentin. „Bei 9.000 Stellen denkt die Bevölkerung, dass wir gleich morgen wieder die nötige Förderung und Differenzierung anbieten können und auch wieder eine schöne AG – das ist aber nicht so, denn wir stecken mitten im Lehrermangel“, betont Fleischmann im Gespräch mit SAT1 Bayern.

Profis können auch mit Krieg und Bombendrohungen im Unterricht umgehen

Wie wichtig es ist, Stellen mit professionellen Pädagoginnen und Pädagogen zu besetzen, gilt besonders auch für einen Bereich der Bildung, den der Koalitionsvertrag mit der sogenannten „Verfassungsviertelstunde“ abzudecken versucht. „Hier ist etwas im Ansatz gut erkannt, aber es braucht insgesamt deutlich mehr politische Bildung in den Lehrplänen und Stundentafeln, denn dabei ist Bayern ziemlich hinten dran“, stellt die BLLV-Präsidentin gegenüber SAT1 Bayern dazu klar.

Allerdings sei der praktische Schulalltag ohnehin schon weiter als die neue Vorgabe: „Wir haben Bombendrohungen, Kinder kriegen mit, es ist Krieg auf der Welt, sie sind in Ängsten und zuhause wird irgendetwas erzählt, wer schuld sein soll an dem Krieg – wir haben gerade eine enorme Dynamik in den Klassenzimmern“, schildert Simone Fleischmann. „Natürlich gegen wir als Lehrerinnen und Lehrer jetzt schon auf diese Ängste ein“, so die BLLV-Präsidentin. „Wenn die Kinder morgens voller Angst in die Schule kommen, weil an der Nachbarschule eine Bombendrohung war, dann kann ich nicht auf Statistiken schauen, nach denen ich jetzt Proben halten muss – dann muss ich mich freimachen für das, was die Schülerinnen und Schüler brauchen“, beschreibt Fleischmann den Schulalltag.

Sensible Pädagogik braucht keine Stoppuhr

Strenge Formate seien dafür eher kontraproduktiv: „Dazu brauchen wir keine Maßvorgabe, also eine Viertelstunde, und wenn die vorbei ist, darfst du als Lehrkraft nicht mehr weiterreden – das geht nicht“, stellt Fleischmann auf SAT1 klar. „Profis können das: Sie wissen, was die Kinder brauchen, um die Verfassung zu verstehen und demokratische Werte zu leben“. Umso wichtiger sei es eben genau für solche Bildungsziele, neu geschaffene Stellen im Sinne ganzheitlicher Bildungsqualität mit gut ausgebildeten Expertinnen und Experten zu besetzen.

Das gilt genauso auch für Fragen der politischen Bildung über akute Kriegs- und Krisensituationen hinaus: „Wenn die Demokratie in Verruf gerät, weil die Ränder stärker werden, wenn wir spüren, dass ein Rechtsruck in der Gesellschaft passiert ist, dann wissen wir ganz genau, was wir mit den Kindern zu diskutieren haben“, betont die BLLV-Präsidentin gegenüber ARD alpha. Professionelle Wertebildung bedeute, die Themen, die ohnehin im Klassenzimmer präsent sind, sensibel pädagogisch zu begleiten, sagt Fleischmann im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Es liegt doch auf der Hand, dass wir Lehrkräfte die großen gesellschaftlichen Spaltungen, die Radikalisierung und den Antisemitismus in die Mitte des Unterrichts stellen. Das tun wir so oder so – egal, ob mit Verfassungsviertelstunde oder nicht.“

Satire zur "Verfassungsviertelstunde"

Schwerpunkt Bildung, aber Personal vom Kultusministerium abziehen?

Die öffentliche Kontroverse über diesen Punkt des Koalitionsvertrag kann Fleischmann daher nur bedingt nachvollziehen: "Bitte keine zu große Aufregung, es ist ja nicht so, dass jetzt die ganze Stundentafel umgeworfen werden muss", sagt die BLLV-Präsidentin der Süddeutschen Zeitung, die über teils harsche Kritik berichtet. Sie sieht einen absolut positiven Effekt: "Es wird damit über den Wert der Schulen für die Gesellschaft diskutiert und darüber, was die Demokratie uns allen als Hausaufgabe mitgibt."

Die Anerkennung des gesellschaftlichen Werts von Bildung und Schule, die der Koalitionsvertrag postuliert, wird aus Sicht der BLLV-Präsidentin allerdings dadurch konterkariert, dass das Kultusministerium in Zukunft ohne eine Staatssekretärsstelle auskommen muss. Denn ein Ergebnis der Verhandlungen um Ministerien und Ämter zwischen CSU und Freien Wählern ist, dass Letzteren zwar ein Ministerium mehr, aber ein Staatssekretärsposten weniger zukommt. Die bisherige Kultusstaatssekretärin Anna Stolz folgt als Ministerin auf  Prof. Dr. Michael Piazolo, ist dann aber auf sich allein gestellt. „Wenn das Ministerium geschwächt wird, indem ein Staatssekretär abgezogen wird oder eine Staatssekretärin, dann muss man beobachten, was das bedeutet“, analysiert Simone Fleischmann und warnt: „Wir sind mitten im Lehrermangel unterwegs. Wir sind auf der Strecke zur Ganztagsgarantie nicht gut ausgestattet. Wir müssen dringend gucken, wie wir die gleichwertige Besoldung aller Lehrkräfte mit A13 schneller durchbringen. Es gibt viel zu tun. Wenn sie das jetzt alleine erledigen soll, sehen wir das sehr kritisch“, sagt die BLLV-Präsidentin auf ARD alpha.

Zukunftsfähige Bildung braucht ganzheitliche Vision von Schule

Zudem sich Ministerpräsident Dr. Markus Söder auf der Landesdelegiertenversammlung, dem höchsten Beschlussgremium des BLLV, nicht nur als Problemlöser, sondern auch als Visionär in Sachen Bildung inszeniert hatte. Davon ist aus Sicht des BLLV im Koalitionsvertrag aber nicht viel zu spüren: „Mir fehlt die große Vision“, sagt Simone Fleischmann. „Ministerpräsident Söder hat auf einer Veranstaltung von uns öffentlich gesagt , dass er gerne Schule neu denken wollen würde. Wir würden es jetzt gerne nicht nur neu denken, sondern auch in die Handlung umsetzen. Im Koalitionsvertrag sind viele Bausteine drin, die wir begrüßen, es sind Dinge drin, die wir schon kennen, es gibt ein paar Aufreger – aber die große Vision ist nicht drin.“

Denn wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche fit zu machen für eine immer komplexer werdende Welt, die sie selbstbestimmt, verantwortlich und werteorientiert gestalten können sollen, dann ist es mit einer Verfassungsviertelstunde eben nicht getan: „Wenn man an die Schule von morgen denkt, kann man das nicht in einem Begriff beantworten“, kritisiert die BLLV-Präsidentin. Stattdessen braucht es Schulkonzepte auf der Höhe der erziehungswissenschaftlichen Forschung, stellt Simone Fleischmann klar: „Neben den Basiskompetenzen – lesen, rechnen, schreiben – brauchen wir Zukunftskompetenzen. Für mich sind das: Agilität, Resilienz, Umgang mit Krisen, Kreativität und Kommunikationsfähigkeit.“
 

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