Wie lässt sich die Kindertagesbetreuung in Deutschland strukturell verbessern, pädagogisch weiterentwickeln und bundesweit gerechter gestalten? Diese Frage stand im Zentrum eines intensiven Reformprozesses, den das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) gemeinsam mit den Ländern, kommunalen Spitzenverbänden sowie Fachleuten aus Praxis und Wissenschaft gestaltet hat. Die Arbeitsgruppe Frühe Bildung entwickelte dabei auf Grundlage des Koalitionsvertrags und eines Beschlusses der Jugend- und Familienministerkonferenz von 2022 zentrale Empfehlungen für bundesweite Qualitätsstandards (BMFSFJ 2024).
Im Fokus standen drei zentrale Qualitätsbereiche: Verbesserung der Betreuungsrelation; sprachliche Bildung und Sprachförderung; bedarfsgerechte (Ganztags-)Angebote. Damit ist das Gesetz als umfassende Reaktion auf die Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis zu verstehen und soll den Weg freimachen für eine systematische Qualitätsentwicklung (BMFSFJ 2022). Doch wie sieht die Situation in der Praxis wirklich aus? Ein Blick auf konkrete Zahlen macht das Ausmaß der immer noch bestehenden Handlungsbedarfe deutlich.
Betreuungsschlüssel: Zwischen Anspruch und Realität
Die Qualität der Kindertagesbetreuung hängt wesentlich von der Personalausstattung ab. Doch die Fachkräftelücke stellt das System vor langfristige Herausforderungen. Der sozialpädagogische Arbeitsmarkt ist laut aktueller Daten leergefegt – Entspannung ist weder durch Zuwanderung noch durch Nachwuchs kurzfristig zu erwarten. Vielmehr wird sich die Lage durch demografische Entwicklungen und steigende Nachfrage weiter verschärfen (Autor:innengruppe Kinder- und Jugendstatistik 2024).
Das zeigt sich an der erheblichen Lücke zwischen dem Bedarf der Eltern und der tatsächlichen Beteiligungsquote ihrer Kinder: Im Jahr 2022 fehlten in Deutschland rund 321.000 Plätze für unter 3-Jährige und 109.000 für Kinder im Alter von 3 bis unter 6 Jahren. Insgesamt fehlen also 430.000 Kitaplätze (Autor:innengruppe Kinder- und Jugendstatistik 2024).
Zum anderen wird dies an der Fachkraft-Kind-Relation sichtbar. Eine gute Betreuungsrelation – also das Verhältnis zwischen Fachkräften und Kindern – gilt im wissenschaftlichen Diskurs als eine der zentralen Stellschrauben für gelingende Bildung, Betreuung und Erziehung. Laut einer Studie des Deutschen Kita-Leitungskongresses (DKLK) aus diesem Jahr ist für 55,5 % der Befragten der Personal-Kind-Schlüssel und für 48,8 % der Befragten die Gruppengröße (48,8 %) wichtigstes Handlungsfeld zur Bewältigung des Personalmangels. Notgedrungen wird in der Praxis also ausgerechnet an den Gelingensfaktoren frühkindlicher Bildung angesetzt, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft somit eine erhebliche Lücke. In der aktuellen Befragung von Kita-Leitungen im Rahmen des DKLK gaben 59,5 % der Kitaleitungen an, dass sich die Personalsituation im vergangenen Jahr nochmals verschlechtert habe. Mehr als die Hälfte der Befragten berichtete zudem, dass in gut 20 % der Arbeitszeit mit aufsichtspflichtrelevanter Personalunterdeckung gearbeitet wurde – das bedeutet: im Durchschnitt war an mindestens einem Tag pro Woche nicht ausreichend Personal vorhanden. Unter dieser Situation leidet ganz erheblich auch die Gesundheit der Fachkräfte: 95,6 % geben an, dass die hohe Arbeitsbelastung der pädagogischen Fachkräfte zu höheren Fehlzeiten und mehr Krankschreibungen führe.
Die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation bleibt dabei weiterhin deutlich schlechter als wissenschaftlich empfohlen. Während Fachgremien ein Verhältnis von 1:3 im U3- und 1:7,5 im Ü3-Bereich empfehlen, liegt die durchschnittliche Relation laut Kitaleitungen in Deutschland bei 1:5,1 im U3- und 1:10,5 im Ü3-Bereich (DKLK 2025). Die Verbesserung des Betreuungsschlüssels bleibt somit ein zentrales Handlungsfeld für politische Entscheidungsträger und -trägerinnen – insbesondere, um die Arbeitsfähigkeit des gesamten Systems zu erhalten.
Sprachliche Bildung und Förderung: Schlüssel zur Bildungsgerechtigkeit?
Sprachliche Bildung gilt als eine der zentralen Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe und Bildungserfolg. Doch damit sie ihre Wirkung entfalten kann, müssen Kinder sprachförderliche Angebote auch tatsächlich erreichen – und genau hier liegt eine der größten Herausforderungen des Systems frühkindlicher Bildung.
Trotz des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz bestehen weiterhin deutliche Unterschiede in der Inanspruchnahme. Im Durchschnitt besuchen Kinder aus nicht deutschsprachigen Haushalten bereits ab dem zweiten Lebensjahr deutlich seltener eine Kita als Gleichaltrige aus deutschsprachigen Familien. Während im 2. Lebensjahr 39 % der Kinder mit deutscher Alltagssprache eine Kita besuchen, sind es bei Kindern mit anderer Familiensprache nur rund halb so viele.
Bis zum letzten Kita-Jahr steigt die Quote bei erstgenannten auf 98 %, bei Kindern aus nicht deutschsprachigen Familien jedoch lediglich auf 87 %, der Unterschied von weiterhin 11 Prozentpunkten weist auf eine verpasste Chance früher sprachlicher Förderung hin. Dabei äußern Eltern mit Migrationshintergrund über alle Altersgruppen hinweg nahezu identische Bedarfe – die tatsächliche Nutzung bleibt jedoch deutlich hinter diesen Bedarfen zurück. Entsprechend ist der Anteil an Kindern mit ungedecktem Bedarf in dieser Gruppe besonders hoch (Schieler/Menzel 2024; Huebener et al. 2024).
Das bestätigt auch ein Blick auf die Daten aus Bayern: Dort lag die Betreuungsquote im Jahr 2023 bei Kindern unter 3 Jahren mit Migrationshintergrund bei 21,6 %, bei Kindern ohne Migrationshintergrund dagegen bei 37,5 %. In der Altersgruppe von 3 bis unter 6 Jahren betrugen die Quoten 81,4 % beziehungsweise 96,3 % (Statistisches Bundesamt 2024). Diese Zahlen machen deutlich: Der Zugang zu frühkindlicher Bildung – und damit auch zu sprachlicher Förderung – ist nicht für alle Kinder gleichermaßen gewährleistet. Gerade Kitas in belasteten Sozialräumen, die viele dieser Kinder betreuen, sind zusätzlich mit erheblichen strukturellen Herausforderungen konfrontiert: größeren Gruppen, knapper Personaldecke und hoher Belastung des pädagogischen Personals. All dies erschwert es, Sprachförderung im Alltag verlässlich umzusetzen und deren Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit voll auszuschöpfen.
Bedarfsgerechte und qualitative (Ganztags-)Angebote
Die Unterschiede in der Nutzung frühkindlicher Bildungseinrichtungen zeigen, dass insbesondere Kinder mit erhöhtem Förderbedarf bisher nicht in gleichem Maße erreicht werden. Im Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CSU haben die Parteien für die 21. Legislaturperiode festgehalten, dass das KiTa-Qualitätsgesetz durch ein Qualitätsentwicklungsgesetz abgelöst werden soll, um zusätzliche Förderinstrumente – etwa für Sprach-Kitas und Startchancen-Kitas – strukturell zu verankern (CDU, SPD, CSU 2025: S. 98).
Frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote spielen hierbei eine zentrale Rolle. Seit 2013 haben Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege. Für zahlreiche Familien ist die frühkindliche Förderung nicht mehr wegzudenken. Gleichzeitig stellt die derzeitige Betreuungssituation pädagogische Fachkräfte vor zusätzliche Herausforderungen – gerade unter den Bedingungen des bestehenden Fachkräftemangels. Denn mit längeren Betreuungszeiten steigen nicht nur die organisatorischen Anforderungen, es wächst auch die Verantwortung für eine qualitativ hochwertige pädagogische Begleitung über den gesamten Tagesverlauf hinweg (Arbeitsgruppe Frühe Bildung 2024).
Aus Sicht vieler Fachkräfte ist dabei entscheidend, dass Angebote frühkindlicher Bildung bedarfsgerecht geplant und verlässlich umgesetzt werden. Das bedeutet: Eine vorausschauende Angebotsgestaltung, die sich an den tatsächlichen Bedarfen der Familien orientiert, ist ebenso unerlässlich wie klare, verlässliche Rahmenbedingungen für den pädagogischen Alltag. Dazu gehört beispielsweise eine Begrenzung der Schließtage, die nicht zulasten von Erholungszeiten des Personals gehen darf, sondern realistisch mit Personalkapazitäten und betrieblichen Belangen abgestimmt sein muss.
Auch die ganztägige Bildung muss diesen Qualitätsansprüchen gerecht werden, wenn sie Kinder wirklich unterstützen und Fachkräfte langfristig entlasten soll. Angebote dürfen also nicht nur quantitativ ausgebaut, sondern müssen qualitativ abgesichert werden – mit realistischen Vorgaben, ausreichend Personal und guten Rahmenbedingungen für eine professionelle pädagogische Arbeit. Nur unter diesen Voraussetzungen kann frühkindliche sowie ganztägige Bildung ihr Potenzial entfalten – und die Fachkräfte wirksam unterstützen, statt sie zusätzlich zu belasten.
Fazit: Fachkräfte stärken – Qualität sichern
Zahlen und aktuelle Studien zeigen: Die frühkindliche Bildung steht vor vielfältigen Herausforderungen. Dazu zählen unter anderem strukturelle Engpässe und ein wachsender Fachkräftebedarf. Diese Faktoren wirken sich unmittelbar auf zentrale Qualitätsbereiche wie den Betreuungsschlüssel und die Umsetzung sprachlicher Bildung aus – beides zentrale Voraussetzungen für gelingende pädagogische Arbeit und die aktive Mitgestaltung eines guten Aufwachsens junger Menschen (vgl. IFP 2025). Wie es gelingen kann, diese Ebenen noch besser aufeinander abzustimmen, dürfte auch in den kommenden Jahren eine zentrale Frage für alle bleiben, die frühkindliche Bildung mitgestalten.