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„Ein Kind ist mehr als drei Noten“

Am 2.5. haben Viertklässler ihr Übertrittszeugnis erhalten. Im Bayerischen Fernsehen kritisiert BLLV-Präsidentin Fleischmann die Praxis als unpädagogisch, unscharf und sozial ungerecht. Sie fordert längeres gemeinsames Lernen mit einem ganzheitlichen Blick auf Kinder.

Soll Schule anhand von drei Zahlen Kinder auf Schularten verteilen und schon im frühen Alter Lebenswege vorzeichnen und Chancen einengen? Oder soll sie die Talente und Fähigkeiten der Kinder fördern, entwickeln und ihnen die Chance geben, ihr Potenzial zu entfalten?

Ganz klar Letzteres, stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann in den Nachrichten des Bayerischen Fernsehens klar. Im Gespräch über die Übertrittszeugnisse, die bayerische Viertklässler am 2. Mai erhalten haben, sagt sie: „Neun- und zehnjährige Kinder werden aufgrund von drei Schulnoten auf drei Schularten verteilt. Das ist zu früh. Zudem ist dieser Lernbegriff zu eingeengt: Das ist eben nur Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachunterricht. Ein Kind besteht aus mehr als aus drei Noten. Ganzheitlichkeit ist gefragt!“

Fixiert auf Noten statt aufs Lernen

Die jetzige Praxis hat aus Sicht der BLLV-Präsidentin negative Auswirkungen auf das Lernen und den Bildungserfolg der Kinder. Denn sie werden schon sehr früh auf das von der Wissenschaft immer wieder kritisierte „Learning for the Test“ trainiert statt auf echten Wissenserwerb: „Wir spüren, dass sich schon Zweitklässler sagen: ‘Moment mal, ich muss jetzt gute Noten sammeln. Weil in der vierten Klasse, da kommt’s, glaube ich, auf die drei Noten an.‘ Wir merken einfach, dass so die Talente nicht gefördert werden und die Kinder wahnsinnig fixiert sind auf die Noten.“

Das resultiert dann wiederum in Druck und Angst, die bekanntermaßen schlechte Lernbegleiter sind: „Das zerstört verdammt viel Motivation bei den Kindern“, schildert Simone Fleischmann die Erfahrungen aus der Schulpraxis. „Der Druck in den Familien, bei den Lehren und bei den Eltern ist einfach viel zu groß. Die Kinder leiden darunter.“


Es trifft die Kinder am härtesten, für die es ohnehin schon hart ist

Besonders betroffen sind dabei Kinder, die ohnehin schon vor vielen Herausforderungen stehen: „Bildung hängt vom Geldbeutel der Eltern ab“, stellt die BLLV-Präsidentin im Bayerischen Fernsehen klar. „Die Kinder haben viel bessere Chancen, deren Eltern sich Bildung kaufen können oder die Kinder unterstützen können. Die Kinder von Eltern mit Migrationshintergrund, die Kinder, die ein Lerndefizit haben, die durch Corona stark gelitten haben, denen niemand helfen kann: Die fallen hinten runter! Die soziale Schere geht auf. Das tut uns als Lehrerinnen und Lehrer weh, weil wir so gerne helfen würden. Wir müssen doch diese Kinder mitnehmen!“

Individuelle Förderung, das würde Differenzierung in möglichste kleinen Lerngruppen bedeuten, den Einsatz von zusätzlichen Förderlehrern in Klassen und idealerweise multiprofessionelle Unterstützung. Die Methoden sind also klar, allein, es fehlen derzeit akut die Pädagoginnen und Pädagogen. „Da schlägt der Lehrermangel zu“, konstatiert Simone Fleischmann. „Die individuelle Förderung fehlt, die Eltern können es nicht leisten, wir dann auch nicht, und diese Kinder verlieren wir. Schade!“

Schule gemeinsam neu denken

Die BLLV-Präsidentin benennt im Bayerischen Fernsehen auch die Lösung: „Längere gemeinsame Schulzeit, die Kinder nicht im Alter von neun oder zehn Jahren verteilen! Zehn Jahre gemeinsam wäre ideal.“ Angesichts tradierter Beharrkräfte im Bayerischen Schulsystem macht sich Fleischmann für einen transparenten, gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozess stark: „Gemeinsam mit der Gesellschaft sollte man das entwickeln, mit den Eltern, mit den Lehrerinnen und Lehrern: Überlegen, wie man Bildung ganzheitlich gehen kann. Starke Individualität, starke Förderung und wenn es irgendwie ginge, kein Kind hinten runterfallen lassen!“

» zur Sendung im Bayerischen Rundfunk vom 2.5. 21:45 „Tag an dem sich für Kinder die Zukunft entscheidet“

» Pressemitteilung des BLLV zum Übertritt mit zahlreichen Medienberichten: „Übertrittszeugnisse: Fördern statt Aussortieren“
 

Kontroverse Notenberechnung



"ÜBERTRITTS-ZEUGNISSE: STREIT UM NOTEN-DURCHSCHNITT"

Das Bayerische Fernsehen berichtet in den Nachrichten vom 15. Mai um 18:30
über die Kontroverse bei der Berechnung des Übertrittsdurchschnitts, zeigt anhand eines Rechenbeispiels "Verzerrungen" bei der Berechnung des Übertrittsdurchschnitts auf und gibt die Kritik von BLLV-Präsidentin Fleischmann wider, das Prozedere sei unfair und sinnlos.

Das Rechenbeispiel von BR24 zeigt, dass durch die Rundungen bei den einzelnen Zeugnisnoten in bestimmten Fällen bei insgesamt schwächeren Leistungen durch günstige Abrundungen der Übertrittsdurchschnitt fürs Gymnasium erreicht werden kann, während bei insgesamt besseren Leistungen aber ungünstigen Aufrundungen der Zeugnisnoten der Übertrittsdurchschnitt fürs Gymnasium verfehlt werden kann. Das Kultusministerium bezeichnet das Verfahren dennoch als "kind- und begabungsgerecht", eine Abkehr sei "nicht vorgesehen".

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann dazu:

"Wenn Kinder diesen Wahnsinn mitbekommen, dass es um zwei Stellen nach dem Komma geht, dann ist das doch unfair. Das schnallt jedes Viertklasskind, so viel Mathematik hat auch ein Viertklasskind drauf. Deswegen sagen wir eindeutig: Es macht null Sinn, so ein Übertrittszeugnis auszustellen."

» zum TV-Beitrag "Übertritts-Zeugnisse: Streit um Noten-Durchschnitt" (Simone Fleischmann ab 1:17)

 


Die Kritik an der Berechnung im Detail:

Ein Vater verweist auf das mathematische Prinzip, dass die Ausgangswerte für eine Durchschnittsberechnung die selben Kommastellen haben sollten wie das Endergebnis. Da die Übertrittsnote zwei Nachkommastellen hat (2,33 fürs Gymnasium, 2,66 für die Realschule) sollten nicht gerade Noten in die Berechnung eingehen, sondern Noten mit Kommastellen.

Simone Fleischmann erläutert im BR die Position des BLLV:

Die Fachnoten sind Ergebnis eines breiteren pädagogischen Prozesses über die einzelne Fachlehrkraft hinaus, der auch perspektivisch ausgerichtet ist. Dennoch hält der BLLV die Fixierung auf Ziffernnoten für den Übertritt prinzipiell für falsch und auf jeden Fall für deutlich zu früh – längeres gemeinsames Lernen wäre pädagogisch deutlich sinnvoller. Fleischmann plädiert erneut dafür, beim Übertritt den Elternwillen freizugeben, auf der Basis einer intensiven pädagogischen Beratung durch die Lehrkräfte.