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Kitas müssen mehr leisten können als Betreuung Frühpädagogik

Ohne Bildung abgespeist?

Noch nie war der Bildungsauftrag von Kindereinrichtungen so wichtig wie heute. Schon vor der Einschulung zeichnen sich herkunftsbedingte Bildungsungleichheiten ab. Besonders betroffen sind Kinder aus Familien mit geringen Bildungsressourcen und mehrfachen Belastungslagen. Um Chancengleichheit zu fördern, braucht es zusätzlich gezielte Unterstützungsmaßnahmen wie Sprachförderung und niedrigschwellige Informationen für Eltern zum Zugang zu Plätzen in Kitas. Der entscheidende Faktor aber bleibt: Wie gut gelingt die Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern.

Kindertageseinrichtungen (Kita) sind wichtige Bildungsorte – die ersten, an denen herkunftsbedingte Nachteile ausgeglichen werden können. Die frühe Bildung umfasst Angebote für Klein-, Kindergarten- und Vorschulkinder sowie Schulkinder bis zum 10. Lebensjahr. Von der Qualität der Bildung in den ersten Lebensjahren hängt stark ab, wie Kinder in die Schule starten, wie gut sie später lernen und sich entwickeln.

Die allermeisten Kinder in Deutschland besuchen mittlerweile eine Kita, bevor sie eingeschult werden. Gleichzeitig kommen Kinder mit immer unterschiedlicheren Voraussetzungen in diese Einrichtungen: mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen, mehr oder weniger ausgeprägten sozialen- und emotionalen Kompetenzen, besonderen Förderbedarfen oder gar mit Erfahrungen von Flucht, Armut oder anderen Belastungsfaktoren.

Die Ergebnisse aus Schulleistungsstudien wie Pisa oder aus dem nationalen IQB Bildungstrend offenbaren umfangreiche Kompetenzdefizite für bestimmte Gruppen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ein entscheidender Ansatz, um diesen Defiziten entgegenzuwirken, ist die Förderung der frühkindlichen Bildung. Investitionen in die frühe Bildung sind besonders effektiv und effizient, da frühe Fähigkeiten spätere Fähigkeiten hervorbringen. Frühzeitige Maßnahmen, die sich auf benachteiligte Kinder konzentrieren, erweisen sich entsprechend als wesentlich rentabler als spätere Maßnahmen.

Die Schere für Bildungschancen geht lange vor der Einschulung auseinander

Als zentrale Kompetenzen, die Kinder vor der Einschulung erwerben sollten, gelten insbesondere die sprachlichem, frühe mathematische und sozial-emotionale Kompetenzen. Diese drei Kompetenzbereiche stellen eine wichtige Voraussetzung für die weitere soziale Entwicklung sowie die Lern- und Leistungsentwicklung in der Grundschule dar. Eine frühe Förderung dieser basalen Kompetenzen ist daher essenziell für alle Kinder, besonders aber für diejenigen rund 20 Prozent, die bereits im Kita-Alter ungünstige Voraussetzungen mitbringen, wie ein Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz von 2022 betont.

Die Studie von Jan Skopek und Giampiero Passaretta aus dem Jahr 2021, die auch deutsche Daten einbezieht, zeigt eindrucksvoll, dass die Bildungsschere bereits vor der Einschulung auseinandergeht. Schon im Alter von drei Monaten können Kinder abhängig vom sozialen Status ihrer Eltern unterschiedliche Fähigkeiten zeigen. Bis zur Einschulung vergrößert sich die Lern- und Leistungskluft zwischen den Kindern unterschiedlicher sozialer Herkunft stetig. Am Ende des ersten Schuljahres stoppt dieser Trend jedoch, und das Leistungsvermögen entwickelt sich nahezu auf demselben Abstandsniveau weiter bis ins Jugendalter. Der Milieuvorteil eines Kindes aus privilegiertem Hause wird also besonders in den ersten sechs Lebensjahren vor dem Schulbesuch deutlich.

Kinder aus benachteiligten Familien profitieren besonders von früher Bildung

Der Besuch einer Kita kann das soziale Gefälle in den Kompetenzen von Kindern mindern und sozial ausgleichend wirken. Eine Studie von Gaia Ghirardi und Kollegen (2023) zeigt: Sozial benachteiligte Kinder profitieren besonders stark von außerfamiliärer Bildung; eine universelle Kita-­Nutzung kann zu einer Verringerung der sozialen Ungleichheiten in den Kompetenzen führen, während ausschließlich familiäre Betreuung diese Ungleichheiten eher verstärkt. Die Folgen der Schließung von Kindertageseinrichtungen der Corona-Pandemie haben einer Untersuchung des Bildungsforschers Ludger Wößmann (2021) zufolge eindrücklich gezeigt, wie wichtig der Besuch einer Kita für die Bildung und Entwicklung von Kindern aus benachteiligten Familien ist.

Es herrscht also Einigkeit darüber, dass Kitas zur Förderung der Kompetenzen aller Kinder und zur Kompensation der Nachteile solcher Kinder beitragen können, die in ihren Familien nicht so gut gefördert werden (können). Gleichzeitig wissen wir heute auch, dass insbesondere die Qualität der Interaktion ausschlaggebend für die Wirkungen auf die kindliche Entwicklung ist. Ob Kinder in der Entwicklung ihrer Kompetenzen vom Besuch einer Kita profitieren oder nicht, hängt auch davon ab, wieviel Zeit im Alltag der Kita ganz bewusst für konkrete Bildungsangebote zur Entwicklung von basalen Kompetenzen aufgewendet wird, wie Yvonne Anders und Elisa Oppermann 2024 dargelegt haben. 

Kinder aus benachteiligten Familien haben weniger Zugang zu früher Bildung

Der Bildungsbericht 2024 zeigt, dass die Teilhabe an früher Bildung nach wie vor stark von sozialen Faktoren abhängt. Der Besuch eines Kita-Angebots ist abhängig von familiären Merkmalen, sowohl bei Kindern unter drei Jahren als auch bei Kindern im Alter von drei bis unter sechs Jahren. Kinder von Eltern mit höherem Bildungsabschluss und Kinder, deren Mütter erwerbstätig sind, nutzen Angebote der frühen Bildung häufiger. Auch die Beteiligungsquoten von Kindern mit Migrationshintergrund liegen trotz eines ähnlich hohen Bedarfs weiterhin deutlich unter denen von Kindern ohne Migrationshintergrund. 

Eltern ausländischer Herkunft haben es deutlich schwerer, ihren Betreuungswunsch zu realisieren. In Regionen mit begrenztem Platzangebot entsteht ein Wettbewerb, der insbesondere Familien mit Einwanderungsgeschichte, niedrigerem Bildungsabschluss und nicht erwerbstätigen Müttern benachteiligt. Kinder mit Migrationshintergrund sind in beiden Altersgruppen – also sowohl bei den unter Dreijährigen als auch bei den Drei- bis unter Sechsjährigen – in der Kitabetreuung weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Informationen und Unterstützungsmaßnahmen für Familien bei der Bewerbung um einen Kitaplatz können diese sozioökonomisch bedingte Ungleichheit verringern. 

Kindertageseinrichtungen sind in erster Linie Bildungseinrichtungen

Kindertageseinrichtungen sind nicht nur Betreuungsstätten, sondern in erster Linie Bildungseinrichtungen. Daher reicht es nicht aus, lediglich neue Plätze zu schaffen. Die Sicherung und Weiterentwicklung der Bildungsqualität ist entscheidend, um allen Kindern und ganz besonders denjenigen, die aus benachteiligten Familien kommen, das Recht auf bestmögliche Bildung von Anfang an zukommen zu lassen. 

Um kompensatorisch wirken zu können, müssen Kindertageseinrichtungen eine hohe Interaktions- und Bildungsqualität bieten. Eine Expertise zur Beziehungs- und Bildungsqualität in Kitas vom Dezember 2024 bestätigt erneut die zentrale Bedeutung der Prozessqualität für die kindliche Entwicklung. Insbesondere die Qualität der Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern erweist sich als entscheidend. Zentrale Merkmale sind Feinfühligkeit der Bezugspersonen, also ihre Fähigkeit und Bereitschaft, auf die Signale und Bedürfnisse der Kinder einfühlsam einzugehen, sie dabei emotional zu unterstützen und ihnen gleichzeitig kognitive und sprachliche Anregung zu geben. 

Während die sozial-emotionale Unterstützung im Durchschnitt ein gutes Qualitätsniveau erreicht, zeigen kognitiv und sprachlich anregende Interaktionen laut Katharina Kluczniok et al. (2024) lediglich ein mittelmäßiges Niveau. Diese Befunde unterstreichen die Notwendigkeit gezielter Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen.

In Bayern gibt es eine Vielzahl an Angeboten für die gezielte Weiterentwicklung der Interaktions- und Bildungsqualität in Kitas. Dazu zählen die „Pädagogische Qualitätsbegleitung“, die Sprachförderkräfte oder auch die „Startchance kita.digital“. Besonders Einrichtungen mit einem hohen Anteil an Kindern aus benachteiligten Familien benötigen zusätzliche Kräfte, die speziell zur Unterstützung der Sprachförderung eingesetzt werden. Dabei geht es in erster Linie um die direkte Arbeit mit den Kindern und um konkrete, alltagsintegrierte und zusätzliche Bildungsangebote. Es ist daher zielführend, den Fachkräften Assistenzkräfte zur Seite zu stellen, die sie bei organisatorischen und hauswirtschaftlichen Aufgaben unterstützen. Diese Entlastung trägt dazu bei, die Arbeitsbedingungen der Erziehenden zu verbessern und die Bildungsqualität in den Einrichtungen zu sichern.

Bildungsfernere Eltern und Eltern mit Migrationshintergrund sollten frühzeitig über die Bedeutung der frühkindlichen Bildung informiert werden. Da schriftliche Informationen oft nicht gelesen werden, ist eine direkte Ansprache dieser Eltern erforderlich. Patenschaften, Bildungslotsen oder Bildungsbegleiter, die in manchen Kommunen bereits etabliert sind, können hierbei eine wichtige Rolle spielen. Auch aus eigener Forschung wissen wir: Eine hohe Interaktions- und Bildungsqualität in der Kindertageseinrichtung unterstützt die Kompetenzentwicklung aller Kinder – ganz besonders aber der Kinder aus benachteiligten Familien. Für diese Kinder ist der Besuch der Kindertageseinrichtung oft die einzige Chance auf frühe Bildung.

>> Von: Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik und Medienkompetenz (IFP)
 

Literatur

Anders, Y., Oppermann, E. Frühpädagogische Qualität in Kindertageseinrichtungen: Eine Erweiterung des Struktur-Prozess-Modells. Z Erziehungswiss 27, 551–577 (2024). doi.org/10.1007/s11618-024-01218-7

Autor: innengruppe Bildungsberichterstattung (2024). Bildung in Deutschland 2024. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu beruflicher Bildung. wbv Publikation.

Ghirardi, G., Baier, T., Kleinert, C., & Triventi, M. (2023). Is early formal childcare an equalizer? How attending childcare and education centres affects children’s cognitive and socio-emotional skills in Germany. European Sociological Review, 39(5), 692–707. 

Kluczniok, K., Grad, T., Schneider, M. & Faas, S. (2024). Expertise „Auswirkungen von Kindertagesbetreuung auf die kindliche Entwicklung“. Pädquis Stiftung. https://www.fruehe-chancen.de/themen/qualitaetsentwicklung/auswirkungen-von-kindertagesbetreuung-auf-die-kindliche-entwicklung

Skopek J., & Passaretta G. (2021). Socioeconomic inequality in children’s achievement from infancy to adolescence: The case of Germany; Social Forces, Volume 100, Issue 1, Pages 86 – 112

Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) [Hrsg.]: Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule. Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK). Zusammenfassung. Bonn: SWK 2022, 26 S. 

Wößmann, L. (2021). Corona Und Die Folgen: Eine (Nicht Nur) Bildungsökonomische Perspektive. In: Wübben Stiftung gGmb (Hrsg.). Düsseldorf.20-39.



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