
Die Grundschulen stark machen
In der Grundschule werden die lebenslangen Lernbiografien zugrunde gelegt. Denn, wer als Kind erfolgreich lernt, wird dies auch als Erwachsener tun. Erfolg motiviert und schafft Selbstvertrauen. Beides sind unabdingbar Voraussetzungen für spätere persönliche Entfaltung und herausragende berufliche Leistungen. Weil die Kleinen ganz GROSS werden sollen, müssen wir die Grundschule ganz stark machen, so der Titel einer Kampagne des BLLV.
Neue Erkenntnisse verlangen konsequentes Handeln
Die Neugestaltung der Schule im 21. Jahrhundert muss auf die Erkenntnisse der Entwicklungs-psychologie aufbauen. Entwicklungspsychologie und Hirnforschung haben bestätigt: Kindliches Lernen ist weniger eine Frage von genetisch festgelegter Begabungen, wie man im 19. und 20. Jahrhundert noch glaubte. Erfolgreiches Lernen ist vielmehr eine Frage der Anregung und der Förderung - und zwar so früh wie möglich.
In der modernen Gesellschaft ist wie niemals zuvor in der Geschichte lebenslanges Lernen, Flexibilität und Kreativität in der individuellen Lebens- und Berufsplanung notwendig. Deshalb muss auch schulisches Lernen neu gedacht werden.
Welche Erkenntnisse der modernen Entwicklungspsychologie müssen wir beachten, wenn wir heute über Grundschule sprechen?
1. Anregende kindliche Lernerfahrungen in Kindergarten und Grundschule bilden die kognitive und emotionale Voraussetzung für die Fähigkeit, auch als Jugendlicher und später als Erwachsener erfolgreich zu lernen.
2. Motivation und positive Verstärkung in der Kindheit sind weit bessere Lernstimulanzen für kreatives, lebenslanges Lernen als Versagensangst und Leistungsdruck. Dabei spielt ein positives Selbstkonzept mit Selbstvertrauen eine zentrale Rolle.
3. Erfolgreiches Lernen steht in engem Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Beziehung des Kindes zu Eltern, Lehrern und zur Peer-group ist häufig mitentscheidend für Lernmotivation und Lernerfolg. Deshalb fußt erfolgreiches Lernen immer auf gelungener Beziehsungsarbeit.
4. Kinder lernen in "leistungsheterogenen" Gruppen mit unterschiedlichen Leistungsprofilen in der Regel besser als in leistungshomogenen Gruppen.
5. Handlungsorientiertes, aktives und vernetztes Lernen ist nachhaltiger als kurzfristige Wissensaneignung, wie sie durch die derzeitige Prüfungspraxis gefördert wird.
Die wichtigste aller Schularten
Die Grundschule ist die wichtigste aller Schularten, weil in ihr die Grundlage für die gesamte Lernbiografie des Einzelnen gelegt wird. Anregende und verstärkende Lernerfahrungen werden Lernbereitschaft und Leistungswille der Kinder langfristig fördern. Frustrierende und bedrohende Lernerfahrungen werden die natürliche Neugier und Kreativität der Kinder zerstören und ihre Lernbiografien negativ beeinflussen - manchmal ein ganzes Leben lang.
Die Grundschule schafft die Basiskompetenzen, auf denen die weiterführenden Schulen aufbauen. Weil in der Grundschule die Kinder in der Entwicklung ihrer kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten von den Lehrerinnen und Lehrern systematisch und konsequent begleitet werden müssen, muss die Bildungspolitik die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie konsequent in den Ausbau der Grundschule einbringen.
Angesichts dieser Tatsachen ist es alarmierend, dass einige Stimmen die Arbeit der Grundschullehrerinnen und -lehrer als Halbtagsjob ohne nennenswerte fachliche Kompetenzen abqualifizieren. Wer die Arbeit in der Grundschule als "nicht so wichtig" bezeichnet oder gar als "Kuschelpädagogik" diskreditiert, vergeht sich an der Zukunft unserer Kinder.

Abschied vom pädagogischen Paradies
In der Grundschule müssen die Pädagogen das Kind in seiner Gesamtheit fördern, nicht nur seine kognitiven Fähigkeiten. Dabei haben Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer das Ziel, jedes Kind individuell zu fördern, selbstverantwortliches Lernen und Entdecken in einer anregenden Lernumgebung anzubahnen und gleichzeitig Lernprozesse in Gruppe und Klassenverband zu moderieren. Profunde diagnostische und analytische Kompetenzen, methodisches und didaktisches Know-How sowie eine große Bandbreite psychologischen Wissens sind dazu erforderlich. Allerdings ist dies in vielen Fällen nicht möglich.
Die Realität in der Grundschule sieht anders aus:
1. Die Politik legt den Einschulungszeitpunkt sukzessive nach vorne. Methoden, Didaktik und Inhalte der Grundschule sind aber nicht auf die immer frühere Einschulung eingestellt. Da der Übertritt an weiterführende Schulen nach der 4. Jahrgangsstufe stattfindet, werden die Kinder, die auf das Gymnasium wechseln, immer jünger – inzwischen sind 9-jährige kein Einzelfall mehr. Die Übertrittsvoraussetzungen und die Lerninhalte sind jedoch geblieben. Und der Druck im G8 auf die unter 10-jährigen ist enorm.
2. Die Heterogenität der Grundschulklassen nimmt zu. Inzwischen haben 30 % der Schüler in Deutschland einen Migrationshintergrund. Die Möglichkeiten, die Kinder früh einzuschulen sind großzügig erweitert worden ebenso wie das Angebot, dass leistungsstarke Schüler eine Klasse überspringen. Dies bedeutet eine breite Alters- und Leistungsstreuung in den Grundschulklassen, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Aber dies verlangt auch andere Unterrichtsformen und bessere Fördermöglichkeiten.
3. Familienstrukturen und die berufliche Orientierung und Belastung der Eltern haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die Grundschule muss verstärkt erzieherische Aufgaben übernehmen. Insbesondere geht es darum, zwischenmenschliche Verlässlichkeit und soziale Regeln zu üben, Konzentrationsfähigkeit zu schulen, Neugier und Interesse zu stärken.
Die Folgen des frühen Übertritts
Berichte über stressbedingte psychische Symptome und damit einhergehend steigenden Medikamentenkonsum von Grundschulkindern häufen sich. Mehr dazu

Die Schule für alle
Die Grundschule besuchen alle Kinder unabhängig vom sozialen Status, vom kulturellen Hintergrund oder der religiösen Orientierung der Eltern. Die Grundschule hat als einzige "Schule für alle Kinder" eine bedeutende Integrationsaufgabe für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer sind immer aktiv bemüht, gegenseitiges Verständnis und Unterstützung über soziale, kulturelle und religiöse Unterschiede hinweg zu vermitteln. Sie versuchen, soziale Regeln des menschlichen Miteinanders in einer freiheitlichen, pluralistischen, demokratischen Gesellschaft vorzuleben und das Verhalten der Kinder in diesem Sinne zu prägen - oft auch gegen Widerstände.
Erfolgreiche Lernbiografien werden in der Grundschule zugrunde gelegt. Lernmotivation, Selbstvertrauen, Neugierde müssen Ziel der Arbeit in der Grundschule sein, damit Lernen zum selbstverständlichen Teil des Lebens werden kann. Auf dem sich radikal ändernden Arbeitsmarkt wird es keinen Platz mehr geben für Menschen ohne hohe Lernmotivation und Flexibilität.
