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Ausweitung des Digitalpakts gefordert

Bildungsjournalist Christian Füller über den Digitalpakt in Pandemiezeiten und die Wahlprogramme der Parteien: Fleischmann fordert vom Staat eine adäquate digitale Ausstattung und vielfältige Formate der Lehrerfortbildung.

>> Der Text ist eine freundliche Übernahme und erschien zuerst bei Bildung.Table

Simone Fleischmann könnte man auch Frau Klartext nennen. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes spricht aus, was andere sich nicht zu sagen trauen. Vor den Ferien stellte sie dem bayerischen Bildungsminister Michael Piazolo (Freie Wähler) praktisch ein Ultimatum: Kümmern Sie sich, endlich, um die Pandemie – wir lernen mit den Kindern

Jetzt, etwas über sechs Wochen nach dieser Ansage, ist die Präsidentin enttäuscht – und entschlossen. „Wann reden wir denn endlich mal wieder über Pädagogik, über den Unterricht, über die aktuellen Erziehungsaufgaben, über die nochmals gestiegenen heterogenen Herausforderungen?“ Bildung.Table sagte sie zur Debatte um Lolli-Tests und Quarantäne von Schüler:innen, „die Lehrerkonferenzen in Bayern konnten heute wieder nicht das tun, was ihr Job ist: sich um die Schüler kümmern – und ihnen das Lernen leichter zu machen“. 

„Wahlprogramme wie eine Hollywoodabspann“

So geht es vielen aus der Szene der Bildungsinitiativen, der Startups und der Stiftungen. Es herrscht eine Mischung aus Wut und Verzweiflung über die Kultusminister:innen — aber auch über die Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl. „Einiges liest sich wie ein Hollywoodabspann,“ sagte Max Voigt von der Open Knowledge-Foundation zu den Programmen: „Viel Bekanntes in ungeordneter Reihenfolge, wenige Visionen und neue, zusammenhängende Konzepte“. Die stellvertretende Vorsitzende des „Bündnis für Bildung,“ Anita Stangl, sagte: „Nach der Wahl werden sich alle Parteien daran messen lassen müssen, wie es in der digitalen Bildung gelingt, den ‚Corona-Modus‘ hinter uns zu lassen“. Die Digital-Lobby Bündnis für Bildung vereint Unternehmen und Öffentliche Hand und ist ein wichtiger Vermittler zwischen beiden geworden.

Die Kritik der Initiativen und Bildungsunternehmer richtet sich vor allem auf den Digitalpakt, den Bildungsföderalismus und mangelnde Konzepte gerade in der Lehrerbildung. 

Digitalpakt: Jacob Chammon vom Forum Bildung Digitalisierung, dem Cluster der Tech-Stiftungen von Bertelsmann bis Wübben, formuliert seine Wünsche, ohne das Wort Digitalpakt auszusprechen: „Wir brauchen nachhaltige Programme für Schulen und ihre Träger, um die Grundvoraussetzung für den digitalen Unterricht zu gewährleisten“. Nico Colsman von der gemeinnützigen Organisation „Zukunft Digitale Bildung“ wird da bereits deutlicher. „Wir müssen Digitalpakt-Gelder direkt auf die Schulkonten überweisen“, sagt der Geschäftsführer, „und dem Kollegium deutliche Freiheiten in der Umsetzung geben“. Am klarsten ist die Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter. „Wir benötigen jetzt einen DigitalPakt 2, der schnell und unbürokratisch für die Schulen zur Verfügung steht“, heißt es in ihren Wahlprüfsteinen, die gestern online gingen

Den Startups ist wichtig, „auch die Förderung digitaler Lernangebote“ durch den Digitalpakt möglich zu machen. Das ist bis jetzt kaum möglich, wie viele Beispiele zeigen. Was die Digitalisten, deren Motto gern „einfach mal machen“ lautet, am meisten an dem Fünf-Milliarden-Euro-Pakt stört: „dass das Abrufen der Mittel an zu große bürokratische Hürden geknüpft war und ist und in der Folge zu langsam angelaufen ist.“ Alexander Giesecke von Simpleclub sagte, „die digitale Infrastruktur, wie funktionierendes Wlan und Endgeräte sind Voraussetzung dafür, dass Schule sich generell für digitale Bildungsangebote öffnet.“ Stephan Bayer von Sofatutor nennt das, was kommen muss „einen DigitalPakt 2 für Content. Jetzt muss vor allem in digital aufbereitete Lerninhalte investiert werden und nicht mehr ausschließlich in die technische Grundausstattung – und das so unbürokratisch wie möglich“, sagte Bayer zu Bildung.Table.

Verfassung verbietet Bundesgeld für Lerninhalte

So verständlich und richtig die Forderung ist, so trifft sie doch auf ein grundsätzliches verfassungsrechtliches Problem. Einen Digitalpakt für Inhalte müssten die Länder alleine finanzieren, denn laut Verfassung ist es dem Bund nur erlaubt, für die digitale Infrastruktur Gelder freizugeben, so steht es jedenfalls in Artikel 91c des Grundgesetzes über „informationstechnische Systeme.“ Wie man den technischen Rahmen eines Lernmanagementsystems von den Bildungsinhalten, die darin gespeichert werden, eigentlich unterscheiden soll, steht allerdings nicht in der Verfassung. Das bedeutet: Das Fingerhakeln, ob der Bund digitale Bildungsanbieter fördern darf, wird nach der Wahl weiter gehen. 

Bildungsföderalismus: Bei der sogenannten Kulturhoheit der Länder herrscht so etwas wie Furcht und Entschlossenheit. Einige der von Bildung.Table Angefragten wollten sich zum Bildungsföderalismus lieber nicht äußern – offenbar ein zu heißes Eisen, weil insbesondere die Union und selbst die Grünen und die SPD am Bildungsföderalismus grundsätzlich festhalten wollen. „Das Aufheben des sogenannten Kooperationsverbots ist sicherlich wünschenswert, aber aktuell nicht mehrheitsfähig“, sagte Max Voigt von der Open Knowledge-Foundation. Realistischer sei eine Reformierung der Kultusministerkonferenz. „Hier braucht es mehr demokratische Kontrollmechanismen und Transparenz.“ 

Einfach mal vereinfachen: Das geht mit der Kulturhoheit nicht

Das Problem des Föderalismus scheint in einer Äußerung der Initiative digitaler Bildungsanbieter auf. Sie wollen dem Bund mehr Möglichkeiten einräumen, um „nachhaltige Förder- und Finanzierungsstrukturen zu etablieren.“ Was die Digitalisten fordern, ist allerdings so etwas wie die Quadratur des Kreises: Die bestehende, auf vielen Ebenen verflochtene Kultusbürokratie lässt sich nicht „einfach mal vereinfachen“. Das ist ja der Grund, warum die drei in den Umfragen führenden Parteien sich beim Föderalismus wohlweislich zurückhalten. 

Trotzdem hört sich der Anspruch der digitalen Bildungsanbieter gut und richtig an: „Bürokratische (Förder-) Prozesse müssen vereinfacht werden, sodass Bund und Länder gemeinsam Schulen schnell und unkompliziert unterstützen können,“ steht da. „Zuständigkeitsfragen müssen klar definiert werden, damit machtpolitische Kämpfe nicht zulasten unserer Kinder gehen.“ Das Bündnis für Bildung versucht dieser Zwickmühle mit einer geradezu patriotischen Formel von Anita Stangl zu entgehen: „Unser Bildungsföderalismus bietet die Möglichkeit, auf die unterschiedlichen Gegebenheiten maßgeschneidert vor Ort zu reagieren.“ 

„Druck zur Weiterbildungspflicht“ vs. Vertrauen und Zeit

Lehrerfortbildung: Auch beim so dringend notwendigen Vermitteln der digitalen Kompetenzen an das Lehrpersonal gehen die Forderungen meilenweit auseinander. Natürlich sind sich alle einig, dass - so formuliert es Jacob Chammon – „es den Kompetenzaufbau aufseiten des pädagogischen Personals in den Schulen und Verwaltungen braucht“. Allerdings ist vollkommen unklar, ob das durch Zwang oder freiwillig geschehen soll. Nicolas Colsman plädiert für „massiven Druck zur Weiterbildungspflicht“ – eine Forderung, die weit verbreitet ist, von Kennern aber genauso weit von sich gewiesen wird. Wer versucht, verbeamteten Lehrkräften Druck zum Fortbilden zu machen, scheitert am Dienstrecht – und an der grundsätzlichen Freiheit der Lehrer:innen zur Wahl ihrer Methoden. 

Das weiß niemand besser als Simone Fleischmann, die für fast 70.000 Lehrer:innen in Bayern spricht. Die Verbandspräsidentin fordert, dass der Staat für eine adäquate digitale Ausstattung an den Schulen sorgt und zugleich vielfältige Formate von Lehrerfortbildung anbietet. Das subsumiert Fleischmann unter Anforderungen an den Staat — weil sie weiß, dass es bei den Pädagog:innen vor allem um Vertrauen und Zeit geht. Es dürfe nicht sein, sagte sie Bildung.Table, dass Lehrkräfte über ihr normales Arbeitspensum hinaus nun erneut eine Vielzahl unklarer Hygiene- und Gesundheitsvorschriften interpretieren müssten. „Es geht jetzt darum, eine komplexe neue Technologie für die Lehrerinnen und Lehrer zu öffnen“, sagte Fleischmann. „Das klappt am besten, wenn Lehrerinnen und Lehrer das Vertrauen in den Staat haben können, dass sie sich auf die pädagogisch wichtigen Fragen des Lernens und des digitalen Lernens konzentrieren können“. 

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